26.04.2024

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14.09.18 / Flucht und Vertreibung wissenschaftlich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-18 vom 14. September 2018

Flucht und Vertreibung wissenschaftlich
Dirk Klose

Flüchtling bleibt man ein Leben lang, hat die Autorin Gudrun Wolter einmal über die Vertreibungen von 1945 geschrieben. In der Tat weiß man, dass das Trauma von Flucht und Vertreibung in den betroffenen Familien auch Jahrzehnte später noch tief sitzt und sich in unterschiedlichen Formen auf die jüngeren Generationen „vererbt“. Die Erinnerung kann dabei von krankmachendem Heimweh bis zu freundlicher Rückbesinnung und Dank für ein neues Zuhause reichen. 

Welche Bedeutung haben ehemalige Herkunftsorte für ältere deutsche Heimatvertriebene, hat die Autorin Eileen Goller gefragt. Ihre groß angelegte Untersuchung wurde im Jahr 2013 von der Tiroler Landesuniversität im österreichischen Hall zur Promotion angenommen. Der auf Medizin, Psychotherapie und Pflege spezialisierte Mabuse-Verlag hat jetzt ihre Untersuchung publiziert. 

Die Autorin ist nach eigenen Worten durch ihre heimatvertriebene Großmutter, die aus dem pommerschen Gutzmin, Kreis Schlawe, stammte, auf dieses Thema gekommen. Ihr schien naheliegend, dass, wenn aller Besitz verloren ist, die frühere Heimat zum Fluchtpunkt der Erinnerung wird. Sie hat nach einer umfangreichen Abklärung der hier infrage kommenden Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Biologie, Gerontologie und andere ein dreistufiges Forschungsdesign entwickelt.

In einem ersten Schritt hat sie einen älteren Vertriebenen, der ebenfalls aus Gutzmin stammt, direkt auf einer Reise in die Heimat begleitet. Im zweiten Schritt hat sie 16 Interviews mit Frauen und Männern geführt, die aus allen Vertreibungsgebieten, von Ostpreußen und Pommern über Schlesien bis hinunter ins Do­nauschwäbische, stammen. In einem dritten Schritt hat sie zahlreiche Medien der Vertriebenen, darunter auch Ausgaben dieser Zeitung, ausgewertet. Auszüge aus ihrem Reisetagebuch und eine anschauliche Bebilderung zum alten Heimatort heute beschließen das Buch.

Die hohen Erwartungen, die sich angesichts des Titels und des Forschungsdesigns einstellen, erfüllen sich zumindest für Leser, die mehr inhaltliche Aussagen der Betroffenen erwartet hätten, freilich nur zum Teil. Vermutlich für eine Dissertation unerlässlich, diskutiert die Autorin in großer Ausführlichkeit die verwendeten Forschungsansätze und einzelne Autoren, die sie herangezogen hat. 

Zum eigentlichen Thema, nämlich die Reise mit dem älteren Herrn und die 16 Interviews, kommt sie erst in der Mitte des Buches. Und auch hier bleibt es bei den Interviews weitgehend abstrakt. Dabei verraten Bemerkungen, wonach die einzelnen Befragten geweint oder mit stockender Stimme gesprochen hätten, wie emotional aufwühlend das Thema doch ist. Ähnliche Publikationen haben in solchen Fällen die Interviews wenigstens zum Teil mit abgedruckt. Das ist hier unterblieben, und so wird dem Buch für den nichtwissenschaftlichen Leser viel an „Würze“ genommen. Das ist schade angesichts des großen Engagements, mit dem die Autorin ihr Thema angegangen ist. Man möchte sie ermutigen, vielleicht in einem zweiten Buch noch stärker die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen. 

Immerhin zeigt das Buch, wie sehr Flucht und Vertreibung – in der Literatur werden beide Begriffe offenbar synonym verwendet – nach wie vor ein Thema der Forschung und wie ergiebig es auch für ganz unterschiedliche Fragestellungen ist. Ob sich daraus, wie die Autorin und ihr Doktorvater sagen, auch Anregungen für die Bearbeitung der gegenwärtigen Flüchtlingskrise ableiten lassen, ist schwer zu beantworten. Der Verlust der Heimat traumatisiert überall.

Eileen Goller: Fern der Heimat. Zur Bedeutung von Heimat und Ort im Lebensverlauf alternder Heimatvertriebener“, Mabuse Verlag, Frankfurt am Main 2018, gebunden, 328 Seiten, 42,95 Euro