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24.08.18 / Ein Notruf an die Völker der Welt / Persönliche Erfahrung machte aus Ernst Reuter einen Gegner der Kommunisten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-18 vom 24. August 2018

Ein Notruf an die Völker der Welt
Persönliche Erfahrung machte aus Ernst Reuter einen Gegner der Kommunisten
Klaus J. Groth

Es war ein Hilferuf: „Ihr Völker der Welt ...! Schaut auf diese Stadt ...!“ Ernst Reuter, Volkstribun und Stadtrat der geteilten Stadt Berlin, hatte ihn während der Berlin-Blockade der Sowjets am 9. September 1948 vor dem zerstörten Reichstag ausgerufen. Ein Satz, der bis heute zitiert wird. Wie man Wirkung erzielt, hatte Reuter in Moskau erlernt. 

Geboren am 29. Juli 1889 in Apenrade, in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein, orientierte Reuter sich früh sozialdemokratisch. Seiner familiären Umwelt gefiel das nicht. Als Reuter 1912 der SPD beitrat, strichen seine Eltern alle finanziellen Zuwendungen. Reuter hielt sich als Hauslehrer über Wasser, wurde aber entlassen, als seine Tätigkeit für die SPD bekannt wurde. Der Vater der Verlobten Reuters beendete das Verhältnis zu seiner Tochter. In der Folgezeit schlug sich Reuter als sozialdemokratischer Wanderredner durch.

Die Einberufung zum Militär 1915 beendete das unstete politische Leben vorerst. Mit seiner Einheit an die Ostfront verlegt, wurde Reuter 1916 schwer verwundet. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft, lernte die russische Sprache. Er setzte seine Hoffnung in die Bolschewiki. Die Oktoberrevolution 1917 war ein Zeichen der Hoffnung, das sich für ihn persönlich erfüllte. Der russisch sprechende Sozialist wurde zum Direktor jenes Bergwerkes, in dem er zuvor hatte schuften müssen. Er löste seine Aufgabe so erfolgreich, dass er 1918 als Vorsitzender eines internationalen Gefangenenkomitees nach Moskau berufen wurde. Seine wichtigste Aufgabe sah Reuter darin, unter den Kriegsgefangenen Revolutionäre zu rekrutieren, die nach dem Krieg in Deutschland die kommunistische Zukunft durchsetzen sollten. 

Nach dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk sahen Lenin und Stalin Größeres für Reuter vor. Sie machten ihn zum Volkskommissar der Wolgadeutschen. Er sollte aus den deutschen Kolonisten loyale Kommunisten machen, die Versorgung Moskaus und Petrograds mit Getreide sichern und Kontakt zu den Vertretern des kaiserlichen Deutschland halten. Er setzte die sozialistische Bodenreform mit gewaltsamen Enteignungen durch. Reuter erledigte seinen Auftrag zur Zufriedenheit Lenins und Stalins. Im Oktober 1918 galt die Aufgabe als erfolgreich beendet. Reuter wurde in die Führungsspitze des wolgadeutschen Sowjetkongresses gewählt. Nach getaner Arbeit reiste er nach Moskau. Dort erreichte ihn die Nachricht von der Novemberrevolution in Deutschland. Seine Aufgaben waren jetzt dort. Ihn begleitete ein Empfehlungsschreiben Lenins an Clara Zetkin: „Der junge Reuter ist ein brillanter und klarer Kopf, aber ein wenig zu unabhängig.“

Im Dezember 1918 war Reuter wieder in Berlin. Am Gründungskongress der Kommunistischen Partei Deutschlands nahm er als Vertreter seiner Auftraggeber in Moskau teil. Die Partei schickte den erfahrenden Genossen aus Moskau ins instabile Oberschlesien, um zu agitieren. Das Ergebnis qualifizierte ihn für weitergehende Aufgaben, den Aufbau der KPD in Berlin. In den wirren Jahren der Partei schaffte es Reuter an die Spitze.

Als Linker unter den Linken wurde Reuter Vorsitzender der Kommunisten im Bezirk Berlin. Er befürwortete den Versuch einer Revolution in Mitteldeutschland. Erst der energische Einspruch Lenins und Trotzkis brachte ihn davon ab. Gestützt von der Parteiführung in Moskau, wurde Reuter 1921 zum Generalsekretär der KPD gewählt. Ende 1921 veröffentlichte die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ Pläne der KPD, bei der geplanten Revolution durch Sprengstoffattentate unter falscher Flagge, nämlich der der „Reaktion“, Unruhen auszulösen. Reuter verlangte Aufklärung, die Partei mauerte. Es kam zum Bruch. Die Partei schaffte im Dezember 1921 Reuters’ Amt des Generalsekretärs ab, im Januar 1922 schloss sie den unbequemen Reuter aus. 

Mit journalistischen Arbeiten schlug er sich durch, bis er 1926 für die SPD in Berlin zum Stadtrat für Verkehr gewählt wurde. Unter seiner Regie entstand die Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVG), zu der Zeit weltweit das größte öffentliche Nahverkehrsunternehmen. 

1931 wechselte Reuter als Oberbürgermeister nach Magdeburg. Zusätzlich übernahm er 1932 ein Reichstagmandat. Beschuldigt der staatsfeindlichen Tätigkeit als Mitglied der KPD, wurde Reuter 1933 verhaftet. Es folgten mehrere Inhaftierungen im KZ, bei denen der Häftling erheblich misshandelt wurde. Im September 1934 wurde er entlassen. Reuter verließ Deutschland, reiste nach England und nahm 1935 in der Türkei als Fachmann für Tarifwesen eine Arbeit in der Regierung auf. 

Politisch hielt sich Reuter in der Türkei zurück. Ab 1942 plante er für die Zeit nach dem Krieg. Er wandte sich gegen die These von der Kollektivschuld. Im „Deutschen Freiheitsbund“ produzierte er Rundfunkbeiträge, die dem US-amerikanischen Geheimdienst positiv auffielen. Doch es waren die Briten, die ihm 1946 die Rückkehr nach Deutschland ermöglichten. Aus Berlin erhielt er das Angebot, für den Magistrat zu arbeiten. Die Sowjets, für die noch eine alte Rechnung offen war, versuchten, das zu verhindern, die Briten und Amerikaner aber stützten Reuter. Der Streit setzte sich fort, als Ernst Reuter in der Vier-Sektoren-Stadt zum Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters vorgeschlagen wurde. 

Die Alliierte Kommandantur lehnte den Kandidaten Reuter ab. Mit seinen Moskauer Erfahrungen blieb er im Kalten Krieg ein gesuchter Gesprächspartner der Amerikaner und Briten. 

Mit der Einführung der D-Mark spitzte sich die Situation zu. Mos­kau löste die Berlin-Blockade aus. Reuter setzte sich für eine Luftbrücke ein. In der Öffentlichkeit wurde er zum Volkstribun. Als solcher hielt er auch seine bekannte Rede vor 300000 Menschen: „Ihr Völker der Welt ...! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!“

Aus der nach der Teilung der Stadt notwendigen Neuwahl einer Stadtverordnetenversammlung in den Westsektoren ging Reuters SPD mit 64,5 Prozent der Stimmen als klarer Sieger hervor. Zwei Tage später, am 7. Dezember 1948, wählten die neugewählten Stadtverordneten einstimmig Reuter zum Oberbürgermeister. Er blieb in diesem Amt beziehungsweise dem des Regierenden Bürgermeisters, das durch die 1950 in Kraft getretene Verfassung von Berlin an dessen Stelle trat, bis zu seinem Tod am 29. September 1953.