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24.08.18 / Zustände wie im sowjetischen Gulag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-18 vom 24. August 2018

Zustände wie im sowjetischen Gulag
Manuela Rosenthal-Kappi

Als „Staat im Staat“ bezeichnete kürzlich der UN-Ausschuss-Vorsitzende gegen Folter, Jens Modvig,  das Gefängnissystem in Russland, nachdem die unabhängige Zeitung „Nowaja Gazeta“ einen zehnminütigen Film im Netz veröffentlicht hatte, in dem zu sehen war, wie Gefängniswärter den Häftling Jewgenij Makarow misshandeln. Einer Anwältin war es gelungen, den Film aus dem Gefängnis herauszuschmuggeln. Der Fall sorgte nicht nur für eine Rüge der UN, sondern er führte in Russland zu einer Welle der Empörung. Die russische Regierung versprach, die folternden Gefängniswärter und die Gefängnisleitung zur Rechenschaft zu ziehen. 

Dass Demütigungen und Foltern von Gefangenen in russischen Haftanstalten wie zu Zeiten der sowjetischen GULags nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, schildert Ildar Dadin in seinem fesselnden Erlebnisbericht „Der Schrei des Schweigens“. Die Mitautorin Birgit Virnich ist ARD-Kor-

respondentin in Moskau und gehört zu den engsten Vertrauten Dadins. Sie verfolgte seinen Fall seit dessen Inhaftierung.

Der 36-jährige Dadin stammt aus einem Vorort von Moskau. 2011 war der Wachmann bei der Parlamentswahl als Wahlbeobachter eingesetzt. Nachdem er massive Fälle von Wahlbetrug beobachtet hatte, schloss er sich der Protestbewegung an. Auf dem Höhepunkt der Proteste demonstrierte er mit den Massen auf dem Moskauer PLatz „Bolotnaja Ploschtschad“. Wie zahlreiche andere wurde er mehrmals verhaftet und wieder freigelassen. Auf dem Gipfel der Ukrainekrise reiste er nach Kiew, um auf dem Majdan gemeinsam mit Ukrainern gegen Russland aufzutreten. 

Ins Visier der Sicherheitsbehörden geriet er erst, als die Massenproteste in Moskau abebbten, er sich aber weiter für Meinungsfreiheit in Russland engagierte. Mit selbstgebastelten Plakaten hielt er vor dem Kreml Mahnwachen wegen der Ukrainekrise und wegen Putin. Auf einem der Plakate war zu lesen: „Putin ist Russlands Tod“ (siehe Buchumschlag). Damit hatte er gegen das verschärfte Demonstrationsrecht verstoßen, und die folgende Verhaftung führte zur Verurteilung zu drei Jahren Lagerhaft in der berüchtigten Strafkolonie IK-7, in der auch Putin-Kritiker Boris Chodorkowskij jahrelang einsaß. 

Dort erlebte Dadin die Hölle auf Erden. Weil er sich weigerte, die willkürlich festgelegten Gefängnisregeln zu befolgen und dem Direktor selbstbewusst mit Forderungen entgegentrat, wurde sein Widerstand gewaltsam gebrochen. Ohne zu erfahren, wie die Anklage lautet, wurde er aufs Übelste gedemütigt und gefoltert: Nur in Unterwäsche gekleidet musste er wochenlang im „Isolator“, einem dunklen Raum bei eisiger Kälte, ausharren. Zu Essen bekam er gerade nur so viel, dass er überlebte. Die Wärter überzogen ihn mit Prügelattacken, wobei Fußtritte und Faustschläge in die Weichteile zu ihrem üblichen Ritual gehörten. 

Fadenscheinige Anschuldigungen, etwa weil er seinen allmorgendlichen Spruch nicht richtig aufsagte, führten zur Verlängerung der Isolation. Dadin erfuhr am eigenen Leib, was Schlafentzug und „Water-

boarding“ (in Dadins Fall wurde sein Kopf in die Toilettenschüssel gesteckt und abgezogen), bedeuten. In einem Brief an seine Frau berichtete er von der illegalen Folter. Über soziale Netzwerke erfuhr die Öffentlichkeit von dem Fall. Amnesty International und die russische Menschen-rechtsorganisation Memorial schalteten sich ein. Auf den Druck hin wurde Dadin freigelassen.

Statt auszuwandern wie viele seiner Mitstreiter, will Dadin jedoch weiter für Meinungsfreiheit und Demokratie in Russland kämpfen. Das sei er denjenigen schuldig, die weniger Mut und Kampfeskraft haben, so Dadin. 

Mit seinem Erfahrungsbericht will der Aktivist vor allem die im Stalinismus steckengebliebene Struktur der Gefängnisse mit ihren unmenschlichen Wärtern demas-kieren, deren fehlendes Unrechtbewusstsein ihn zutiefst schockiert hat..

Ildar Dadin/Birgit Virnich: „Der Schrei des Schweigens. Mein Leben für die Freiheit in Russland“, Europa Verlag, München 2018, 216 Seiten, 19,90 Euro