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28.09.18 / Massenbekenntnis einer sprachlosen Minderheit / In Breslaus Jahrhunderthalle versammelten sich Deutsche aus der ganzen Republik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-18 vom 28. September 2018

Massenbekenntnis einer sprachlosen Minderheit
In Breslaus Jahrhunderthalle versammelten sich Deutsche aus der ganzen Republik
Chris W. Wagner

Etwa 5000 Besucher reisten am 22. September in die Breslauer Jahrhunderthalle zum Kulturfestival der Deutschen in der Republik Polen an. Die Schirmherrschaft für das Ereignis hatten die Präsidenten Andrzej Duda und Frank-Walter Steinmeier übernommen. Das polnische Oberhaupt rühmte im Grußwort den über Jahrhunderte gewachsenen Beitrag der Deutschen für die Entwicklung seines Vaterlandes: „Sie kamen als Künstler, Kaufleute, Siedler oder Stadtgründer. Die polnische Kultur ist ohne große Werke von Veit Stoß kaum zu denken. Die historische Bilanz der deutsch-polnischen Beziehungen ist zwar komplex, aber wir vergessen nicht, dass über Jahrhunderte die Westgrenze die friedlichste Grenze der Republik Polen war und über diese Grenze hinweg wurden friedliche, anregende Kontakte gepflegt“, so Duda. 

„Im 100. Jahr der Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit zeigt das Festival, dass die deutsche Minderheit in der polnischen Gesellschaft fest integriert ist. (…) Als deutscher Bundespräsident, dessen Mutter selbst aus Breslau stammt, erfüllt mich dies mit großer Freude“, schrieb Steinmeier.

Der Vorsitzende des Verbandes der Sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen und Gastgeber des Kulturfestivals, Bernard Gaida, sagte: „Wir standen niemals abseits. (…) Wir sind die einzige nationale Minderheit in Polen, die so sehr an den Dialog glaubte, dass sie an den demokratischen Wahlen offen teilgenommen hat“. Gaida erinnerte an das Kriegsende 1918 und die daraus resultierende Neuordnung Europas und daran, dass die Gleichheit der Rechte ohne Rücksicht auf die Nationalität in der Verfassung verankert wurde. „Im geteilten Oberschlesien, sowohl auf deutscher wie auch polnischer Seite, tauchte der Begriff der Nationalen Minderheiten und deren Rechte auf. In Polen waren Minderheitenschulen mit Deutsch und in Deutschland mit Polnisch als Unterrichtssprache entstanden. Diese Lösung ist nach 100 Jahren lediglich zu einer Forderung beziehungsweise zu einem Traum geworden. (…) Wir sind diejenigen, die das zunehmende Defizit an Dialog sowohl im Inland als auch in Bezug auf deutsch-polnische Beziehungen oder gar auf europäischer Ebene schmerzlich erfahren. Es bekümmert uns, dass der fehlende Dialog fremdenfeindliche Tendenzen verstärkt, die mit einer Abneigung gegen andere Kulturen und Sprachen zusammenfallen und es richtet sich in erster Linie immer gegen nationale Minderheiten. Es beunruhigt uns auch deswegen, dass dies die Festigung der Vorstellung von Europa als Einheit in Vielfalt bedroht“.

Die deutsche Volksgruppe als zahlenmäßig stärkste Minderheit in der Republik Polen ist sich auch darin einig, dass Sprache und Kultur eine Einheit bilden. Zahlreiche Organisationen präsentierten an etwa 30 Informationsständen ihre Projekte zu Sprachförderung. Deutsche Samstagsschulen, Fortbildungen für Deutschlehrer, Theater und Gesangprojekte, deutsche Fußballschulen – all das scheint jedoch zu wenig zu sein, solang diese Maßnahmen Deutsch als eine Art „Neben-“ und keine Alltagssprache behandeln. „Ich habe mit meinem Papa und meiner Oma nur deutsch gesprochen, mit der Mama im wasserpolnischen Dialekt. Polnisch lernte ich erst im Kindergarten“, berichtet Andrea. Das 16-jährige, in Tracht gekleidete, Mädchen engagiert sich im deutschen Freundschaftskreis ihrer Heimatstadt Gogolin und ist stolz durch ihre deutsche „Andersartigkeit“ etwas Besonderes zu sein. Die deutsche Sprache gebraucht sie aber nur zur Hause und teilt diese nicht mit Gleichaltrigen. 

Solange jedoch für eine zweisprachige Erziehung lediglich mit Slogans wie „Durch Zweisprachigkeit zu besseren Berufschancen“ geworben wird, bleibt die deutsche Volksgruppe in Polen eine „Sprachlose Minderheit“. „Sie müssen sich vorstellen, wir fahren mit dem Bus zum Kulturfestival der Deutschen und alle labern nur polnisch. Nicht einmal ‚Guten Morgen‘ wird auf Deutsch gesagt. Genauso ist es bei unseren Versammlungen. Da muss man sich ja schämen!“, wettert der 84-jährige Richard Urban aus dem oberschlesischen Nakel, der während des Kulturtreffens als Zeitzeuge im Projekt „1945 – unsere Geschichten“ über das Leben der Deutschen in der Nachkriegszeit berichtete. Für das Vermitteln der Identität ist die Volksgruppe selbst und nicht Organisationen von Außen verantwortlich, so Urban, der seinen Kindern deutsche Vornahmen gab, ihnen die deutsche Sprache in die Wiege legte und sie zu selbstbewussten Deutschen erzog, der den Mut hatte zur geschichtsträchtigen Versöhnungsmesse in Kreisau mit dem Transparent „Helmut, Du bist auch unser Kanzler!“ anzureisen, der aber auch als Tiefgläubiger alleinstehende und kranke „Kameraden“ im Dorf besucht, ihnen Trost und Mut zuspricht. Richard Urban ist für die 16-jährige Andrea ein Vorbild, genauso, wir ihre Oma und ihre Eltern, die sich für das Fortbestehen der deutschen Volksgrupp in Polen engagieren, denn ohne ihnen gäbe es schließlich keine Kulturfeste der Deutschen Minderheit in Polen. Das nächste findet turnusmäßig erst wieder in drei Jahren statt.

(Ein weiterer ausführlicher Bericht folgt in der Ausgabe Nr. 40.)