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14.09.18 / Auf dem Lieferwagen der See / Wie eine Schifffahrt durch den Bauernhof – Mit dem Stralsunder Küstenmotorschiff »Fredo« von der See zu den Flüssen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-18 vom 14. September 2018

Auf dem Lieferwagen der See
Wie eine Schifffahrt durch den Bauernhof – Mit dem Stralsunder Küstenmotorschiff »Fredo« von der See zu den Flüssen
Peer Schmidt-Walther

„Kümonauten“ nennen sie sich, die beiden Kapitäne Willem und Bernd Blanck. Mit ihrem schmucken 1829-Tonnen-Küstenmotorschiff pendeln sie wöchentlich zwischen Nord- und Ostsee. Hin und wieder auch in den Heimathafen Stralsund, dessen Namen „MS Fredo“ als einziger Frachter am Heck führt.

Luken dicht! Abendstimmung über dem Sund, als sich um 17.20 Uhr die Arme der Ziegelgrabenbrücke in die Höhe recken. Mit 1660 Tonnen vorpommerschem Getreide macht sich der 83-Meter-Frachter auf den Weg nach Oldenburg in Oldenburg. 341 Seemeilen sind das, die in rund 50 Stunden zu bewältigen sind. 

Die Brüder Willem und Bernd Blanck, beide Eigner, Kapitäne und Maschinisten mit Firmensitz am Stralsunder Langendorfer Berg, sind zufrieden: „Hat ja wieder bestens geklappt, das Laden in Stralsund!“ Die markante Silhouette der Hansestadt schrumpft im Kielwasser der Ostansteuerung. Die Ostsee gibt sich sanft. 

Der Kurs ist hinter Kap Arkona direkt abgesetzt auf die Südspitze der Insel Fehmarn. „Wir können schon mal außerhalb der Schifffahrtsroute fahren“, erklärt Willem Blanck, „das spart Zeit, Sprit und letztlich Geld.“ 

Manchmal werden auch Danzig und Königsberg angesteuert. „Wir würden gern mal mehr von Ostpreußen sehen“, sagt Willem, „aber dazu reicht die Zeit einfach nicht“. Wenn man zuvor ein Visum beantragt hat – möglichst mit zeitlichem Spielraum –, dann kann man sich vom Pregel-Kai auf den Weg machen in die Stadt Königsberg. Während der Frachter lädt, bleibt genügend Zeit für die beiden Passagiere, sich in der ehemaligen Haupt- und Residenzstadt umzusehen. 

Zurück an Bord. Auslaufen Pregel und Seekanal abwärts. Irgendwann hinter Pillau mit Lotsenabgabe Captains Dinner wie jeden Abend in der kleinen Messe. Der philippinische Matrose mit dem urdeutschen Namen Wilhelm hat das Abendbrot vorbereitet: cold cut oder kalte Küche mit allerlei Aufschnitt. Alkohol ist – aus Sicherheitsgründen – verpönt. 

Um Mitternacht blitzt das Leuchtfeuer von Hela durch das Bullauge in die kleine, aber gemütliche Kammer. Der 700-PS-Diesel grummelt schlaffördernd und sorgt für rund 11 Knoten „Tempo“. „Völlig genug“, meint Bernd, der die Sechs-Stunden-Wache von seinem Bruder bis zum nächsten Morgen übernommen hat, „denn wir haben keine Eile, mehr geht sowieso nicht.“ So entschleunigt nähern sich die beiden Passagiere, in süße Träume gewiegt, am übernächsten Tag der schleswig-holsteinischen Küste.

Keine Lotsenübernahme am Kieler Leuchtturm, denn die beiden „Kümonauten“ aus Leidenschaft haben sich nach vielen Nord-Ostsee-Kanal-Passagen und Prüfung  – insgesamt rund 1500 pro Kapitän – frei gefahren.

Die Holtenauer Schleuse zeigt wie so oft rot. Warten ist angesagt. Aber dann schiebt der Konvoi endlich los – rund 98 Kilometer mit Westkurs, mitten durch Wälder, Felder, Wiesen und Weiden. „Wir sind jetzt im Graben“, grinst Willem, „der Hochsee-Autobahn zwischen Ost- und Nordsee“. Die deutsche Flagge am Heck wie bei „Fredo“, übrigens dem einzigen Frachter aus Mecklenburg-Vorpommern mit Schwarz-Rot-Gold, sieht man hier selten. Mehrfach muss in den Weichen gestoppt werden, um tiefgehenden Schiffen auf Gegenkurs Vorrang zu geben.

Nach rund neun Stunden machen die drei Matrosen in Brunsbüttel fest. „Die Tide ist gegen uns“, erklärt Willem, „da machen wir lieber jetzt Feierabend.“ Alle sind müde, wir vom vielen Gucken. Früh um sechs grummelt es wieder im Keller, „Fredo“ erzittert, nimmt problemlos die Schleuse und steckt seine Nase mit dem roten Stralsunder Wappen in die Unterelbe. Die Fahrt an Cuxhaven vorbei mit seiner Alten Liebe wird von der aufgehenden Sonne vergoldet. Bei einem Pott Kaffee gibt es einen gemütlichen Schnack auf der Brücke, dem Kommunikationszentrum des Schiffes. Dort ist man, wie auch im blitzblanken Maschinenraum, jederzeit willkommen. „Fredo“ biegt nach zwei Stunden bei Elbe I nach Backbord in die Weser ab. Der Schwell des Starkwindes vom Vortag bringt sie zum Tanzen. 

Der Stralsunder Marinemaler und Mitpassagier Thomas Quatsling freut sich: „Endlich Seefahrt!“ Querab vom Containerterminal Bremerhaven fühlt man sich neben den 350-Meter-Riesen ganz klein. „Mit denen möchte ich nicht tauschen“, sind sich beide Kapitäne einig, die von Kindesbeinen an mit Vatern Kümo gefahren sind.

Irgendwann taucht die Kirchturmspitze von Elsfleth an Steuerbord auf. „Fredo“ dreht jetzt von der Weser in die kleine Hunte, passiert die Seefahrtsschule und den Großsegler „Großherzogin Elisabeth“. Die Eisenbahn- und die Straßenbrücke signalisieren über Funk freie Fahrt. „Dann schaffen wir es ja heute noch nach Hause“, freuen sich Bernd und Willem auf den geplanten Grillabend, „aber ohne Güllegeruch in der Nase“. Düngende Bauern auf den Weiden links und rechts sorgen dafür. „Das ist wie Seefahrt durch den Bauernhof“, lacht Thomas und denkt schon an sein nächstes Bild: die von der untergehenden Sonne vergoldeten Flussschlingen der Hunte mit der wedelnden „Fredo“ darin.

Vor dem Oldenburger Großsilo noch ein knappes Drehmanöver im Dunkeln auf dem Teller mit maximal zwei Meter Uferabstand. Ein Schauspiel für Seh-Leute am Ufer. „Wenn du das hier jede Woche machst“, meint Bernd gelassen, „ist das ein Kinderspiel“. Rückwärts geht es an den Stau, „nicht in den Stau“, schiebt Willem nach, „so heißt die Straße am Kai, und das macht uns kein Auto nach“. 

Per Kran werden die beiden Autos, die vor der Brücke in schützenden Alu-Garagen ge­parkt haben, auf die Pier gesetzt. „Und Tschüß bis zum nächsten Mal!“, verabschieden sich die beiden Kapitäne ins wohl verdiente Wochenende mit ihren Familien.