Seit 25 Jahren gibt es in Sachsen-Anhalt das touristische Markenzeichen „Straße der Romanik“. Beim Tag des offenen Denkmals am 9. September entfaltet sich die ganze Pracht des Mittelalters.
Welches Gotteshaus lockt mit heidnischen Beschwörungsformeln zahlreiche Besucher an? Der Merseburger Dom. Die beiden in einer liturgischen Sammelhandschrift der Dombibliothek entdeckten Zaubersprüche sind die einzigen auf uns gekommenen althochdeutschen Sprachdenkmale, in denen germanische Gottheiten wie Wotan und Freya auftreten. Und wo präsentiert sich die Madonna als zauberhafte norddeutsche Schönheit mit langen blonden Zöpfen? In einem um 1200 geschaffenen spätromanischen Stuckrelief der Liebfrauenkirche zu Halberstadt.
Die vor 25 Jahren eröffnete Straße der Romanik führt zu vielen weiteren Attraktionen. Mit jährlich 1,5 Millionen Besuchern ist sie eine der beliebtesten Ferienrouten des Landes. Sie durchzieht mit Magdeburg im Zentrum in Form einer 8 auf mehr als 1000 Kilometern Sachsen-Anhalt. An ihr liegen 88 sehenswerte Dome, Stiftskirchen, Klöster und Burgen des 10. bis 16. Jahrhunderts.
Die Bauwerke sind mit einem Schild gekennzeichnet, das drei Rundbögen zeigt. Der Rundbogen ist für die Romanik charakteristisch. Weitere Merkmale sind dicke Mauern, einfache kubische Baukörper, Langschiffe mit flacher Decke und sparsamer architektonischer Schmuck.
Die Wertschätzung der Romanik geht auf die Romantiker des 19. Jahrhunderts zurück. Der Maler Wilhelm von Kügelgen schwärmte: „Diese alten Kirchen sind wie versteinerte Psalmen.“ Paradebeispiel ist die um 1014 vollendete Stiftskirche von Gernrode. Nach Jerusalemer Vorbild wurde in ihr ab 1080 ein Heiliges Grab errichtet. Es ist das älteste Deutschlands. Die jüngeren Bauwerke an der Straße gehören mit spitzbogigen Maßwerkfenstern und Portalen, kunstvollen Gewölben und reicher Bauplastik dem gotischen Architekturstil an. Herausragendes Beispiel ist Deutschlands älteste gotische Kathedrale: Der 1209 bis 1520 errichtete Magdeburger Dom. In ihm befindet sich das Grabmal des 962 zum Kaiser gekrönten Otto I.
Den größten Publikumszuspruch an der Straße der Romanik verzeichnet der Naumburger Dom, dessen Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe bevorsteht. Berühmt sind seine zwölf überlebensgroßen Stifterfiguren, die der „Naumburger Meister“ um 1250 schuf. Diese farbig gefassten Steinskulpturen stellen Grafen und Gräfinnen dar, die sich als Wohltäter der Naumburger Kirche hervortaten.
Als sich der Meister ans Werk machte, waren diese längst verstorben. Obwohl der Bildhauer sie also nie gesehen hat, wirken die Figuren wie lebensvolle Porträts. Die viel bestaunte Uta stellt eine würdevoll unnahbare Miene zur Schau. Reglindis hingegen lächelt allerliebst, und der sich offenbar bedroht fühlende Graf Dietmar lugt hinter seinem Schutzschild hervor.
Mit zahlreichen Reliquien zog der vom Vierten Kreuzzug heimkehrende Bischof Konrad von Krosigk anno 1205 in Halberstadt ein. Statt wie ursprünglich geplant Jerusalem zu erobern, hatte das Kreuzzugsheer das christliche Konstantinopel erstürmt und ausgeplündert. Zur Beute des Bischofs zählten neben Reliquien kostbare byzantinische Kunstwerke wie die aus Silber gegossene und vergoldete Weihbrotschale. Sie gehören bis heute dem in der Domklausur ausgestellten Kirchenschatz an. Mit 650 Tafelbildern, Skulpturen, Goldschmiedearbeiten, Elfenbeinschnitzereien und liturgischen Textilien bildet er einen der umfangreichsten, die sich noch an ihrem Bestimmungsort befinden.
Aus dem altehrwürdigen Schatz der Quedlinburger Stiftskirche waren an Ende des Zweiten Weltkriegs zwölf Kostbarkeiten verschwunden. Ein US-Soldat hatte sie gestohlen, wie erst Jahrzehnte später herauskam. Seine Erben gaben gegen viel Geld und gute Worte zehn Stücke zurück, die nun wieder an ihrem angestammten Ort ausgestellt sind. Nördlich und südlich des Altarraumes der Stiftskirche befindet sich je eine Schatzkammer. Der sogenannte Kamm König Heinrichs I., der Servatius-Schrein, das Otto-Adelheid-Evangeliar und weitere Stücke gelten als Stiftungen des ottonischen Herrscherhauses.
Mit Altstadt und Schloss gehört die 1129 geweihte Stiftskirche zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sein markantes Aussehen verdankt der Stiftsberg den beiden wuchtigen Kirchtürmen. Sie sind eine Zutat des 19. Jahrhunderts, die auf einen Entwurf des in Diensten des preußischen Königshauses stehenden Ferdinand von Quast zurückgeht.
Mehrere der bedeutendsten Bauwerke an der Straße der Romanik verdanken ihr inneres und äußeres Erscheinungsbild nicht zuletzt der preußischen Denkmalpflege. König Friedrich Wil-
helm IV. bestellte 1843 den Kunsthistoriker, Architekten und Schinkel-Schüler Ferdinand von Quast zum ersten „Konservator der Kunstdenkmäler“ Preußens. Unter seiner Oberaufsicht erfolgte die Restaurierung der Halberstädter Liebfrauenkirche, der Quedlinburger Stiftskirche und des Domes zu Havelberg. Im Auftrag des Herzogs Alexander Carl von Anhalt-Bernburg gab er der Stiftskirche von Gernrode ihr ursprüngliches romanisches Aussehen zurück.
Von Quasts persönliche „Zugabe“ ist die figürliche Ausmalung des Kirchenraums nach seinen neuromanischen Entwürfen. Auf Befehl Friedrich Wilhelms IV. leitete er die Restaurierung der Kirche des Klosters Jerichow. Wie eine Fata Morgana scheint das Kloster über dem flachen Land zu schweben, wenn man es aus der Ferne betrachtet. Die im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts erbaute und bis heute in seltener Vollständigkeit erhaltene Anlage ist als rot leuchtender Gründungsbau der norddeutschen Backsteinarchitektur einer der sakralen Höhepunkte an der Straße der Romanik.
Zentrale Anlaufstelle ist das Info-Zentrum Straße der Romanik, Domplatz 1b, Magdeburg, Internet: www.haus-der-romanik.de. Informationen über die Sehenswürdigkeiten: www.strassederromanik.de. Reiseinformationen: www.sachsen-anhalt-tourismus. de. Buchtipp: Christian Antz, „Straße der Romanik“, Ellert & Richter Verlag, 9,95 Euro