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21.09.18 / Der Kupferstecher des Gemetzels / Matthäus Merian: Der Krieg war sein schrecklicher Auftraggeber

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-18 vom 21. September 2018

Der Kupferstecher des Gemetzels
Matthäus Merian: Der Krieg war sein schrecklicher Auftraggeber
Klaus J. Groth

Matthäus Merian der Ältere war der bedeutendste Kupferstecher und Verleger des 17. Jahrhunderts. Seine Arbeiten sind eine Chronik des ereignisreichen Übergangs vom Mittelalter in die Moderne. Am 22. September 1593, vor 425 Jahren, wurde er in Basel geboren.

Die meiste Zeit seines Lebens herrschte Krieg. Der Dreißigjährige, wie er später hieß, war Matthäus Merian ein großer, schreck­licher Arbeitgeber. Der Kupferstecher konnte sich kaum retten vor Aufträgen: Feldherren, siegreiche und geschlagene, Schlachten und Aufmärsche, Belagerungen von Festungen und Städten, tausendfach in Kupfer gestochen und auf Papier gedruckt, zeigten ein Bild von dem Gemetzel. Manches eilte sehr. Stadtherren bestellten Ansichten ihrer noch unversehrten Städte in angstvoller Erwartung der anrückenden feindlichen Truppen. 

Merian schrieb, seine Werke seien ein Mahnmal „voriger Glücksselig- und Herrligkeit für die nachfolgenden Geschlechter“, damit sie bestrebt sind, „was noch stehet, zu erhalten, was gefallen, wieder aufzurichten, und was verlohren, wieder zu bringen“. Seine Stadtansichten und Landkarten sind ein unschätzbares Dokument der mittelalterlichen Stadtplanung und Raumordnung.

Matthäus Merian war der Sohn eines Basler Ratsherrn. In Zürich lernte er Zeichnen und Kupferstechen. Als junger Mann reiste er unter anderem nach Paris, Genua, Augsburg, Straßburg und Stuttgart. Viele der Städte, deren Pläne und Silhouetten er in die hauchdünn gehämmerten Kupferplatten stach, hatte er besucht. 1606 kam er nach Oppenheim am Rhein und trat als Illustrator in den Reisebuchverlag Johann Theodor de Bry ein. Die Exaktheit seiner Arbeiten, das Gefühl für Raumaufteilung und Details machten ihn schnell bekannt. Der Kupferstich ist eine zeitaufwändige Technik des Tiefdruckverfahrens, die eine sichere Hand erfordert. Auf die ein bis drei Millimeter dicke, polierte Kupferplatte wird die Zeichnung seitenverkehrt aufgelegt. Mit einem Grabstichel ritzt der Kupferstecher nach der Vorlage feine Linien in das Metall. Eine Vielzahl der Linien und Schraffierungen fügt sich zu einem plastisch wirkenden Bild zusammen. Matthäus Merian zauberte mit dem Grabstichel poetische Landschaften, trutzige Burgen und Szenen aus dem Alltag in den kalten Untergrund. Wohlhabende bestellten Porträts von sich und ihrer Familie. Er stach Hochzeiten und Kindstaufen, Feste mit Feuerwerk und Anleitungen für Hebammen ebenso wie die Illustrationen für die Luther-Bibel. Ein Heer von Mitarbeitern wusste die Skizzen des Meisters auf Kupferplatten umzusetzen, als sei es ein Stück von ihm selbst. 

Von einer Platte ließen sich etwa 200 Drucke auf dünnem Papier erzielen, ein lukratives Geschäft. Merian heiratete die Tochter seines Chefs und übernahm nach dessen Tod 1623 den Buchverlag, dessen Hauptsitz Frankfurt war. 

Kupferstecher genossen nicht eben den besten Ruf, weil sie vieles „abkupferten“. Den berühmten Matthäus Merian hingegen nahmen die Frankfurter Stadtväter gern bei sich auf und verliehen ihm 1626 das Bürgerrecht. Merian revanchierte sich mit einem Bild vom „Römer oder Rathaus zu Frankfurt am Main“. Das Werk wird im Historischen Museum Frankfurt aufbewahrt.

Merian arbeitete eng mit dem reformierten Pfarrer Johann Ludwig Gottfried zusammen. Die Seelsorge für die Schäfchen seiner Gemeinde war Gottfrieds Sache nicht. Er ließ sich oft von Vikaren vertreten, um zu schreiben und lateinische Texte zu übersetzen. Mit ihm nahm Merian ein Großprojekt in Angriff, dessen erster von zwei Bänden 1631 erschien: „Gottfrieds historische Chronick oder Beschreibung der merckwürdigste Geschichte so sich vom Anfaang der Welt bis auf das Jahr Christi 1619 zugetragen“. Die Chronik war opulent mit Stichen geschmückt. Wie der Titel schon verriet, nahmen Skandale, Verbrechen, Hexenverbrennungen und unheimliche Himmelserscheinungen einen breiten Raum ein. Wer nicht lesen konnte, reimte sich die Geschichten aus den Illustrationen zusammen. Johann Wolfgang von Goethe soll dieses bombastische Werk sehr geschätzt und sich wohl auch daraus bedient haben. 

Noch umfangreicher war das „Theatrum Europäum“, das ab 1633 erschien. Das Geschichtswerk, bestehend aus fünf Bänden mit jeweils 400 bis 1500 Seiten, hielt die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburger Mächten und Spanien, der Katholischen Liga und der Protestantischen Union in Texten und 720 Kupferstichen fest. Vom Beginn des nicht enden wollenden Kriegs mit dem Prager Fenstersturz 1618 bis zum Westfälischen Frieden 1648 dokumentierte es die politischen und militärischen Ereignisse, „… eine Außführliche und Warhafftige Beschreibung aller und jeder denckwürdiger Geschichte: so sich hin und wieder in der Welt, fürnehmblich aber in Europa, und Teutschlanden, so wol im Religion- als Prophan-Wesen, … sich zugetragen haben“. 

Nach dem großen Erfolg des „Theatrum“ und der Gottfried-Chronik entschloss sich Merian zu einer Zusammenfassung seiner Arbeiten aus drei Jahrzehnten. Die „Topographia Germaniae“ erschien ab 1642 zunächst in 16 Bänden und war die umfangreichste Publikation der damaligen Zeit. Nach seinem Tod setzten seine Söhne Matthäus der Jüngere und Caspar das Werk fort und brachten es schließlich auf 30 Bände. 

In seinen letzten Lebensjahren stach er den Basler Totentanz, den ein Unbekannter um 1440 auf die Mauer des Dominikaner-Friedhofs gemalt hatte. Gevatter Tod führt einen schauerlichen Reigen an, dem alle folgen müssen, ganz gleich, welchen Standes sie sind, König, Edelmann oder Bauer. Der Dance macabre war seit der ersten Pestepidemie, die aus Kleinasien kommend in Europa wütete, eine weit verbreitete sakrale Kunstform. Merians „zeitige Betrachtung seines Sterb-Stündleins“ geschah in weiser Voraussicht. Am 19. Juni 1650 starb der schon länger kränkelnde Künstler während einer Kur in Langenschwalbach (seit 1927 Bad Schwalbach). Seine große Begabung hat er vor allem einem seiner acht Kinder vererbt: Maria Sibylla Merian. Sie wurde durch ihre prachtvollen Stiche von Blumen und Insekten berühmt.