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31.08.18 / Die Kunst des Teilens / Polnische Unabhängigkeit kann man in Museen ganz weit auslegen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-18 vom 31. August 2018

Die Kunst des Teilens
Polnische Unabhängigkeit kann man in Museen ganz weit auslegen
Chris W. Wagner

Die Europäischen Tage des Kulturerbes an den Wochenenden 8. bis 9. und 15. bis 16. September stehen in Niederschlesien unter dem Motto „Die Kunst des Teilens – Unabhängigkeit für alle”. Koordiniert wird das Fest des Kulturerbes durch das Ethnographische Museum Breslau, das eine Abteilung des Breslauer Nationalmuseums ist.

2018 wird in Polen das 100. Jubiläum der Unabhängigkeit groß gefeiert. Deshalb werden alle Festivitäten auf dieses Jubiläum ausgerichtet. 60 Institutionen werden an 40 Orten das Kulturerbe Niederschlesiens mit dem gesamtpolnischen Jubiläum verknüpfen – egal ob dies nun Sinn macht oder mangels regionalhistorischer Bezüge eben nicht. In der historischen Waldenburger Thorez-Grube, die zu einem modernen Kulturzentrum umgewandelt wurde, wird die Industrialisierung und der technische Fortschritt gefeiert. Und da es schwierig ist, in der Zeit der Industrialisierung des 18. und 19. Jahrhunderts ein polnisches Kulturerbe Waldenburgs hervorzuheben, hat man sich dort als Leitthema „Multikulturelle Unabhängigkeit“ ausgedacht. So können Besucher am 15. September auf den Spuren der Porzellangeschichte wandeln und in einer Wanderung durch Waldenburg Unikate der postindustriellen Architektur bewundern. Des Weiteren werden Vorträge zum Leben der nach dem Krieg zugezogenen Polen aus dem ehemaligen Ostpolen und aus Frankreich gehalten.

Hingegen vermisst man bei Durchsicht der diesbezüglichen Veranstaltungen das Schicksal der in und um Waldenburg festgehaltenen Deutschen. Dabei leben noch Zeitzeugen, die über die Nachkriegszeit in etwaigen Veranstaltungen zu erzählen wüssten. Doris Stempowska aus dem nahen Fürstenstein [Ksiaz], die langjährige Vorsitzende der Waldenburger Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft, hat ihr Leben lang hier gelebt. Sie erinnert sich selbst an die Fürstin Daisy von Pless, die auf Schloss Fürstensteil lebte, und kennt so manche Anekdote von damals. An die Polen, die nach dem Krieg aus Frankreich kamen, erinnert sich Manfred Richter, der heute in Hildesheim lebt. Er war einer der etwa 30000 Deutschen, die in den Jahren 1945 bis 1958 im nun polnischen Niederschlesien festgehalten wurden, da Fachleute aus Bergbau und Textil- oder der Porzellanindustrie unentbehrlich waren. „Die Franzosenpolen hätten sich schnell mit der größten Minderheitengruppe in Waldenburg, den Deutschen, angefreundet“, erinnert sich Richter, „da beide Gruppen eine ähnliche kulturelle Prägung hatten.“ Richter wird heute noch bei seinen Heimatbesuchen von den „Franzosenpolen“ gerne eingeladen.

Das Ethnographische Museum in Breslau bleibt an den Kulturerbe-Wochenenden ausschließlich dem „Unabhängigkeitsjubiläum“ verbunden. So werden jüdische Künstler der Anders-Armee vorgestellt, polnische patriotische Lieder der Zwischenkriegszeit oder Filmmaterial aus dem polnisch-sowjetischen Krieg präsentiert. Im Ossolineum – dem ehemaligen Polnischen Nationalinstitut aus Lemberg, das nach dem Krieg in Breslau seinen neuen Sitz fand – erinnert eine Plakat-Ausstellung 1918 bis 1920 an das Polen der Zwischenkriegszeit und Fotomaterial aus Breslau 1945 bis 1950 zeigt den Wiederaufbau der schlesischen Metropole.

Auch die Breslauer Oper macht bei dem europäischen Kulturfest mit, das natürlich mit der Überschrift „Polnische Unabhängigkeit“ in das bekannte Korsett gezwängt wird. Die Oper öffnet sich den Besuchern aus einer sonst nur Künstlern und Bühnenbildnern zugänglichen Perspektive. Das Gebäude ersetzte 1841 einen erheblich kleineren und bereits sehr heruntergekommenen Bau von Carl Gotthard Langhans aus dem Jahr 1782. Der Neubau der Breslauer Oper in der Schweidnitzer Straße entstand nach dem Entwurf von Carl Ferdinand Langhans, dem Sohn des Architekten. Das Haus wurde nach zwei Bränden 1865 und 1871 umgebaut und im Krieg nicht zerstört. 1804 wurde der damals erst 17-jährige Carl Maria von Weber als Kapellmeister und erster Generalmusikdirektor engagiert. Immerhin – wenn man nur einige Male um die Ecke denkt – kann man das Korsett Polnische Unabhängigkeit also auch elegant abschütteln.