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28.09.18 / Fontane in Moll / Chronist des baltischen Adels – 100. Todestag des Autors Keyserling

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-18 vom 28. September 2018

Fontane in Moll
Chronist des baltischen Adels – 100. Todestag des Autors Keyserling
Harald Tews

Ein fast Vergessener kehrt zurück ins literarische Be­wusstsein. Der 100. To­destag mag mit ein Grund dafür sein, dass man sich plötzlich wieder an Eduard von Keyserling erinnert. Doch das ist es nicht allein. Schon seit Jahren werden seine Romane und Novellen – insbesondere seine „Schlossgeschichten“ – vor allem im Manesse Verlag wieder aufgelegt. Je prosaischer die Realität, desto größer die Sehnsucht nach der Poesie der Vergangenheit. Und Keyserling bietet den Stoff dazu.

Kurz bevor er selbst Gefahr lief, „unzeitgemäß“ zu werfen, starb Eduard Graf von Keyserling er­blindet und vermutlich – vieles in seinem Leben bleibt ein Geheimnis – an den Folgen einer syphilitischen Erkrankung am 28. September 1918 in München. Nur wenige Wochen später war der Erste Weltkrieg beendet, womit in Deutschland auch der Adel unterging, den Keyserling in seinen Werken so melancholisch-gefühlvoll geschildert hat. 

Der 1855 in Schloss Paddern im Kurland geborene Autor entstammte selbst einem alten Adelsgeschlecht, und viele seiner Ro­mane wie „Dumala“, „Wellen“ oder „Abendliche Häuser“ spielen in deutsch-baltischen oder ostpreußischen Schlössern. Dabei zeigt sich, dass er den Untergang der Adelswelt vorhergesehen hat. Viele seiner Protagonisten schildert er als lebensuntauglich. Vielleicht beschrieb er damit auch ein wenig sich selbst. Er galt als schwarzes Schaf der Familie, wurde „wegen einer Lappalie“ aus einer Studentenverbindung geworfen, brach ein Kunst- und Philosophiestudium in Dorpat ab und reiste nach Wien, wo er ein Boheme-Leben führte. 

Hinzu kam ein Rückenmarksleiden, dass ihn früh zu einem körperlichen Wrack machte. In seinem letzten Roman „Fürstinnen“, den der Manesse Verlag zum Keyserling-Jubiläum herausgebracht hat (320 Seiten, 19,95 Euro) beschreibt er einen Erbprinzen, der einem Selbstporträt gleicht: „Der lange, schmalschultrige Herr mit dem glattgescheitelten, rotblonden Haar und dem blassen, ein wenig kränklichem Gesicht brachte Leben in das stille Schloss. Die kurzsichtigen, blauen Augen blinzelten nervös mit den blonden Wimpern.“ Die Beschreibung ähnelt sehr dem bekannten Keyserling-Porträt des Königsberger Malers Lovis Co­rinth, das der Autor Klaus Modick jetzt übrigens in den Mittelpunkt einer neuen Romanbiografie über die dunklen Punkte im Leben Keyserlings gestellt hat („Keyserlings Geheimnis“, Kiepenheuer & Witsch, 240 Seiten, 20 Euro).

Körperlich eingeschränkt, blieb Keyserling so Zeit zum Schreiben. Mit Anfang 30 gab er sein Schriftstellerdebüt, verfasste Romane und Dramen im naturalistischen Stil. Aber erst als 50-Jähriger fand er mit seinen grazilen Adelserzählungen zu dem skizzenhaft-impressionistischen Stil, den auch Thomas Mann bewunderte. 

In einem Nachruf auf den Tod dieses „Fontanes in Moll“, der als Chronist der Dekadenz des baltischen Adels gilt, schrieb Mann: „Es fehlt bei Keyserling die Breite, das Behagen, der lange Atem, die gesunde Furchtlosigkeit vor dem Langweiligen, die der Erzählkunst von 1860 noch eignete. Sein Werk ist schmaler, graziler, später, wählerischer, es hat nervöseren Puls; der Blick auf das Leben ist kälter geworden, die Ironie geistiger, das Wort präziser, der Gesamthabitus ungemütlicher, künstlerischer und weltläufiger – man spürt die Europäisierung der deutschen Prosa seit 1900.“