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28.09.18 / Nicht nur im Staatsdienst / Wie kommerzielle Unternehmen Gesichtserkennung für sich zu nutzen versuchen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-18 vom 28. September 2018

Nicht nur im Staatsdienst
Wie kommerzielle Unternehmen Gesichtserkennung für sich zu nutzen versuchen
Friedrich List

Was in den Händen der Sicherheitsbehörden oft schon problematisch genug ist, findet immer mehr kommerzielle Anwender: die technische Gesichtserkennung. Hinter den Kameras, die vielerorts auf Kunden, Bahnreisende oder Flugpassagiere blicken, arbeiten immer öfter intelligente Analysesysteme. Die Technologie zur Gesichtserkennung ist in den letzten Jahren präziser und preiswerter geworden.

Die Modekette H&M experimentiert in ihrem sogenannten Flag­shipstore am Times Square mit einer kybernetischen Version des Schneewittchen-Spiegels. Im Eingangsbereich hat das Unternehmen einen menschengroßen intelligenten Spiegel aufgestellt, der Sprach- und Gesichtserkennung miteinander vereinigt, um mit den Kunden Kontakt aufzunehmen. Er macht den Kunden individuelle Modevorschläge. Die können sich die Vorschläge auf ihr Smartphone herunterladen und dann direkt im Geschäft oder später online kaufen. Außerdem kann man sich vom Spiegel fotografieren lassen. Wenn man nichts dagegen hat, erscheint das eigene Gesicht dann auf dem Titel des H&M-Kundenmagazins. 

Unternehmen hoffen, auf diese Art ihre Kunden besser kennenzulernen und ihnen nach Möglichkeit maßgeschneiderte Angebote präsentieren zu können. Das geschieht, indem man die Technologien zur Gesichtserkennung mit anderen Kundendaten verknüpft. Das wären beispielsweise Vorlieben für und Abneigungen gegen bestimmte Produkte, Häufigkeit der Besuche oder eine Einschätzung über den Gemütszustand beim jeweiligen Besuch.

„Die Gesichtserkennung wird es Vermarktern ermöglichen, ihre Kunden besser zu kennen. Die Fotos der Besucher können als Cookies zur Identifizierung und Speicherung von Benutzereinstellungen dienen“, sagte Artem Kukharenko, Chief Executive Officer (CSO, Geschäftsführer) von NtechLab der US-amerikanischen Marketingexpertin und Bloggerin Molly St. Louis. NtechLab ist ein in Washington, D.C. ansässiges Unternehmen, das Lösungen zur Gesichtserkennung entwickelt. „Mit anderen Worten, Kundenkarten werden obsolet“, so Kukharenko weiter, „sobald Sie einen Laden betreten, wissen die Mitarbeiter bereits, was Sie das letzte Mal gekauft haben, dank der Aufnahmen der Kamera und unserer Technologie.“

Daraus ließen sich dann auch Anhaltspunkte für personalisierte Werbung gewinnen. Kukharenkos Vision für diese Zukunft sieht dann so aus: „Stellen Sie sich vor, Sie gehen in einen Supermarkt und prüfen eine Kaffeemaschine, kaufen sie aber nicht. In ein paar Tagen könnten Sie eine Internet-Anzeige des gleichen Artikels mit einem Rabatt angezeigt bekommen oder Sie erhalten eine persönliche Nachricht über Social Media mit relevanten Informationen über solche Produkte“, sagt er.

Für viele Menschen ist das eher bedrohlich. In Deutschland sind nicht nur technische und rechtliche Hürden zu nehmen. Bislang verhindert der Datenschutz, dass staatliche Organe routinemäßig Zugriff auf private Bilddaten haben. Die Technologien zur Gesichtserkennung stoßen hierzulande auf große Skepsis. Entsprechend negativ war das Echo auf Versuche der Supermarktkette Real und der Post, Gesichtserkennung zu verwenden, um Kunden auf Bildschirmen maßgeschneiderte Werbung zu zeigen. 

2016 führte Real in 41 Supermärkten ein Pilotprojekt durch, das aber nach Protesten und Anzeigen eingestellt wurde. Viele empfinden die Überwachung im Supermarkt als Eingriff in ihren persönlichen Gestaltungsbereich. Diesen Eingriff lehnen nach einer repräsentativen Umfrage der Verbraucherzentrale Nord­rhein-West­falen von 2017 mehr als drei Viertel der Befragten ab. Auch waren vier von fünf Befragten besorgt, dass über Gesichtserkennung unbemerkt Daten über sie gesammelt würden, über die sie keine Kontrolle hätten. Zwei Drittel der Befragten sahen darin einen Grund, den betreffenden Supermarkt zu meiden. An der Befragung nahmen rund 1100 Internetnutzer vom jungen Erwachsenen bis zum Ruheständler teil.