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24.08.18 / Waterkant-Story / Vor 100 Jahren wurde Leonard Bernstein geboren – In Schleswig-Holstein fühlte er sich wie zu Hause

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-18 vom 24. August 2018

Waterkant-Story
Vor 100 Jahren wurde Leonard Bernstein geboren – In Schleswig-Holstein fühlte er sich wie zu Hause
Helga Schnehagen

Leonard Bernstein, als Musiker so vielseitig wie kein anderer vor oder nach ihm, wäre am 25. Au­gust 100 Jahre alt geworden. Ge­gen Ende seines Lebens fühlte sich der US-Amerikaner fast wie ein Schleswig-Holsteiner.

Wie soll man einen Menschen beschreiben, dessen Talent und Energie, kurz dessen Genie, derart überragend ist? Georg Wübbolt hat das vom 25. August 1918 bis 14. Oktober 1990 reichende Leben von Leonard Bernstein in einer Doku für ZDF und 3sat zu dessen 25. Todestag behandelt. „Für mich“, so der Autor und Regissseur, „ist Bernstein der umfassendste Musiker seiner Zeit, vielleicht aller Zeiten: Äußerst erfolgreicher Komponist, weltweit umjubelter Dirigent und ‚from the bottom of his heart‘, mit Leib und Seele, Lehrer.“

Wübbolts Titelidee war „Larger Than Life“, größer als das Leben. In Anlehnung an Bernsteins Er­folgsmusical „West Side Story“, in dessen Anschluss der Film im Oktober 2015 erstmals gesendet wurde, erhielt er den Namen „Bernstein Story“. Die käuflich zu erwerbende DVD jedoch heißt nach der Ursprungsidee „Larger Than Life“.

Am 25. August wiederholt 3sat das bewährte Programm: 20.15 Uhr die legendäre Filmfassung der „West Side Story“ von Robert Wise und Jerome Robbins mit Natalie Wood und Richard Beymer in den Hauptrollen. Die Verfilmung von 1961 des frei auf Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“ basierenden Musicals er­hielt zehn Oscars und gilt als ein Meilenstein in der Geschichte des Musical-Films. Um 22.40 Uhr folgt Wübbolts besagte Doku und um 23.30 Uhr „Leonard Bernstein – Reflections“. Der preisgekrönte Film von Peter Rosen von 1978 eröffnet mit dem Porträt des Musikers und Menschen einen anderen Blickwinkel.

Ist über Bernstein also alles gesagt? Seit der Wübbolt-Doku gibt es zu dessen 100. Geburtstag mindestens zwei Neuproduktionen. Der 55-minütige Film von Thomas von Steinäcker „Leonard Bernstein – Das zerrissene Genie“ zeigt den Musikstar, wie ihn bislang kaum jemand kannte: als Zweifler, der glaubt, sich und der Welt etwas schuldig zu sein. Einer, der an der selbst gestellten Aufgabe, nach der West Side Story auch eine große amerikanische Oper zu schreiben, welche die Ge­schichte des Landes spiegelt und die Bevölkerung politisch eint, fast zerbricht. Dazu erzählt Bernsteins langjähriger Assistent John Mauceri von dessen fortwährendem musikalischen Kampf, geben Bernsteins Kinder Jamie, Nina und Alexander neue Einblicke in das Leben ihres Vaters.

Auf Spurensuche in New York, Los Angeles, Washington und Wien geht Axel Fuhrmann in seiner neuen Doku über die 1957 uraufgeführte „West Side Story“. Der Film erzählt die spannende Entstehungsgeschichte des Musicals, was es Bernstein bedeutete, wie es zu einem Welthit wurde und wie aktuell der Stoff heute noch ist. Beide Filme wurden erstmals am 19. August auf Arte gezeigt. Beide sind jedoch in der Arte-Mediathek unter www.arte. tv abrufbar: Fuhrmanns „West Side Story“ ist dort noch bis zum 26. August, die Steinäcker-Doku „Leonard Bernstein – Das zerrissene Genie“ sogar noch bis zum 17. November freigeschaltet.

Bernstein-Kenner Wübbolt er­gänzt: „Es ist mittlerweile schwer, etwas Neues über Bernstein herauszufinden, erst recht, wenn es von Belang sein soll. Es gibt ja mehr als 100 Bücher über ihn, so viele wie von keinem anderen Dirigenten. Und wenn man sich den Himalaya an Material an­schaut, der in der Washingtoner Library of Congress liegt, welches Bernstein alles fein gesammelt und für die Nachwelt aufbewahrt hat, dann hätten da Scharen von Doktoranden jahrzehntelang zu tun.“ Wübbolt fügt hinzu, dass Bernsteins Tochter Jamie aktuell ein Buch aus Familien-Insider-Sicht geschrieben hat. Titel: „Famous Father Girl“ (Tochter eines berühmten Vaters). Außerdem hat Charlie Harmon, der ein paar Jahre der Assistent des Komponisten war, mit „On the Road and Off the Record“ (Unterwegs und vertraulich) „ein paar unappetitliche Dinge ausgeplaudert“.

Einfach nur schön geht es in dem Bildband „I fell in love with Schleswig-Holstein“ zu, den das Schleswig-Holstein-Musik-Festival (SHMF) zum Jubiläum herausgegeben hat (siehe PAZ vom 

17. August). Er zeigt Bernstein als empathischen Pädagogen des Festivalorchesters, im Gespräch mit berühmten Zeitgenossen, bei Segeltörns auf der Ostsee, beim Karpfenfangen mit dem verstorbenen Ex-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, oder unter Freudentränen mit Helmut und Loki Schmidt. 

Sein erstes Konzert in Deutschland gab Bernstein bereits zu einer Zeit, als viele US-Künstler dieses Land noch boykottierten. 1945 musizierte er im zum Militärkrankenhaus umfunktionierten Kloster St. Ottilien bei Augusburg. Und am 10. Mai 1948 spielte der jüdische Musiker ukrainischer Abstammung mit 20 Holocaust-Überlebenden im Landsberger Stadttheater. „Mein Herz hat geweint“, erklärte der 29-jährige Jungstar damals. „Es war schön, durch Musik sich den Menschen zu nähern, die vorher nur Hass empfunden hatten.“

Am 25. August wird SHMF-Gründungsintendant Justus Frantz zum Finale des diesjährigen Musikfestivals in Kiel mit Beethovens Neunter an eines von Bernsteins letzten großen Konzerten erinnern. An jenes Konzert, welches der Superstar an­lässlich des Mauerfalls Weihnachten 1989 in Berlin gab. Dazu hatte Bernstein Musiker aus Westdeutschland und der DDR eingeladen so­wie aus den vier Besatzungsmächten USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien. Für alle Zeiten unvergesslich bleibt der Moment, als Bernstein den Chor „Ode an die Freiheit“ statt „Ode an die Freude“ singen ließ.

Doch nicht das Jüdische Mu­seum in Berlin, sondern das Wiener Museum Judenplatz feiert Bernsteins Geburtstag mit einer Sonderausstellung vom 17. Okto­ber bis 5. Mai 2019: Eine ihrer Fragen lautet: Warum wollten die nationalsozialistisch belasteten Wiener Philharmoniker bereits 1946 den jungen jüdisch-amerikanischen Dirigenten Bernstein engagieren, der erst drei Jahre zuvor sein Debüt am Pult der New Yorker Philharmoniker gegeben hatte? Warum dirigierte Bernstein damals stattdessen lieber in Palästina? Warum kam er aber dann 1966 nach Wien? Und warum waren die Wiener dermaßen begeistert von ihm? 

Bleibt zu sagen: Bernstein eroberte nicht nur Wien, sondern die ganze Welt. Eine musikalische Burg errichtete er sich aber in Schleswig-Holstein, wo der Komponist der „West Side Story“ an seinem Lebensende seine ganz persönliche Waterkant-Story ge­schrieben hat.