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07.09.18 / Als die Quadriga politisch korrekt wurde / Vor 60 Jahren erhielt das Brandenburger Tor eine nicht nur neue, sondern auch veränderte Figurengruppe als Bekrönung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-18 vom 07. September 2018

Als die Quadriga politisch korrekt wurde
Vor 60 Jahren erhielt das Brandenburger Tor eine nicht nur neue, sondern auch veränderte Figurengruppe als Bekrönung
Manuel Ruoff

Am 21. September 1956 beschloss der (Ost-)Berliner Magistrat einen „Verschönerungsplan für das demokratische Berlin“. Der Höhepunkt der bolschewistischen Bilderstürmerei schien überwunden. Der Trend schien in Richtung Instrumentalisierung statt Beseitigung des preußischen Erbes zu gehen. Neben der Neuen Wache und den Schinckelschen Torhäusern am Leipziger Platz sollte auch das ebenfalls durch den Zweiten Weltkrieg ramponierte Brandenburger Tor rekonstruiert werden.

Zur geplanten Rekonstruktion gehörte auch eine neue Quadriga, denn die alte gab es nicht mehr. Das, was der Krieg von der alten übriggelassen hatte, war am Tag der Arbeit des Jahres 1950 in Vorbereitung des ersten Deutschlandtreffens der Freien Deutschen Jugend beseitigt worden. Zum Glück waren im Zweiten Weltkrieg wohlweislich Gipsabdrücke gemacht worden, die nun bei der Wiederherstellung wertvolle Dienste leisten konnten. Allerdings befanden diese sich im Magazingebäude des Dahlemer Völkerkundemuseums und damit in West-Berlin, und der We­sten rück­te sie nicht heraus, auch nicht leihweise. So einigte man sich bei der Restaurierung des Wahrzeichens Berlins und Deutschlands auf eine deutsch-deutsche Arbeitsteilung. Der Osten, auf dessen Territorium das Tor stand, kümmerte sich um den eigentlichen Baukörper und der Westen, der die Abdrücke besaß, steuerte eine neue Quadriga bei. 

Am 14. Dezember, einen Tag vor dem 225. Geburtstag des Tor-Architekten Carl Gotthard Langhans, konnte Richtfest gefeiert werden. Am 1. und 2. August 1958 übergab der Westen dem Osten die noch fehlende neue Quadriga, die sich am Aussehen der alten orientierte. Der Osten setzte die auf dem Pariser Platz abgestellte Figurengruppe aber nicht etwa auf das Tor. Stattdessen wurde sie in den Hof des Marstalls gebracht und angefangen, ihr Aussehen zu problematisieren. 

Diese Aufgabe fiel der „Berliner Zeitung“ zu. Dabei handelte es sich nicht um irgendeine Zeitung, sondern um die erste seit dem Kriegsende gegründete deutsche Tageszeitung. Seit 1953 war das vormalige „Organ des Kommandos der Roten Armee“ und „Amtliche Organ des Magistrats von Berlin“ dem Zentralkomitee der SED unterstellt. 

Am 31. August 1958 schlug die „Berliner Zeitung“ im Anschluss an einen von ihr abgedruckten Bericht über das Brandenburger Tor vor, bei dem sogenannten Siegeszeichen, das die Wagenlenkerin mit ihrer Rechten hält, das Eiserne Kreuz und den preußischen Adler zu entfernen. Den Willen zu einer ergebnisoffenen Diskussion heuchelnd, wurden die Leser aufgefordert, ihre Meinung kundzutun. Das Volk sollte sich schließlich mitgenommen fühlen. 

Wie nicht anders zu erwarten, überwog bei den abgedruckten Leserbriefen die Zustimmung zum Zeitungsvorschlag. Zur Pluralismussimulation gehörte allerdings auch der Abdruck einiger bemerkenswerter Argumente für die Beibehaltung von Kreuz und Adler, deren grundsätzlicher Kern angesichts der heutigen Bilderstürmerei durch die politisch Korrekten an Aktualität nichts verloren hat. Ein paar Beispiele: „Von den Nazis wurde es missbraucht, nun gut, sie haben noch ganz andere Dinge für ihre schmutzigen Ziele benutzt“, „Sollen wir denn nun auch darauf verzichten, Butter zu essen, nur weil es die Faschisten und Kapitalisten auch tun?“ oder „Von Madonnenbildern entfernt man ja auch nicht den Heiligenschein.“

Genützt haben die Argumente nichts. Am Morgen des 15. September beschloss der Magistrat, noch am selben Tag die Montage der Quadriga beginnen zu lassen, und: „Entsprechend den von Bürgern in beiden Teilen der Stadt gegebenen Anregungen und Vorschlägen gelangen die Symbole des preußisch-deutschen Militarismus – der Preußische Adler und das Eiserne Kreuz – nicht zur Aufstellung.“ 

Zwei Tage, nachdem der Magistrat die Öffentlichkeit über die Entfernungen informiert hatte, begann der Rücktransport der Quadriga zum Pariser Platz. Fünf weitere Tage später wurden erst der Streitwagen und dann die Wagenlenkerin auf das Tor gehoben. Am 27. September stand die Quadriga auf dem Brandenburger Tor.

Für viele Deutsche, vor allem Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge, die keine oder kaum Erinnerungen an die 50er Jahre haben, dafür aber umso stärkere an die Jahrzehnte vor der deutschen Vereinigung, wird zu ihrem Bild von Berlin und der DDR das Brandenburger Tor mit der Quadriga ohne Kreuz und Adler gehören. Erst nach dem Fall der Mauer und der DDR erhielt die Quadriga Kreuz und Adler zurück.