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07.09.18 / Die Ruhe vor dem Sturm / Waffenstillstand zwischen den Koalitionären bis zu den Landtagswahlen im Oktober

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-18 vom 07. September 2018

Die Ruhe vor dem Sturm
Waffenstillstand zwischen den Koalitionären bis zu den Landtagswahlen im Oktober
Peter Entinger

Seit der Sommerpause herrscht innerhalb der Großen Koalition vordergründig Ruhe. Doch spätestens nach den Landtagwahlen in Bayern und Hessen droht ein heißer Herbst.

Es waren noch nicht alle Minister aus der Sommerferien zurück­gekehrt, da wurde die Stimmung in Berlin bereits wieder hitzig. Nachdem sich CDU und CSU monatelang in Sachen Asyl bekriegt hatten, muckten nun die Sozialdemokraten auf. Offenbar von der Erkenntnis ereilt, dass eine Rückbesinnung auf soziale Themen beim „kleinen Mann“ ankommen könnte, zettelte die SPD eine Rentendebatte an und forderte eine schnelle Nachbesserung bei den im Koalitionsvertrag festgehaltenen Themen Rente und Arbeitslosenversicherung. Unter dem Eindruck der anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen, bei denen CDU und SPD gleichermaßen viel zu verlieren, aber wenig zu gewinnen haben, wurde ein eiliger Kompromiss gestrickt. 

Das Rentenpaket sieht vor, dass das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent bis 2025 stabilisiert werden soll. Das bedeutet, dass eine Standardrente nach 45 Beitragsjahren nicht unter 48 Prozent des aktuellen Durchschnittsverdienstes sinkt. Der Beitragssatz soll zudem nicht über 20 Prozent steigen. Aktuell liegt er bei 18,6 Prozent. Nachgebessert wurde auch bei der Mütterrente. Doch es gibt weiterhin Konfliktpotenzial. 

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) verärgerte die Koalitionspartner mit Vorschlägen über längere Rentengarantien bis 2040 und erhielt Unterstützung aus den eigenen Reihen. SPD-Vize Ralf Stegner forderte Lohnerhöhungen für Geringverdiener und höhere Steuern für Reiche, um das Rentenniveau über 2025 hinaus zu stabilisieren. 

„Je mehr wir es schaffen, die Menschen in gut bezahlte Arbeit zu bringen, desto voller sind die Rentenkassen und desto weniger brauchen wir das Geld für Sozialtransfers innerhalb der jüngeren Generationen“, sagte Stegner der „Welt“. Ausdrücklich stellte er sich hinter die Aussagen des SPD-Vizekanzlers. „Wir brauchen ein stabiles Rentenniveau auch über 2025 hinaus“, so der SPD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, „schon aus Respekt vor der Lebensleistung jedes einzelnen Arbeitnehmers und einer solidarischen sozialen Sicherung.“

Die Union lehnte eine weitere Debatte bisher ab. Sie setzt ganz auf die Kommission, die ihre Vorschläge in zwei Jahren präsentieren soll. Die SPD solle die Arbeit dieser Kommission nicht beeinflussen, warnte Unions-Fraktionschef Volker Kauder.

Dennoch sind alle Parteien offenkundig um Einigkeit bemüht. So soll der Arbeitslosenbeitrag ebenfalls zum Jahreswechsel um 0,5 Punkte auf 2,5 Prozent des Bruttolohns sinken und damit kräftiger, als von der Koalition eigentlich geplant. Dies war eine zentrale Forderung der Union. 

Nun können beide Seiten ihr Gesicht wahren. „Wir haben es geschafft, das gemeinsam hinzukriegen“, gab sich Arbeitsminister Hubertus Heil erleichtert. „Die Koalition ist handlungsfähig, das zeigen wir beim Thema Rente, das zeigen wir am Arbeitsmarkt. Und deshalb bin ich heute ein sehr zufriedener Arbeitsminister“, sagte der SPD-Mann. 

Die Taktik der Großkoalitionäre ist eindeutig. Bei den anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen am 14. und 28. Ok­to­ber drohen CDU/CSU und SPD gleichermaßen hohe Verluste. Profitieren werden nach dem gegenwärtigen Stand die AfD und die Grünen. Offenbar haben sich die Regierenden in Berlin auf eine Art Waffenstillstand geeinigt. Auch der Asylstreit scheint vordergründig beigelegt. „Die Diskussion ist abgeschlossen. Dazu stehe ich“, bekräftigte Innenminister Horst Seehofer. CSU und CDU hätten einen Kompromiss gefunden, der jetzt umgesetzt werde.

Seehofer zeigte sich zuversichtlich, dass er mit Italien ein Asyl-Abkommen vereinbaren könne. Damit sollen Asylbewerber, die in Italien einen Antrag gestellt haben und trotzdem an der bundesdeutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden, wieder nach Italien zurückgeschickt werden. Das Abkommen sei „sehr, sehr weit“ gediehen, sagte Seehofer in der „Neuen Ruhr-Zeitung“. 

Bereits im ZDF-Sommerinterview hatte der ehemalige bayerische Ministerpräsident erklärt, er halte eine Neuauflage der Regierungskrise in diesem Herbst für ausgeschlossen. Die Große Koalition werde „jetzt Woche für Woche wichtige Entscheidungen bei der Rente, bei der Arbeitslosenversicherung, bei der Mietpreisent­wick­lung, beim Fachkräftezuwanderungsgesetz treffen“, sagte er. 

Beobachter des Berliner Politikbetriebs berichten, der Koalitionsausschuss starre auf die anstehenden Wahlen wie das Kaninchen auf die Schlange. „Bei den Wählern ist die Beliebtheit von CDU, CSU, Merkel und Seehofer gesunken. Gut möglich, dass der Blick in den Abgrund einer scheiternden Regierung die Schwesterparteien wieder enger vereint“, kommentiert das Onlineportal des Nachrichtensenders NTV. Doch jede aktuelle politische Entwicklung scheint geeignet, den fragilen Koalitionsfrieden abermals zu stören.

Die Debatte um die Vorkommnisse in Chemnitz dürfte auch in die laufenden Wahlkämpfe hineinwirken. Bayerns SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn warf Seehofer vor, „seine Rolle nur noch in symbolischer Politik“ zu sehen und sprach dabei von „Rechtspopulismus light“. Die CSU ließ wie­derum ausrichten, dass die Chemnitzer Ereignisse nicht Bestandteil „bayerischer Landespolitik“ seien. Viel deutet darauf hin, dass es sich bei der derzeitigen Harmonie um einen temporären Waffenstillstand handelt.