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24.08.18 / Tauberwein für den Frieden / Historische Festspiele zum Dreißigjährigen Krieg in deutschen Städten – Laien spielen damalige Schlachten und Kuriositäten nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-18 vom 24. August 2018

Tauberwein für den Frieden
Historische Festspiele zum Dreißigjährigen Krieg in deutschen Städten – Laien spielen damalige Schlachten und Kuriositäten nach
Helga Schnehagen

Die ehemaligen fränkisch-schwäbischen Reichsstädte Bad Windsheim, Rothenburg ob der Tauber, Dinkelsbühl und Nördlingen ha­ben eines gemeinsam: Sie konnten ihr altdeutsches Stadtbild bewahren. Vieles sieht so aus wie zu Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs vor 400 Jahren. 

Befinden wir uns tatsächlich im Jahr 2018? Auf der Terrasse von Rothenburgs Hotel „Reichsküchenmeister“ sitzen sie unter der alten Kastanie gemütlich beim Bier: die Kaiserlichen und die Rothenburger anno 1631. Dass Rothenburg ob der Tauber (11085 Einwohner) seine Geschichte noch immer mit aller Inbrunst lebt, wurde vor Kurzem sogar offiziell besiegelt. Höhepunkt sind die Pfingstfestspiele, bei denen die Bürger seit 1881 im Kaisersaal des Rathauses mit dem „Meistertrunk“ an die Rettung ihrer Stadt durch Altbürgermeister Nusch erinnern. Diesem gelang es, einen Humpen mit dreiviertel Liter Tauberwein in einem Zug zu leeren und damit den katholischen General Tilly dermaßen zu beeindrucken, dass dieser die Stadt verschonte. 

An die 1000 Mitwirkende in historischen Gewändern, 40 Kö­che und Schürer, 88 Pferde, 

17 Kutschen, 20 Fanfaren, 27 Piccolos, 35 Trommeln, zwölf Flöten, vier Sackpfeifen, zwei Geigen, 20 Kilo Schießpulver, 18 Kanonenschüsse, über 100 Böllerschüsse und, und, und erwecken dazu Rothenburgs Geschichte zum Leben. Bei den Reichsstadttagen vom 7. bis 9. September blättert sich die gesamte Stadtgeschichte mit ebenso vielen Mitwirkenden nochmals auf. Der Meistertrunk kommt dabei am 8. September erneut zur Aufführung, genauso wie am 6. Oktober anlässlich der städtischen Herbstwanderwoche.

Die originalgetreuen Uniformen und Kleider, die dafür sorgen, dass sich Darsteller und Zuschauer wie im Dreißigjährigen Krieg fühlen, werden nicht nur vom Meistertrunk-Verein in Rothenburg sorgfältig gepflegt. Im 45 Ki­lometer südlich gelegenen Dinkelsbühl (11600 Einwohner) steht dem Fundus der „Kinderzeche“ mit seinen mehr als 1000 Kostümen, Schuhen, Uniformen und Waffen seit 2007 ein ganzes Zeughaus zur Verfügung: der vorbildlich sanierte 500 Jahre alte einstige Kornspeicher der Stadt.

Hans-Peter Mattausch, Vorstand der Kinderzeche, ist mit Recht stolz auf seine Kleiderkammer, die Schülerinnen und Schüler der Klassen eins bis acht aller Dinkelsbühler Schulen und weitere 1100 einheimische Bürger in Einwohner des 17. Jahrhunderts verwandelt. Als sich die Stadt am 

11. Mai 1632 kampflos den Schweden ergab, zog Lore, die Türmers­tochter, samt einer ganzen Kinderschar dem schwedischen Ob­risten entgegen, eroberte sein Herz und rettete damit Dinkelsbühl vor der Plünderung und Zerstörung.

Aus dem Kinder- und Heimatfest, das auf ein im 16. Jahrhundert erstmals veranstaltetes Schulfest zurück­geht – daher der Name –, wurde 1897 das mit dem Dreißigjährigen Krieg verknüpfte historische Festspiel. Seit 2016 steht die Kinderzeche neben dem Meistertrunk im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes. 

Das gesellige Vereinsleben und der Kontakt mit Gleichgesinnten hat auch „Die Getreuen des Königs Gustav Adolf 1632 e.V.“ ins Vereinsregister befördert. Die Historiengruppe hat seit 2015 ihr Domizil im Turm des Nördlinger Tors. Ihre Mitglieder zelebrieren die Schwedenzeit, wenn diese in Dinkelsbühl auch nur zwei Jahre dauerte. Schon 1634 nach der Schlacht bei Nördlingen kam Dinkelsbühl wieder unter kaiserliche Hoheit. In der historischen Wachstube im Nördlinger Tor blickt man auf Piken, Hellebarden, Schwerter, Rapiere und Vorderlader. Daneben beschreiben 30 Informationstafeln in einer Sonderausstellung den Verlauf des Krieges von 1618 bis 1648 Jahr für Jahr. 

Mehr Spaß als die museale Aufarbeitung macht mit Sicherheit die lebendige Darstellung. Nach Aussage des „Schwedischen Obristen“ Thomas Ballas von der Interessengemeinschaft Dreißigjähriger Krieg aus Nördlingen (20000 Einwohner) gibt es dazu jährlich bundesweit mehr als 100 Feste. „Dabei wollen wir“, so Ballas, „den Krieg nicht verherrlichen, sondern auf seine Schrecken hinweisen.“ 

Wer möchte, kann sich quasi jedes Wochenende Pulverdampf um die Nase wehen lassen, an historischen Lagerleben oder authentischen Nachstellungen, dem sogenannten Reenactment, Stadtfesten oder Umzügen teilnehmen. Das größte regelmäßige Historienfestspiel mit 4500 Teilnehmern findet alle vier Jahre, zuletzt 2016, in Memmingen statt. Es spielt Wallensteins dortigen Aufenthalt von 1630 nach. 

Zahlenmäßig nah kommt Nördlingens alle drei Jahre stattfindendes Historisches Stadtmauerfest mit etwa 4000 mittelalterlich kostümierten Bürgerinnen und Bürgern (nächstes Mal vom 6. bis 8. September 2019). Den Reenactment-Bedarf, wie etwa Musketenkugeln, bieten dazu nicht nur in Nördlingen spezialisierte Fachgeschäfte an.

Wie es genau im Dreißigjährigen Krieg zuging, beschreibt der Söldner Peter Hagendorf in seinem Tagebuch, das 1988 im Handschriftenverzeichnis der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin gefunden wurde. Auch, dass er seine Frau zum Plündern schickte, als er einmal unpässlich war. Hagendorf begleitet die Themen-Ausstellungen zum Dreißigjährigen Krieg sowohl im Haus der Geschichte von Dinkelsbühl als auch im Stadtmauermuseum von Nördlingen. Während im ersten die konfessionelle Spaltung der Stadt im Vordergrund steht, fokussiert sich letzteres auf die Entscheidungsschlacht bei Nördlingen, welche die Vormacht der Schweden beendete. Den fränkischen Protestantismus insgesamt beleuchtet die Dauerausstellung in der profanierten Spitalkirche von Bad Windsheim (12379 Einwohner).

Aus dem Boden von Windsheim sprudeln Heil-, Thermal- und Solequellen. Das gesunde Nass hat den Ort aus seinem Dornröschenschlaf nach dem ruinösen Konfessionskrieg erweckt. Allein die 2006 eröffnete Franken-Therme mit ihren acht Becken und einem Salzsee (26,9 Prozent Salzgehalt) zieht jährlich rund 450000 Besucher an – und sorgt für Entspannung nach dem trockenen Bad in der Geschichte. 


Infos zu allen Veranstaltungen des Gedenkjahres im Internet: www.reichsstaedte-1618.de