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28.09.18 / Londons bester Spion hatte auch Reagans Ohr / Der höchstrangige öffentlich bekannte Überläufer des KGB in den Westen, Oleg Gordijewski, wird am 10. Oktober 80 Jahre alt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-18 vom 28. September 2018

Londons bester Spion hatte auch Reagans Ohr
Der höchstrangige öffentlich bekannte Überläufer des KGB in den Westen, Oleg Gordijewski, wird am 10. Oktober 80 Jahre alt
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Bei der Tätigkeit der westlichen Nachrichtendienste im Kalten Krieg gewinnt man den Eindruck, dass die US-Amerikaner und die Westdeutschen primär auf modernste, hochqualifizierte Technik setzten, während Großbritannien den Einsatz von direkten Spionen bevorzugte. Experten behaupten, die besten Nachrichten seien nur durch eine auf der Gegenseite gut platzierte Quelle zu gewinnen. Zutreffend ist, lediglich ein Spion kann deren Gehirn, ihr Denken sowie deren Pläne erkennen. Dass ihm im Sowjetblock bei einer Enttarnung die Todesstrafe drohte, erschwerte es, Menschen östlich des Eisernen Vorhangs zur Mitarbeit für einen westlichen Nachrichtendienst zu gewinnen. 

Dennoch haben nach 1945 überaus viele Männer und Frauen für den Westen gearbeitet. Ihr Motiv war recht häufig Hass gegen ihr Regime, bei manchen waren es gewiss auch materielle Verlockungen. Auch bedienten sich westliche Dienste des Mittels der Erpressung, doch war dies selten. Heute mag es unglaublich erscheinen, aber bei erstaunlich vielen Personen war das dominierende Motiv reiner Idealismus. 

Gerade in der Welt der Spionage und Gegenspionage, der Täuschungen und des Umdrehens von Agenten geht das Leben oft seltsame Wege. Dass er einmal der wichtigste Helfershelfer der britischen Spionage werden würde, ahnte der in Sowjetrussland aufgewachsene und lange Jahre Kreml-gläubige Oleg Gordiewsky garantiert nicht. Eigentlich wollte er in den diplomatischen Dienst seines Landes eintreten. Doch sein älterer Bruder, der wie schon ihr Vater im KGB tätig war, überredete ihn, ebenfalls dem Sowjetgeheimdienst beizutreten. Als angeblicher Diplomat wurde der junge KGB-Offizier im Ausland eingesetzt, um dann 1972 an die sowjetische Botschaft in Kopenhagen versetzt zu werden. Dort verwandelte er sich laut seinen Angaben durch den Einmarsch der Streitkräfte des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei zu einem Systemgegner, was umso bemerkenswerter ist, als die Niederschlagung des Prager Frühlings da schon mehrere Jahre zurücklag. Fakt jedenfalls ist, dass er Kontakt zur dänischen Spionageabwehr aufnahm und nach deren Aussagen „vielleicht die wichtigste Informationsquelle“ wurde. Die in jenen Jahren erfolgte Ausweisung von insgesamt sieben Sowjets mit Diplomatenstatus aus dem Lande erfolgte zweifellos aufgrund seiner Hinweise. 

1974 warb ihn der britische Spionagedienst MI6 als Mitarbeiter an. Acht Jahre später kam Gordiewsky nach London, wo er bis zum Leiter aller Sowjetspione im Inselreich aufstieg. Das gab ihm die Möglichkeit, dem MI6 die Namen aller KGB-Agenten in Großbritannien zu verraten. Da eine größere Verhaftungswelle gegen sie sofort in Moskau Misstrauen erregt hätte, wurde niemand von ihnen festgenommen, dafür aber unter ständige Kentrolle gestellt.

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme ging im März 1985 in der Mos­kauer Zentrale des Sowjetgeheimdienstes eine Warnmeldung gegen ihn ein. Gordiewsky wurde mit seiner Familie nach Moskau zu einem Urlaub befohlen, was in diesem Milieu eine Verdächtigung bedeutete. Gordiewsky wurde sogar von dem Abwehrexperten des KGB mehrfach eingehenden Verhören unterzogen, überführen konnte man ihn dabei aber nicht. Unter Bewachung blieb er trotzdem.  

Verständlicherweise versuchte die  britische Botschaft in Mos­kau, ihren Spitzenmann aus der Sowjetunion herauszuschmuggeln. Ein erster Versuch einer Botschaftsangestellten, Gordiewsky am Moskauer Gorkiplatz, wo er täglich joggte, unbemerkt von seinen Bewachern aufzugabeln, schlug fehl, da sich beide um eine Minute verfehlten. Ein weiterer Versuch indes gelang. Am 20. Juli 1985 warf sich Gordiewsky in seinem üblichen Joggingdress auf den hinteren Sitz des Autos und kroch unter die vorbereitete Decke. Es war genau 15.30 Uhr, als die beiden die sowjetisch-finnische Grenze erreichten. Für diesen Fall waren britischerseits bereits Vorbereitungen getroffen worden. Unter dem Vorwand, krankheitsbedingt einen Spezialarzt in Helsinki aufsuchen zu müssen, hatte sie vorher bereits die nun angesteuerte Grenzübergangsstelle genutzt. Zum Gaudi der sowjetischen Grenzsoldaten hatte sie dabei deren Wachhunden etliche Würstchen zugeworfen. Als sie nun an jenem 20. Juli mit Gordiewsky im Fond erneut den Grenzübergang erreichte, warf die Britin mehr denn je den Hunden Würstchen zu, die dadurch abgelenkt waren. Ungehindert erreichten die beiden Finnland. Da das Land block­frei war, brachte ein schon wartendes Flugzeug den Herausgeschmuggelten in das sichere NATO-Land Norwegen. 

Monatelang schwieg man an der Themse über den gelungenen Coup. Erst im September gab die britische Regierung offiziell bekannt, dass Oleg Gordiewsky um Asyl gebeten habe. Zuvor waren 31 von ihm angegebene Sowjetspione in Großbritannien zum Verlassen des Landes aufgefordert worden, darunter sechs Personen mit Diplomatenstatus. Der Übergelaufene wusste viel über den KGB, die Elite der UdSSR und die dortigen Zustände zu berichten. In einem mehrstündigen Gespräch im Weißen Haus konnte er US-Präsidenten Ronald Reagan vom ehrlichen Reformwillen Michail Gorbatschows überzeugen. Von der Herausgabe eines Standardbuches über den Sowjetgeheimdienst abgesehen, wurde es still um den einstigen KGB-Obersten. Heute dürfte Londons bester Spion irgendwo in Großbritannien still seinen Lebensabend verbringen. Seine bei der Flucht zurückgelassene Familie durfte noch vor dem Ende der Sowjetunion Russland verlassen. Ob dafür ein Preis in welcher Form auch immer gezahlt wurde, ist nicht publik geworden.