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17.08.18 / Schöner warten / Blickfang an Landstraßen in Osteuropa – Bushaltestellen als Kunst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-18 vom 17. August 2018

Schöner warten
Blickfang an Landstraßen in Osteuropa – Bushaltestellen als Kunst
Nils Aschenbeck

Flug- oder Zugreisende werden sie nicht sehen. Wer hingegen durch die ehemalige Sowjetunion mit dem Auto über die oft schlechten Landstraßen fährt, der wird die überraschenden Begleiter am Straßenrand wahrnehmen. Zuerst wird er sich womöglich ob der bunten Vielfalt wundern, mit der Zeit wird er dann aber vermutlich regelrecht darauf warten, dekorierte Mosaik-Bushaltestellen an seiner Route zu entdecken. 

In der Sowjetunion entstanden vor allem in der zweiten Hälfte der Ära Breschnew, in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, individuell geschmückte Bushaltestellen. Vor allem in der Ukraine und in Georgien sind noch heute zahlreiche der kunstvoll gestalteten Kleinarchitekturen erhalten, in Kasachstan trifft man auch auf Beton-Skulpturen, im Baltikum auf Holzhütten. Architekten und Künstler gestalteten damals tausende Haltestellen im gesamten Reich – und jede ist anders. Vermutlich war es das zumindest flächenmäßig größte Kunstprojekt, das je realisiert worden ist. 

Was war der Zweck der Gestaltung, weshalb wurde dieser Aufwand getrieben? Bis heute ist das Thema kaum wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Bemerkenswert ist, dass die Haltestellen eher nicht der Propaganda dienten. Man findet nur sehr selten Busstationen mit rotem Stern oder einem stilisierten Lenin. 

Die Mosaike zeigen stattdessen regionale Muster (beispielsweise die typischen Osterei-Dekorationen in der Ukraine), heimische Tiere, benachbarte Burgen und – das mag im gleichmachenden System der Sowjetunion überraschen – lokale Völker. So begleiten an der Landstraße von Ivano Frankiwsk nach Tschernowitz mehrere Haltestellen den Weg, die das Karpatenvolk der Huzulen thematisieren. Die Huzulen sind an ihrer Tracht und an den Musikinstrumenten erkennbar. 

In der nordwestlichen Ukraine haben Künstler an der Strecke von Lemberg nach Luzk Bushaltestellen geschaffen, die den französischen Kubismus zitieren. Man mag ein wenig die Anregungen Picassos, der auch in der Sowjetunion verehrt wurde, spüren. 

In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion finden die Mosaik-Bushaltestellen heute wenig Be­achtung. Erst die Neugier westlicher Reisender – mehrere Bildbände sind inzwischen zu den dekorierten Häuschen erschienen – weckt auch vor Ort allmählich das Interesse an den Mosaiken. Doch trotz der aus dem We­sten kommenden Touristen und trotz neuer Internet-Seiten, die in ersten Ansätzen den Bestand dokumentieren, befinden sich viele Mosaik-Haltestellen in einem traurigen Zustand. An einigen lösen sich die Mosaik-Steine bereits von den Wänden, in anderen werden die Bilder überklebt oder gar mit Graffiti besprüht. 

Bei Straßenbaumaßnahmen wurden in jüngster Zeit immer wieder Haltestellen, die einer Verbreiterung im Wege standen, abgerissen. Die kunstvoll dekorierten Kleinarchitekturen, die es so nirgendwo sonst auf der Welt gibt, sind in ihrem Bestand be­droht.