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14.09.18 / Die DDR und das Nationale / Patriotismus scheint in den neuen Bundesländern normaler zu sein als im Westen – Hat die SED ungewollt dazu beigetragen?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-18 vom 14. September 2018

Die DDR und das Nationale
Patriotismus scheint in den neuen Bundesländern normaler zu sein als im Westen – Hat die SED ungewollt dazu beigetragen?
Erik Lommatzsch

So viel Nation wie in der DDR gab es selten in Deutschland. Es handelt sich um ein Kuriosum, das vielleicht erst im Rückblick so recht Kontur gewinnt. Zwar hatte die DDR 1974, anlässlich des 25. Jahrestages ihres Bestehens, den Passus in Artikel 1 ihrer Verfassung gestrichen, wonach sie ein „sozialistischer Staat deutscher Nation“ sei, und verstand sich nun als „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“. 

Dennoch fand sich vor allem das Adjektiv national an allen Ecken und Enden. Und es handelte sich bei Weitem nicht um tradierte, einfach nur beibehaltene Benennungen, wie etwa bei der „Nationalgalerie“ (heute „Alte Nationalgalerie“) in Berlin. 

Eine klare, verbindliche Definition für den Begriff der Nation gibt es nicht. Gemeinsamkeiten hinsichtlich Sprache, Gebiet, Herkunft, Entwicklung beziehungsweise Geschichte, Werten, Religion und der Organisation des Zusammenlebens sind in jedem Falle ins Feld zu führen. Unterscheiden kann man zwischen dem Begriff der Kulturnation, die vornehmlich die Gemeinsamkeit von Sprache und Kultur zur Grundlage hat, und dem der Staatsnation, welche über ein vorhandenes Staatsgebiet ausgemacht wird. 

Hier ist viel akademische Theorie im Spiel, in der Praxis sind die Übergänge fließend. Hinzu kommt, insbesondere in der persönlichen Diskussion, beim Begriff der Nation oft ein emotional-irrationales Element, welches wissenschaftlich nur schwer zu fassen ist und daher meist geflissentlich ignoriert wird.

Einen wohl ebenfalls teilweise emotional-irrationalen, teilweise übernommenen, unhinterfragten Charakter – die Funktionäre kannten es aus ihrer im allgemein spärlichen und fast ausnahmslos vor 1945 erfolgten Schulbildung nicht anders – hatte wohl auch der Zugang der DDR-Oberen zum Begriff der Nation. Überlegung hingegen war enthalten, wenn man durch die Betonung des Nationalen zunächst seinen gesamtdeutschen Anspruch zu erheben versuchte. Nachdem sich dies als illusorisch erwiesen hatte, strebte die SED an, begrifflich eine „DDR-Nation“ zu etablieren und glaubte damit einen Beitrag zur Zementierung der deutschen Teilung zu leisten.

Bereits anderthalb Jahre vor der Staatsgründung der DDR, im Frühjahr 1948, kam es, gesteuert von der SED, zur Gründung der National-Demokratischen Partei Deutschlands, der NDPD. Ebenso wie die gleichfalls 1948 gegründete Bauernpartei, die DBD, sowie die Liberalen, die LDPD, und die CDU, die beide bereits 1945 entstanden waren, war die NDPD eine Blockpartei. 

Ihr kam die Funktion zu, als Alibi für den vermeintlich demokratischen Charakter des DDR-Systems herzuhalten. Das Nationale im Namen sollte ehemalige, natürlich geläuterte NSDAP-Mitglieder, ehemalige Wehrmachtsoldaten sowie Bürgerliche ansprechen. Die nach außen getragenen konservativen oder eben betont nationalen Attribute mögen die Identifikation einiger Mitglieder mit dieser Partei erleichtert und, besonders zu Beginn, die Illusion vermittelt haben, eine Abgrenzung von der Linie der SED sei hier zumindest maßvoll möglich. 

Aber die „nationale“ NDPD unterstützte die DDR-Machthaber hundertprozentig. Langjähriger, bis 1989 amtierender Vorsitzender war der als Major bei Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft geratene Heinrich Homann. Die Partei stand hinter Zeitschriften wie „Die Nation“, später umbenannt in „Der nationale Demokrat“ oder der bis zur Einstellung 1990 täglich erscheinenden „National-Zeitung“. Mit dem „Verlag der Nation“ verfügte die NDPD, als verlängerter Arm der SED, wie andere Blockparteien auch über einen Parteiverlag. Dieser stand allerdings auch für anspruchsvolle Literatur und Klassiker – und wurde nach der deutschen Einheit in einen anderen Verlag integriert.

Zusammengeschlossen waren die Blockparteien mit der SED und den Massenorganisationen – die in der DDR auch zur „Wahl“ antraten und nach vorherbestimmter Aufteilung Sitze in den „Parlamenten“ einnahmen – in der „Nationalen Front“. Präsentiert wurden stets nur die „Kandidaten der Nationalen Front“ als Einheit. Zustimmung signalisierten die Bürger, indem sie die Liste unverändert in die „Wahl“-Urne warfen, das sogenannte Zettelfalten. Geleitet wurde die „Nationale Front“ von einem „Nationalrat“.

Vom Aufbau „Nationaler Streitkräfte“ sprach die DDR-Volkskammer seit 1952. Die „Nationale Volksarmee“ (NVA) wurde 1956, kurz nach der Bundeswehr, offiziell begründet. Der „Nationale Verteidigungsrat der DDR“ war oberster Entscheidungsträger in Verteidigungsfragen. Im Kriegsfall hätte der Vorsitzende – stets der „starke Mann“ der DDR, also nach Walter Ulbricht Erich Honecker und im Herbst 1989 kurzzeitig Egon Krenz – die oberste Befehlsgewalt innegehabt. 

Die tiefe Verankerung des Begriffs vom Nationalen in der DDR-Führung zeigt sich beispielhaft daran, dass sich das diskreditierte „Ministerium für Staatssicherheit“ im November 1989 in „Amt für Nationale Sicherheit“ umbenannte und sich davon einen positiven Effekt versprach.

Die Problematik des von der DDR geführten Begriffs der Nation wird besonders deutlich an der Tatsache, dass deren „Nationales Olympisches Komitee“ international nicht anerkannt wurde. Man akzeptierte lediglich das – gleichnamige – NOK der Bundesrepublik. Die DDR verfügte über eine Nationalhymne, die wegen des Textpassus „Deutschland einig Vaterland“ offiziell seit Beginn der 1970er Jahre – man forcierte die Entwicklung einer „DDR-Nation“ – nicht mehr gesungen, sondern nur instrumental dargeboten wurde.

Das oft gehörte und nie falsche „Es war nicht alles schlecht“ passt allerdings auch in diesem Zusammenhang. Den „Nationalpreis der DDR“ gab es zumeist wirklich für herausragende künstlerische oder wissenschaftliche Leistungen. Die „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur“ in Weimar, später aufgegangen in der „Stiftung Weimarer Klassik“, haben sich um die Kulturpflege verdient gemacht. Und die „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ haben, trotz ideologischer Vereinnahmungen, historisch wichtige Orte bewahrt.

Das Verhältnis zum Nationalen erscheint in der gegenwärtigen offiziellen Linie und der ihr folgenden Berichterstattung, vorsichtig ausgedrückt, gebrochen. Neben der ständigen Ineinssetzung von national und nationalistisch – wobei Letzteres negativ gefärbt ist – ist dies insbesondere am Umgang mit einem der wenigen existenten Nationalsymbole erkennbar: der Bundesflagge. Vergegenwärtigen sollte man sich die Bilder nach der Bundestagswahl 2013: Die CDU feierte ihren Sieg. Generalsekretär Hermann Gröhe schwenkte eine kleine Deutschlandfahne. Die Kanzlerin, hier offenbar sehr „westdeutsch“ assimiliert, nahm ihm das Fähnchen mit angeekeltem Gesichtsausdruck aus der Hand und ließ es verschwinden. Gröhe grinste dümmlich und klatschte weiter im Takt. In der gegenwärtigen GEZ-finanzierten Berichterstattung gilt ein Bild mit schwarz-rot-goldenem Fahnenmeer als eine rechts- oder schlimmer gerichtete Demonstration, deren Teilnehmer es zumindest verbal klar zu bekämpfen gilt.

In den neuen Bundesländern nimmt man mehr dieser Demonstrationen und Fahnen wahr. Das Verhältnis zum Begriff des Nationalen, wohlgemerkt nicht zum Chauvinistisch-Nationalistischen, ist hier wesentlich entspannter und vorurteilsfreier als im Westen der Republik. Während die 1968er und ihre Nachkömmlinge der Ansicht sind, dass die Nation ohne weitere Reflexion möglichst schnell verschwinden sollte, haben die DDR-Funktionäre durch die mitunter sogar penetrante Pflege des Begriffs wohl zu dessen Überleben beigetragen. Wenn sie von Nation sprachen, dachten sie sicher nicht an Bundesflagge und Grundgesetz. Aber genau damit kann man den Begriff unserer Nation eben auch verbinden.