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28.09.18 / Ein Grund zum Feiern? / Die Kritik wird lauter: Eine Bilanz nach sechs Jahrzehnten Fünfte Französische Republik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-18 vom 28. September 2018

Ein Grund zum Feiern?
Die Kritik wird lauter: Eine Bilanz nach sechs Jahrzehnten Fünfte Französische Republik
Eva-Maria Michels

Am 4. Oktober vor 60 Jahren proklamierte Charles de Gaulle offiziell die Fünfte Französische Republik, nachdem fast 80 Prozent der Wähler am 28. September 1958 für die ihr zugrunde liegende neue Verfassung gestimmt hatten. Ursächlich für den Verfassungs- und damit institutionellen Wechsel von der parlamentarischen Ordnung der Vierten Republik zum semi-präsidentiellen System der Fünften Republik waren die instabilen Regierungsmehrheiten der Vierten Republik, die das Land in ein politisches Chaos stürzten. 

Nach dem Beginn des algerischen Unabhängigkeitskrieges 1954 trat die Handlungsunfähigkeit der sich nachfolgenden Regierungen besonders drastisch zu Tage, sodass schließlich nach dem Putsch von Algier 1958 de Gaulle als Retter von den Parlamentariern auf die politische Bühne zurückgerufen wurde. De Gaulle hegte eine große Abscheu gegenüber dem Parteienstaat und sah darin eine der Hauptursachen für die politische Schwäche der Nachkriegsregierungen. Durch die starke Stellung eines in zwei Wahlgängen direkt vom Volk gewählten Präsidenten, der über der Tagespolitik stehen und die ihm verantwortliche Regierung ernennen und entlassen sollte, glaubte de Gaulle die Macht der Parteien brechen zu können. Dieses System des Mehrheitswahlrechts mit zwei Wahlgängen findet sich in Frankreich auf allen Verwaltungsebenen wieder. Sein Ziel ist es, die Parteienmacht zu brechen und durch ein ideologisch bipolares System Stabilität zu schaffen. Welche Bilanz lässt sich 60 Jahre nach der Gründung der Fünften Republik ziehen?

Durch die ursprünglich sieben- und mittlerweile nur noch fünfjährige Amtszeit des Präsidenten ist es zweifellos gelungen, besonders Frankreichs Außenpolitik, die Präsidialdomäne, und in einem geringeren Maße auch die Innenpolitik zu stabilisieren. Doch stellt das Mehrheitswahlsystem, bei dem beim zweiten Wahlgang nur die Kandidaten vertreten sind, die mehr als 20 Prozent der Stimmen beim ersten gewinnen konnten, ein demokratisches Problem dar. In der Regel überleben nur zwei, höchstens drei Kandidaten die erste Runde, sodass den meisten Wählern in der zweiten Runde nichts anderes übrig bleibt, als für das vermeintlich kleinere Übel zu stimmen. In den letzten Jahren sinkt landesweit die Bereitschaft, solche Kompromisse einzugehen: Die Zahl der Nichtwähler erreicht deshalb bei manchen Wahlgängen um die 50 Prozent. 

Ein weiteres Problem ist die weitverbreitete Praxis, Kandidaten, denen man wenig Erfolgschancen einräumt, trotz ideologischer Sympathien im ersten Wahlgang nicht zu wählen aus Angst, dem aussichtsreichsten „kleineren Übel“ den Einzug in die zweite Runde zu verbauen. Durch diese Praxis wird die Macht der großen Parteien zementiert, obwohl sie immer weniger Wähler repräsentieren. 

Das Wahlsystem erlaubt es dem Parteienestablishment zudem, durch systematische Allianzen im zweiten Wahlgang dem ehemaligen Front National (FN) und heutigen Rassemblement National (RN) seit den 80er Jahren die ihm von den Wählerstimmen her zustehende Repräsentanz zu verweigern. Obwohl er bis zu einem Drittel der Wähler repräsentiert, war er über die Jahre in der Nationalversammlung (Assemblée nationale) gar nicht vertreten oder höchstens völlig unterrepräsentiert. Als Folge davon boykottieren die Wähler des FN/RN seit Langem systematisch den zweiten Wahlgang und fühlen sich als Opfer „des Systems“. Der FN/RN, aber auch Kleinparteien fordern deshalb schon lange eine Verfassungsänderung zugunsten eines Verhältniswahlrechts wie in der Vierten Republik. 

Die Kommunisten und seit neuestem die Linksradikalen der Partei „La France Insoumise“ (FI, Unbeugsames Frankreich), die zwischen zehn und 20 Prozent der Wähler repräsentieren, sind im Parlament überrepräsentiert, da die Sozialisten und Grünen im Zweifelsfall immer für den revolutionären Bruder stimmen. Dennoch wollen die Linken die „präsidentielle Monarchie“, wie der FI-Gründer und -Vorsitzende Jean-Luc Mélenchon die Fünfte Republik nennt, durch ein basisdemokratisches System ersetzen, um so die Demokratiemüdigkeit der Franzosen zu bekämpfen. 

Ein weiteres Problem ist die Verkürzung der Präsidentschaft auf fünf Jahre und die Zusammenlegung der Präsidentschaftswahlen mit den ebenfalls fünfjährlichen Wahlen zur Nationalversammlung durch Jacques Chirac im Jahre 2000. Diese Maßnahme ist zwar dazu angetan, die Notwendigkeit einer instabilen Cohabitation (Zusammenleben) zwischen einem Präsidenten und einer Parlamentsmehrheit aus unterschiedlichen politischen Lagern zu verhindern, weil die Wähler in der Regel bei den beiden kurz nacheinander stattfindenden Wahlen mehrheitlich entweder beide Male links oder beide Male rechts abstimmen, doch führt dieses stabilisierende Element zur Schwächung der Gewaltenteilung und Verfestigung des Parteienstaates. 

Seit der Wahl des Ex-Sozialisten Emmanuel Macron zum Präsidenten dank eines nie dagewesenen gemeinsamen Propagandafeldzugs aller Mainstreammedien und -politiker tritt noch eine weitere Schwäche des französischen Systems zu Tage: die Anfälligkeit für autoritär-totalitäre Tendenzen. Macrons Bewegung „La République en Marche“ (LaREM, Die Republik in Bewegung) ist keine Partei im herkömmlichen Sinne, sondern ein Sammelbecken für häufig inkompetente, zweifelhafte Personen, die in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis zum Präsidenten stehen und keinerlei politische Verankerung in ihrem Wahlkreis haben. LaREM hat als einzigen Programmpunkt, vorbehaltlos für die im Wahlkampf wenig klar geäußerten Pläne des aktuellen Präsidenten zu stimmen. Alle LaREM-Kandidaten mussten deshalb vor ihrer Aufstellung einen Vertrag mit Macron unterzeichnen, in dem sie sich verpflichteten, genau dies zu tun. Die Gewaltenteilung ist damit faktisch aufgehoben. 

Resümierend lässt sich feststellen, dass die Fünfte Republik mit ihrem Mehrheitswahlrecht dem Land auf Kosten einer parlamentarischen Repräsentation des Wählerwillens politische Stabilität gebracht hat. Aufgrund der dominanten Rolle des Präsidenten ist das politische System besonders anfällig für Autoritarismus und Machtmissbrauch – besonders, wenn sich der Präsident auf eine parlamentarische Mehrheit seiner Partei stützen kann.