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14.09.18 / Weder Krieg noch Verzicht / Die Berliner Luftbrücke erreichte vor 70 Jahren mit 897 Flügen pro Tag ihren Höhepunkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-18 vom 14. September 2018

Weder Krieg noch Verzicht
Die Berliner Luftbrücke erreichte vor 70 Jahren mit 897 Flügen pro Tag ihren Höhepunkt
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Nach dem Beginn der sowjetischen Berlin-Blockade standen die Westalliierten vor der Wahl. Sie konnten versuchen, auf dem Landwege von Westdeutschland aus nach West-Berlin militärisch durchzubrechen, was wohl Krieg bedeutet hätte. Sie konnten dem Druck nachgeben und auf ihren Teil von Berlin zugunsten der UdSSR verzichten. Und sie konnten eine Luftbrücke zur Versorgung ihrer Sektoren errichten. Sie wählten letztgenannte Möglichkeit. 

Es begann etappenweise und schien anfangs nicht erkennbar zu sein. Im Mai 1948 erließ die Sowjetische Militäradministration einen Befehl, jeden Verkehr auf den Straßen und Wasserwegen nach West-Berlin zu überwachen. Als Grund wurde der Schwarzhandel angegeben, den es damals in Deutschland überall gab. Bald erschien die Briefmarken-Lokalausgabe von Gesamt-Berlin mit dem Aufdruck „Sowjetische Besatzungs-Zone“, dessen Bedeutung wohl kaum jemand abschätzte. Am 24. Juni begann dann offiziell die Blockade der Westsektoren Berlins, welche die dort lebenden Menschen von allen Lebensadern abschnürte. 

Da einerseits die US-Regierung einen Krieg unbedingt vermeiden wollte und andererseits die Westalliierten auf ihre Sektoren der Reichshauptstadt nicht zugunsten der UdSSR verzichten wollten, blieb nur eine Versorgung dieser Sektoren aus der Luft. Dazu wurden die Flughäfen Tempelhof im US-amerikanischen, Gatow im britischen und später auch Tegel im französischen Sektor genutzt. Zwei Tage nach dem Beginn der Berlin-Blockade wurden die ersten westalliierten Flugzeuge zur Versorgung der Westsektoren mit  Lebensmitteln und Kohle eingesetzt, und bis zum 18. September 1948 stieg die Anzahl der Versorgungsflüge nach West-Berlin auf 897 pro Tag. 

Dass Moskau die Westsektoren wirklich verhungern lassen wollte, ist umstritten. Josef Stalin jedenfalls sah West-Berlin als Faustpfand, um die Gefahr eines entstehenden eigenen westdeutschen Staates unter westlichem Einfluss und damit den Verlust an Einfluss auf das Ruhrgebiet zu verhindern. Sein Fehler war es, fest an einen Miss­erfolg der Luftbrücke zu glauben. Sein Ziel war es, dass die Deutschen in ihrer Enttäuschung über die US-Amerikaner zu den Kommunisten überlaufen und es zu einem kommunistischen Gesamt-Deutschland kommt als Vorstufe eines von ihm beherrschten Europa. Getreu dem Stalins Vorgänger Lenin nachgesagten Zitat: „Wer Berlin hat, hat Deutschland. Und wer Deutschland hat, hat Europa.“ 

Verständlicherweise hatten viele der gut zwei Millionen im Westteil Berlins eingeschlossenen Deutschen anfangs Sorge um das Durchhalten der West-Alliierten, insbesondere in den Wintermonaten. Sie erinnerten sich der Untaten sowje­tischer Soldaten 1945 und wurden Zeugen der Entwicklung der SED-Diktatur in der Ostzone. Oft wird vergessen, dass sich die dortigen Landsleute unter dem Druck der Verhältnisse mit den „Insulanern“ solidarisierten. Das soll ein gewichtiges Motiv gewesen sein für die berühmte Rede des West-Berliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter vom 9. September 1948 mit dem Aufruf: „Völker der Welt …! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!“ Zu Recht erklärte er West-Berlin zum „Vorposten der Freiheit“. 

70 westalliierte Soldaten ließen während der Berlin-Blockade ihr Leben für die „Insulaner“ beziehungsweise die Vormacht ihrer Heimatstaaten in West-Berlin. Die Menschen in den Westsektoren bewunderten das logistische Meisterwerk der westlichen Alliierten. Daraus wurde ein echtes Gefühl der Dankbarkeit, dass diese sie nicht den Sowjets überließen. Sie wurden zur Schutzmacht, oft zu Freunden. Der Durchhalte-Mut der West-Berliner mit ihrer Ration von nur 12,5 Kilogramm Kohle für die gesamte Winterzeit und die berühmten Trümmerfrauen nötigten wiederum den westlichen Alliierten Respekt und Achtung ab. Unvergessen ist der US-Flieger Gail Halvorsen mit seiner Idee, Süßigkeiten an Taschentücher zu binden und sie als kleine Fallschirme für die Kinder beim Landeanflug abzuwerfen. Die SED-Propaganda erinnerte daran, dass nur drei  Jahre zuvor US-Flugzeuge Berlin bombardiert hatten, und warnten: „Heute werfen sie Rosinen ab und morgen Atombomben.“  

In den USA wurde die Bedeutung West-Berlins schnell erkannt. Symptomatisch schrieb die „New York Times“, der Streit um Berlin ginge nicht nur um den Status der deutschen Nation, sondern um „die gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunft der gesamten Welt“. Meinungsumfragen in den Vereinigten Staaten ergaben, dass bis zu 90 Prozent der Bevölkerung die Luftbrücke unterstützten. 22 Prozent wollten sogar eher einen Krieg, als von Moskau unter Druck gesetzt zu werden. Mit berechtigtem Stolz berichteten die westlichen Zeitungen fast täglich über den steigenden Umfang der eingeflogenen Fracht. Durchschnittlich waren es täglich 8000 Tonnen. Auf dem Rückflug vom Westen Berlins zum Westen Deutschlands transportierten die „Rosinenbomber“ in West-Berlin entstandene Fertigprodukte der dort allmählich aufblühenden Wirtschaft, Entwürfe besonders modischer Kleidung wie auch manchen in der Ruinen-Stadt gedrehten Film. Bis zum Ende der Blockade im Herbst 1949 verzeichneten die Westalliierten insgesamt 277569 Flüge in die Stadt. 

Stalin musste schließlich erkennen, dass die Westalliierten willens und durchaus in der Lage waren, ihre Luftbrücke für längere Zeit aufrechtzuerhalten. Er hatte den Westen und auch die Deutschen unterschätzt, und mit der üblichen Phraseologie vom „Frieden“ hob er die Blockade auf. Am 11. Mai 1949 wurden die Westsektoren wieder mit Strom versorgt und am darauffolgenden Tag wurde die Blockade der Verkehrswege zu Land und Wasser aufgehoben.

Den Sieg über die sowjetische Berlin-Blockade sahen die West-Berliner primär durch eine nationale Brille und angesichts ihres Durchhaltens ihre Stadt als legitime Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands. Die Verei­nig­ten Staaten erkannten, wie wichtig der Luftbrücken-Mythos für die Moral der Eingeschlossenen und damit für ihre Strategie war, West-Berlin zu halten, um den Kommunismus und die Sowjetunion einzudämmen. Wie die beiden anderen Westmächte hatten die USA primär ihre Territorialrechte im westlichen Stadtteil und den freien Zugang zu ihren Sektoren im Fokus. Sie intervenierten weder beim Volksaufstand 1953 noch gegen den Bau der Mauer 1961, weil beide Ereignisse nur Deutsche betrafen und keine eigenen Interessen  tangierten. Die Deutschen im Westen sahen die Luftbrücke – anders als ihre Landsleute in West-Berlin – lediglich als „einen überfälligen humanitären Akt“ für die dortigen Menschen. Nach ihrer Ansicht war Berlin zum Spielball der Außenpolitik aller vier Siegermächte geworden und alle vier für die Teilung der Stadt und somit auch für die Beseitigung der jetzigen Situation verantwortlich. An die betroffenen Landsleute dachte man weniger. Es ist beschämend, aber eine erwiesene Tatsache, dass mancher westdeutsche Politiker sich sehr zurückhielt, als es um Unterstützung für die eingeschlossenen Deutschen in Berlin ging. Nicht zu übersehen ist andererseits, dass Westdeutschland damals monatlich 50 Millionen D-Mark für West-Berlin ausgab. Dennoch: Hätten nicht der Militärgouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone in Deutschland, Lucius D. Clay, und sein britischer Kollege, Brian Hubert Robertson, Druck ausgeübt, hätte mancher Westdeutsche West-Berlin aufgegeben.