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21.09.18 / War die Novemberrevolution eine Revolution? / Sonderausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte zu den Ereignissen vor 100 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-18 vom 21. September 2018

War die Novemberrevolution eine Revolution?
Sonderausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte zu den Ereignissen vor 100 Jahren
Maren Schönfeld

In der betont föderalistisch strukturierten Bundesrepublik Deutschland nehmen sich diverse Landesmuseen der Novemberrevolution vor 100 Jahren an. Das gilt auch für das Museum für Hamburgische Geschichte. Das Besondere an dieser Ausstellung ist, dass die Frage aufgeworfen wird, ob die Novemberrevolution überhaupt eine Revolution war. „Revolution! Revolution? Hamburg 1918–1919“ lautet denn auch der Titel der Sonderausstellung, die noch bis zum 25. Februar im Museum am Holstenwall zu sehen ist. 

Ein Flur führt zur schweren Glastür, hinter der sich die Ausstellung befindet. An den Flurwänden stimmen auf der linken Seite Repliken zeitgenössischer Plakate und auf der rechten 20 chro­nologisch geordnete Extrablätter des „Hamburger Fremdenblatts“ und der „Neuen Hamburger Zeitung“ aus den Wochen vor der Novemberrevolution auf die Thematik ein. 

Betritt man dann die Ausstellung, fällt zweierlei auf. Da ist zum einen die Dunkelheit. Und da ist zum anderen der Umstand, dass die Ausstellungsstücke und deren Anzahl eher klein sind und das Gros der Exponate eher zwei- als dreidimensional. Da gibt es Bilder, Dokumente, Flugblätter und Plakate. Deshalb auch die schwache Beleuchtung zum Schutz vor dem Ausbleichen. 

In den zwölf Abschnitten Militär, Akteure, Umland, Kommunikation, Gesundheit, Wirtschaft, Versorgung, Freizeit, Bildung, Familie, Demokratisierung und Unruhen erfährt der Besucher Umfassendes über die Geschehnisse, den zeitgenössischen Kontext und die Auswirkungen rund um die Revolution, die nur kurz währte und in Hamburg weitestgehend unblutig verlief. Es waren zehn Todesopfer bei Straßenkämpfen zu beklagen, was vergleichsweise als glimpflich gelten kann. Wie es überhaupt dazu kam, erklärt die Ausstellung anschaulich und bezieht dabei die Besucher aktiv ein.

Im Oktober 1918 starben tausende Hamburger an der Spanischen Grippe. Hinzu kamen die eklatanten Nahrungsmittelmängel aufgrund des Krieges, die vielen Kriegsversehrten und die durch den Hunger ansteigende Zahl der Tuberkuloseopfer. Ein erschütternder Film zeigt „Kriegzitterer“, zum Beispiel mit Krämpfen nach Verschüttung oder Granateneinschlag. Initiator des Films war der Neurologe Max Nonne, der die Kriegsversehrten im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf mit Hypnose behandelte – um sie möglichst schnell wieder fronttauglich zu machen. Kein Wunder, dass die Leute genug hatten.

Wie ein Korrespondenzprojekt zur Buchreihe „Das Echolot. Ein kollektives Tagebuch“, mit der Walter Kempowski eindrucksvoll vielen Einzelschicksalen des Zweiten Weltkriegs eine Stimme gegeben hat, erscheint ein Ausstellungsbereich mit Vitrinentischen, in denen Original-Tagebücher und -Briefe ausgestellt sind. Sorgfältig wurden die handschriftlichen Dokumente transskribiert und auf den Tischen als gedruckte Leseexemplare in Form von Papier, aber auch Holzblöcken und Würfeln drapiert. Einige Auszüge kann man sich auch vorlesen lassen. Die Biografien der Betroffenen sind in schmalen Broschüren dargelegt.

Überrascht registriert der Besucher eine Wand mit Rezepten: Insgesamt 20 Rezepte, ab 1915 von der Hamburgischen Kriegshilfe veröffentlicht, stehen zum Mitnehmen zur Verfügung. Die Kriegshilfe hatte damit auf die Lebensmittelknappheit reagiert. Hier kann der Besucher Rezepte für Knochensuppe, Schnauzen und Pfoten, gebackene Kalbsfüße und dergleichen mitnehmen: „Die Kalbsfüße werden gekocht, bis sich die Haut gut von den Knochen löst …“ Eine sehr ungewöhnliche und originelle Idee, die den krassen Gegensatz unserer von Fast Food geprägten Zeit des Überflusses zu jener von Not überschatteten Zeit vor 100 Jahren herausstellt.

Bei aller Not gab es auch im November 1918 Theater, Tanz, Kino und Dom, so heißt hier der Jahrmarkt, in Hamburg. Im Stadttheater wurde am 6. November der „Tannhäuser“ aufgeführt, und die Ausstellung präsentiert eine Aufnahme des Berichts des Intendanten über den Abbruch der Oper. Zu sehen ist auch die Notiz des Bratschisten in der Partitur, an welcher Stelle abgebrochen wurde.

Im Abschnitt Demokratisierung, der die freien, gleichen und geheimen Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 und zur Hamburgischen Bürgerschaft am 16. März 1919 thematisiert, werden die Kommunisten (KPD), die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), die Sozialdemokraten (SPD), die Deutschdemokaraten (DDP), der Hamburgische Wirtschaftsbund (HWP), die Deutsche Volkspartei (DVP) und die Deutschnationalen (DNVP) vorgestellt. An elektronischen Pulten kann der Ausstellungsbesucher zu jeder der sieben zeitgenössischen Parteien Kernaussagen zu den sieben Politikbereichen Staat und Verfassung, Außenpolitik, Heereswesen, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Kulturpolitik und Frauenfrage abrufen. Geistreich und verblüffend ist das hier ebenfalls zu findende elektronische Spiel „Heute oder damals?“, in dem man raten kann, ob eine Aussage oder Forderung aus den Wahlkämpfen von 1919 oder aber aus dem Bundestagswahlkampf von 2017 stammt. Da vertut man sich schneller, als man denkt, und einem wird klar, dass die in der Ausstellung thematisierte Zeit uns gar nicht so fern ist. 

Der letzte Ausstellungsabschnitt ist nicht etwa der begrüßenswerten Demokratisierung, sondern den beklagenswerten anschließenden Unruhen gewidmet. Hier steht auch bedrohlich eines der größten Exponate der Ausstellung überhaupt: ein auf einer Lafette montiertes leichtes Maschinengewehr vom sprichwörtlichen Typ 08/15. 

Anschließend wird der Museumsbesucher schriftlich nach seiner Meinung gefragt. „Rechtfertigt Revolution Gewalt?“, „Im November 1918 hätte/wäre ich …“, „Gesetze dürfen gebrochen werden, wenn/für …“, „Ich wünsche mir mehr Mitbestimmung bei …“, „Welche Ereignisse der letzten Jahrzehnte habe ich als revolutionär empfunden?“, „Revolutionär ist für mich …“ oder „Ab wann ist Demokratie in Gefahr?“ – vorgedruckte Karten mit Raum für Antworten beziehungsweise Fortsetzungen der angefangenen Sätze liegen aus; eine große Wand lädt ein, die ausgefüllten Karten dort zu platzieren.

An der Ausgangstür stehen dann Wahlurnen, die den Ausstellungsbesucher zu einer letzten Stellungnahme per Stimmkarte gemahnen – und zwar zu der Gretchenfrage der Sonderausstellung: „Im Herbst und Winter 1918/19 gab es große Veränderungen. Gleichzeitig bestand Vieles fort: Was meinen Sie? War es eine Revolution?“ Die Ausstellung macht einem die Beantwortung der Frage nicht leicht.


Das Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, 20355 Hamburg, Telefon (040) 428132100, E-Mail: info@hamburgmuseum.de, ist montags und mittwochs bis freitags von 10 bis 17 Uhr sowie am Wochenende von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Begleitend ist ein umfangreiches Buch zur Ausstellung erschienen. Die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg hat ein Materialheft zum Thema veröffentlicht.