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10.08.18 / Stilbildender Ebenist / Eine ganz besondere Strahlkraft eines Schreinermeisters der Goethezeit – Die Möbel-Antiquitäten des David Roentgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-18 vom 10. August 2018

Stilbildender Ebenist
Eine ganz besondere Strahlkraft eines Schreinermeisters der Goethezeit – Die Möbel-Antiquitäten des David Roentgen
Martin Stolzenau

Weil das Weimarer Stadtschloss saniert wird (siehe PAZ vom 27. Ju­li), wird auch dessen Mu­seumsdepot ausgelagert. Darunter befinden sich Möbelschätze des Künstlers David Roentgen, der vor 275 Jahren geboren wurde.

Im Jahr 2001 zeigten die Kunstsammlungen im Schlossmuseum eine bemerkenswerte Ausstellung von Möbelarbeiten, die von der großherzoglichen Familie genutzt wurden, ab 1945 in vergessenen Magazinen lagerten und erst nach der „Wende“ schrittweise ent­deckt, katalogisiert und schließlich restauriert wurden.

Da kam Erstaunliches zutage. Das reichte von einem Kabinettschrank aus Augsburg von 1660 über ein Konsoltischpaar von André-Charles Boulle, der am Hofe Ludwigs XIV. als Möbel-Künstler verehrt wurde, und ein Schreibkabinett aus der Antwerpener Werkstatt von Hendrik van Soest bis hin zu Möbel-Kostbarkeiten von David Roentgen. Dazu gesellten sich Exponate aus der Hinterlassenschaft von Maria Pawlowna, die nach ihrer Heirat mit dem Erbprinzen von Sachsen-Weimar einiges vom russischen Roentgen-Mobiliar mit nach Weimar gebracht hatte. Die Ausstellung von 2001 gab einen Einblick in die Schatzsammlung der Weimarer Depots und offenbarte die überragende Stellung, die einst David Roentgen mit seiner Kunst einnahm. 

Der Name Roentgen wurde in Europa zum Synonym für „rare Kunst- und Cabinettstücke“. Seine Kunstwerke zählen heute zu den Höhepunkten großer öffentlicher sowie privater Sammlungen. Sie finden sich im Pariser Louvre, in der Petersburger Eremitage, im Kasseler Schloss Wilhelmshöhe, im Londoner Victoria & Albert-Museum, im Wörlitzer Schloss und in den Depots von Weimar.

Roentgen, der im Übrigen nicht verwandt ist mit dem späteren Erfinder der „Röntgenstrahlen“, Conrad Röntgen, wurde am 

11. Au­gust 1743 in Herrnhaag bei Bad Nauheim in der Wetterau geboren. Sein Vater betrieb im Rahmen der Herrnhuter Brüdergemeine eine Möbel-Manufaktur. Entsprechend der Gepflogenheiten der Gemeinde in der Kinder-Erziehung kam der Junge bereits früh in das Knaben-Internat nach Niesky bei Görlitz. 

Anschließend begann Roentgen im väterlichen Betrieb – nun in Neuwied – eine Schreinerlehre. Sein Vater war wohl der beste Lehrer, den er damals in Deutschland für das Möbelhandwerk bekommen konnte. Der Junge lernte fleißig, offenbarte eine große Begabung und übernahm zusätzliche Anregungen aus dem benachbarten französischen Kulturkreis. 

Angesichts der Schwierigkeiten, die die Herrnhuter Gemeinschaft dem Betrieb bereitete, und der Absatzprobleme im und nach dem Siebenjährigen Krieg resignierte der Vater. Er überließ dem aufstrebenden Sohn zunehmend die Geschäfte. Dieser beantragte seinerseits in Hamburg für 1769 die Durchführung einer Lotterie, deren Erlös den Familienbetrieb entschuldete, Neuinvestitionen ermöglichte und der Möbel-Firma zusätzliche Bekanntheit eintrug. Aber diese Geschäftigkeit widersprach den Regeln der Brüdergemeine. Das brachte der Familie den Ausschluss ein. Doch der Betrieb florierte und kam wieder auf Erfolgskurs. 

Der junge Roentgen, der die Manufaktur ab 1772 auch offiziell vom Vater übernahm und 1773 eine Pfarrerstochter aus dem Elsass heiratete, nutzte pionierhaft den Übergang vom Barock zum Klassizismus, schuf nach Entwürfen von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff für den Fürsten Franz von Anhalt-Dessau und dessen neues Schloss in Wörlitz ein komplettes Möbelprogramm, das zunächst den Herzog Carl August von Sachsen-Weimar sowie Johann Wolfgang von Goethe als Begleiter begeisterte und bei den touristischen Besucherströmen bis heute Bewunderung auslöst. 

Carl August und sein Dichterfürst gehörten nach dem Dessau- Wörlitzer Möbelerlebnis zu den Verehrern Roentgens. Mit Folgen: Als Roentgen dem Weimarer Hof nach ersten Verkäufen den Mitarbeiter Kronrath empfahl, griff man zu. Kronrath dankte es dem Herzogshaus mit kunstvollen Möbeln in Roentgenart. 

Für Roentgen selbst ging es Schlag auf Schlag. Er ließ in Neuwied ein neues Wohn- und Arbeitshaus bauen, erweiterte den Kundenstamm des Vaters erheblich und gewann neben vielen deutschen sowie europäischen Fürstenhöfen auch die französische Königin Marie Antoi­nette als Vorzeigekundin. Dazu fuhr er mit einigen Wagenladungen seiner Möbel nach Paris, wo er sich gegen harte Konkurrenz bestens durchsetzte, aus Werbegründen den Pariser Meisterbrief erwarb und ein „ständiges Verkaufsmagazin“ einrichtete, das bis zur Französischen Revolution für Riesengewinne sorgte. Sein Pariser Erfolg war für Europas Fürsten, die alles Französische be­gehrten, Werbung genug. 

Roentgens Möbel hatten Hochkonjunktur. Er beschäftigte über 40 Mitarbeiter, zeitweilig sogar rund 100, arbeitete mit dem Graveur Elie Gervais, der vor allem Entwürfe für Blumen-Marketerien lieferte, mit dem Koblenzer Hofmaler Januarius Zick und dem Uhrmacher Peter Kinzing zusammen, der technische Konstruktionen beisteuerte, und ging zur Serienbauweise über. Dabei entstanden Zylinderschreibtische, Musikautomaten und technisch sowie künstlerisch ausgeklügelte Standuhren. Allein siebenmal weilte der Möbel-Künstler mit einigen Wagenladungen bei Kaiserin Katharina II. in Russland, die sich ebenfalls für seine Möbel begeisterte. 

Nach der Französischen Revolution von 1789 kam es zeitweilig zu einem Umsatzeinbruch. Roentgen musste mehrfach im Gefolge der Koalitionskriege von Neuwied in andere Herrnhuter Brüdergemeine fliehen, lebte vom Verkauf geretteter Restmöbel und lebte ab 1801 wieder in der heimischen Brüdergemeine, die ihn neuerlich aufgenommen hatte. 

Am 12. Februar 1807 starb der Möbel-Künstler auf einer Arbeitsreise an den Hof des Herzogs von Berg in Wiesbaden an den Folgen einer Lungenentzündung. Katharine Dorothea Roentgen, seine Witwe, heiratete in zweiter Ehe 1812 den ebenfalls europaweit bekannten Lackfabrikanten Jo­hann Heinrich Stobwasser aus Braunschweig, dessen Tochter schon zuvor einen Roentgensohn geheiratet hatte. Von den sechs Roentgenkindern erreichten nur drei das Erwachsenenalter. 

Einige Mitarbeiter von Roentgen errichteten schon vor dessen Tod und danach eigene Werkstätten in der Tradition von Roentgen. Dazu gehörten Johann Anton Reusch in Neuwied, Johann Wilhelm Kronrath in Weimar, Christian Knesing in Leipzig, David Hacker in Berlin, Christian Härder in Braunschweig, Heinrich Gambs in Petersburg und Johann Gottlieb Frost in Paris. Die Roentgenjünger profitierten noch lange vom Ruf ihres Lehrmeisters.

Goethe verewigte die Bedeutung Roentgens in seinen Schriften und Briefen. Dazu gibt es eine umfangreiche Literatur, die sich mit dem Wirken des berühmten Ebenisten – Kunstschreiners –beschäftigt. In Neuwied existiert neben einer Schule, die seinen Namen trägt, auch ein Roentgen-Museum, das die Erinnerung an ihn pflegt. Außerdem erzielen Roentgen-Möbel bei Versteigerungen seit Langem Höchstgewinne. Sie sind beim Geldadel sehr gefragt. 

Für Weimar steht die Frage, wann die gehorteten Möbel-Kostbarkeiten ein zweites Mal für die Öffentlichkeit zu sehen sein werden, noch aus. Es wird frühestens nach der Schlosssanierung 2023 der Fall sein.