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21.09.18 / Ein echter Irving mit Abstrichen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-18 vom 21. September 2018

Ein echter Irving mit Abstrichen
Manuela Rosenthal-Kappi

Wenn ein literarisches Schwergewicht wie der US-Schriftsteller John Irving ein neues Buch herausgibt, warten seine Fans gespannt darauf. Wer die später auch erfolgreich verfilmten Romane „Garp“ oder „Hotel New Hampshire“ gelesen hat, dürfte von der skurrilen und äußerst unterhaltsamen Erzählgewalt des Autors begeistert sein. 

Irvings neuem Roman „Straße der Wunder“ fehlen allerdings die genialen, oft grotesken Einfälle seiner früheren Romane. Etwas von der skurrilen Handlung findet zwar noch auf zwei Zeitebenen statt, zwischen denen Irving ständig hin und her wechselt, ihr fehlt es allerdings an Originalität. 

Der Roman handelt von Juan Diego Guerrera, einem Müllkippenkind aus Mexiko, und seiner Schwester Lupe. Sie spricht in einer seltsamen Sprache, die nur der Bruder versteht. Während Juan Diego hochbegabt ist und sich das Lesen mithilfe der Bücher beibringt, die er im Müll findet, kann Lupe Gedanken lesen und die Zukunft voraussagen. 

Auf der zweiten Zeitebene reist Juan Diego als alternder Schriftsteller durch Ost-Asien, um ein Kindheitsversprechen zu erfüllen. Der „Müllkippenleser“, wie Irving seinen Romanhelden durchgehend nennt, der durch einen Unfall zum hinkenden Krüppel wurde, kommt in Kontakt mit Jesuiten, die ihm aus dem Armutsmilieu heraushelfen. Über ein Waisenhaus gelangen die Kinder zum Zirkus, wo Lupe den Tod findet. Ein homosexueller Jesuit und ein Transvestit adoptieren den Jungen. Er erhält eine bürgerliche Ausbildung in den USA, wo er Erfolgsschriftsteller wird. 

Während Irving die Geschichte der Müllkippen-Jugend des Protagonisten in seinem typischen Stil erzählt, fällt die des zweiten Handlungsstrangs deutlich ab. Streckenweise ist sie gähnend langweilig. Der herzkranke Autor, der ständig Probleme mit der Dosierung seiner beiden Medikamente Betablocker und Viagra hat, schläft permanent ein und flüchtet sich in Träume von seiner Müllkippenjugend. Während seiner Reise begegnet er zwei göttergleichen Frauen, Mutter und Tochter, mit denen er phantastische Sexabenteuer erlebt, ob real oder geträumt, wird nicht klar. 

Beim Lesen drängt sich der Verdacht auf, dass Irving Elemente seiner früheren Romane genommen, gemixt, verändert und in die neue Geschichte eingefügt hat. So bleibt zwar viel erhalten von der gewohnten absurden Komik, die seinen Schreibstil so unvergleichlich macht, aber gleichzeitig werden echte Irving-Fans enttäuscht sein. Langweilige Passagen, in denen rein gar nichts passiert, lassen die Lektüre des fast 800 Seiten langen Werks zu einer Herausforderung werden.

 John Irving: „Straße der Wunder“, Diogenes Verlag, Zürich 2018, gebunden, 784 Seiten, 26 Euro