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07.09.18 / Autor deckt die Profitgier der Tomatenindustrie auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-18 vom 07. September 2018

Autor deckt die Profitgier der Tomatenindustrie auf
Dagmar Jestrzemski

Sie ist eine der beliebtesten und weltweit am meisten konsumierten Gemüsesorten: die Tomate, roh oder verarbeitet. Sie ist Hauptbestandteil von Tomatenketchup, wird in mehrfach konzentrierter Form zu Tomatenmark und steckt in zahllosen Fertiggerichten und Soßen. Unter welch haarsträubenden Bedingungen Tomaten in Südeuropa oft von illegalen Migranten aus Afrika geerntet werden, ist hinreichend bekannt. Dass in China aber Frauen mit Säuglingen auf dem Rücken und Kinder in praller Sonne im Akkord Industrietomaten pflücken, ahnt hier niemand, ebenso wenig, dass in Italien abgefülltes oder verarbeitetes Tomatenkonzentrat großen-teils aus China stammt. 

Der junge französische Journalist Jean-Baptiste Malet ist den Tomaten zwei Jahre hinterhergereist, um in Kalifornien, Südeuropa, Ghana und China mit Arbeitern und Produzenten sowie einigen Hauptakteuren der international aufgestellten Großkonzerne zu sprechen. In seinem Buch „Das Tomatenimperium. Ein Lebensmittel erklärt den globalen Kapitalismus“ deckt er die teilweise undurchsichtigen Strukturen der lukrativen Tomatenindustrie auf. Produktion und Verarbeitung sind global arbeitsteilig vernetzt, und diese Verbindungen wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts stetig weiter ausgebaut. 

Dieses Buch lässt den aufmerksamen Leser zurückprallen, doch es lässt ihn auch nicht los. Sein Autor liefert den Nachweis dafür, dass der in unserem Wirtschaftssystem tolerierte grenzenlose Wettbewerb einiger Großkonzerne längst zu einer besinnungslosen Jagd nach immer größeren Weltmarktanteilen ausgeufert ist. Im Spiel um das rote Gold werden Menschen, auch Kinder, ebenso wie die Natur und die Umwelt rücksichtslos und meist ganz legal ausgebeutet. Fast unvermeidlich war wohl die Einmischung der italienischen Mafia. Malet deckt auf, dass kriminelle Gruppen in großem Stil Gammel-Tomatenkonzentrat aus Italien in afrikanische Länder verschoben haben. 

Als preiswertes rohes Gemüse sind Tomaten das ganze Jahr über im Supermarkt erhältlich. Was billig ist, wird auch billig produziert. Alles begann mit dem kometenhaften Aufstieg des Ketchup-Herstellers Henry J. Heinz (1844–1919) in Pittsburgh, US-Bundesstaat Pennsylvania. Spannend wie ein Roman liest sich die Geschichte der Heinz Company, des weltweit größten Abnehmers von Tomatenkonzentrat zur Herstellung von Ketchup und Soßen. Hier wurden schon vor über 100 Jahren ausgeklügelte Werbestrategien entwickelt, um den Verbraucher gezielt in seiner Verkaufsentscheidung zu lenken. In einer Verarbeitungsfabrik der ebenfalls weltweit operierenden italienischen Petti-Gruppe nahm der Verfasser hochmoderne Sortiermaschinen in Augenschein, wo Soßen in Flaschen kontrolliert werden. Wie Heinz unternahm auch die 1925 gegründete Petti-Gruppe schon frühzeitig einen globalen Vorstoß, um nach der Erschließung neuer Märkte in Afrika und dem Nahen Osten ihre Produkte in diese Länder zu liefern. 

Wie es dazu kam, dass China seit den 1980er Jahren ein immer größerer Produzent von Industrietomaten wurde und sich bald darauf auch mit Verarbeitungsfabriken italienischen Ursprungs eindeckte, ließ sich Malet von einem greisen chinesischen General erzählen. Dieser Pionier des chinesischen Tomatenanbaus knüpfte als Erster Kontakte zu den großen westlichen Produzenten. Von ihm erfuhr er, dass in der uigurischen Region Xingjiang Millionen von Lagerhäftlingen seit Jahrzehnten auf den staatlichen Tomatenplantagen schuften. 

Schließlich sind da noch diverse chinesische Unternehmen der Konservenindustrie, die in Afrika Millionen von Dosen mit gepanschtem Tomatenmark aus Karotten, Stärke, Dextrose, Farbstoffen und anderen „geheimnisvollen“ Inhaltsstoffen in Umlauf bringen. Dies erfuhr Malet auf der Ernährungsmesse SIAL (Salon International de l’Alimentation) in Villepinte, Frankreich, wo er sich als Unternehmer ausgegeben hatte. 

Zuletzt schlägt er den Bogen in die Politik. Genau dort müsste sein Buch hohe Wellen schlagen – wird es aber nicht, denn die Politik tut, wozu sie berufen zu sein scheint. Sie schaut weg.

Jean-Baptiste Malet: „Das Toma-tenimperium. Ein Lebensmittel erklärt den globalen Kapitalismus“, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2018, broschiert, 286 Seiten, 18 Euro