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28.09.18 / Mit dem Piraten auf Wallfahrt / Lieber Glocken- als Handy-Gebimmel – Auf gemütlicher Pilgertour in der oberbayerischen »Heiligen Landschaft Pfaffenwinkel«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-18 vom 28. September 2018

Mit dem Piraten auf Wallfahrt
Lieber Glocken- als Handy-Gebimmel – Auf gemütlicher Pilgertour in der oberbayerischen »Heiligen Landschaft Pfaffenwinkel«
Judith Kunz/tws

Die Fitnessuhr, die auch bei Wanderern zu einem un­entbehrlichen Accessoire geworden ist, vermeldet: „Die Aufzeichnung wurde angehalten.“  Als Aktivitätsprogramm ist „Wandern“ eingestellt, doch wir wandern nicht, wir pilgern. Manche sagen, Pilgern sei so etwas wie langsames Wandern, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Pilgern ist weit mehr, auch wenn es langsam vorangeht. So langsam, dass die Fitnessuhr die Aufzeichnung der Schrittfrequenz anhält. 

„Es geht nicht vorrangig ums Laufen, es geht ums Spüren. Ums Fühlen“, sagt Irmgard Deml, die im oberbayerischen Pfaffenwinkel eine von drei ausgebildeten Pilgerbegleiterinnen ist. Die Voralpenidylle mit ihren 159 Klöstern, Kirchen und Kapellen ist fürs Pilgern wie geschaffen, weshalb die Ge­gend zwischen Starnberger See und Schongau gleich von drei regionalen Pilgerwanderwegen durchzogen wird.

„Heilige Landschaft Pfaffenwinkel“ heißt das Pilgerwegenetz, das zu ganz besonderen Orten der Region führt. Zum Kloster An­dechs auf dem Heiligen Berg. Zum Kloster Wessobrunn mit seiner berühmten Tassilolinde. Zur Wieskirche in Steingaden, einem UNESCO-Weltkulturerbe. Doch es sind nicht nur die Klöster und Kirchen, die den Pfaffenwinkel und seine Pilgerwanderwege ausmachen, sondern auch eine intakte Kulturlandschaft. 

Peter Frank hat sie schon immer gespürt, diese unsichtbare seelische Kraft hier. Kein Wunder, Frank stammt aus der Gegend, dennoch braucht es ein besonderes Gespür dafür. Der 42-Jährige Pfaffenwinkler besitzt nicht nur dieses Gespür, sondern hatte auch eine Idee. Er wollte die zahlreichen Kraftplätze dieser Gegend durch Pilgerwege verbinden. So entstand die Heilige Landschaft Pfaffenwinkel – drei Mehrtageswanderungen, die alle am Hohen Peißenberg auf 988 Metern beginnen und von dort in unterschiedlichen Schleifen durch den Pfaffenwinkel führen.

Unsere Tagestour liegt auf der Nordschleife und reicht vom Peißenberg nach Paterzell. Es ist die erste Etappe von insgesamt sieben. Auf zwölf Kilometern geht es vom Berg hinunter und durch den Wald an der Herz-Jesu-Kapelle vorbei zu einem Badesee mit der Jakobsquelle. Es ist eine kleine Gruppe von sechs Personen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen an diesem strahlenden Herbsttag zusammengefunden haben und die doch eines eint: Alle wollen sie für sich sein und doch in der Gemeinschaft, sie wollen Ruhe und vielleicht auch ein bisschen zu sich selbst finden.

So wie Sieglinde, die aus der Umgebung kommt und die Ge­gend kennt. „Aber so eine Pilgerwanderung ist dann doch etwas anderes“, sagt sie. Sie habe diese Tour schon lange vorgehabt, im­mer sei irgendetwas dazwischengekommen. An Sieglindes Ruck­sack baumelt ein Maskottchen, ein kleiner Piratenkapitän. „Der begleitet mich seit über 20 Jahren, wir beide haben schon viel gesehen“, sagt sie. Trotzdem gibt es immer wieder Neues. 

Dieser Tag ist für Sieglinde – und ihren Piraten – eine Premiere. Ihre erste Pilgertour. „Ich möchte nicht nur so vor mich hin gehen und von einem Ort zum nächsten wandern“, sagt Sieglinde. Außerdem, gesteht sie, habe sie keinen guten Orientierungssinn und gehe deshalb lieber in der Gruppe. Später am Ziel, vor der Einkehr im Gasthof Eibenwald, wird Sieglinde noch sagen, dass sie die Pilgertour fortsetzen werde. Nicht hier und heute, aber demnächst. Ganz bestimmt.

Die Heilige Landschaft Pfaffenwinkel gibt es seit 2015, drei Wegschleifen führen in den Norden, den Osten und den Westen. Zu Kirchen, Klöstern und in die vom ersten Schritt an entschleunigende Natur dieser ganz besonderen Voralpenregion. „Sprudelnde Quellen“ heißt die Nordschleife, deren erste Etappe wir an diesem Tag gehen. Insgesamt sind es sieben Etappen und 96 Kilometer, es geht durch einen der größten Eibenwälder Deutschlands zum Ammersee, vorbei an zahlreichen Quellen, die dieser Pilgerroute ihren Namen gaben. 

Die Ostschleife, „Spiegelnde Wasser“, umfasst acht Tagesetappen und ist mit 139 Kilometern die längste der drei Pilgerrouten. Sie ist geprägt vom Starnberger See und den Osterseen sowie den vielen kleineren Gewässern und Weihern. Die dritte im Bunde, die Westschleife „Wilde Flüsse“, ist mit sechs Tagesetappen und 76 Kilometern Gesamtlänge zwar die kürzeste, vom Streckenprofil aber die an­spruchsvollste Tour. Sie führt durch die wild-romantische Am­merschlucht und das Wiesfilz über den Auerberg, dem nördlichsten Berg der Alpen und der mit 1055 Metern höchsten Erhebung im Pfaffenwinkel. 

Pilgerbegleiterin Deml führt ihre Gäste seit Bestehen der Heiligen Landschaft Pfaffenwinkel durch die Nordschleife, zwei an­dere ebenso ausgebildete Kolleginnen führen durch die Ost- und Westschleife. „Jede Route ist anders“, sagt Deml, „und natürlich ist auch jede Pilgerbegleiterin anders“. Ihr ist das Spirituelle wichtig. Sie ist Heilpraktikerin und Yoga-Lehrerin, macht Klangmassagen und hat sich in Geistigem Heilen und Heilsamem Singen ausbilden lassen. Was die 58-Jährige nicht hat, ist ein Handy.

„Vu da Weiddn und da Ge­boagnheidd“ hat sie diesen Pilgertag genannt, von der Weite und der Geborgenheit. Die Weite findet sie auf dem Hohen Peißenberg mit seinem Panoramablick und entlang der Wiesen und Felder, die Ruhe im Wald und die stille Andacht in den Kapellen und kleinen Kirchen am Weges­rand vermitteln Geborgenheit.

Immer wieder macht sie Pausen und lädt die Gruppe zu spirituellen Impulsen ein. Das können kurze Gebete und selbstgeschriebene Lieder, aber auch bewusste Schweigephasen, spezielle Körper- und Atemübungen und kleine Yoga-Einheiten sein. 

In ihren Liedern besingt sie das Einzigartige und die Kraft dieser Gegend. „Heilige Landschaft, du Pfaffenwinkel, / du lehrest uns Vieles beim Geh’n, / dass wir dann Dinge in unser’m Leben / plötzlich doch ganz anders seh’n“, heißt es in einer Strophe. Und mit jedem Kilometer, mit jedem Lied überträgt sich Demls Ausstrahlung und heitere Gelassenheit auf die Gruppe, eine ganz eigene Ruhe macht sich breit. Der letzte Blick auf die Fitnessuhr ist Ewigkeiten her. Wahrscheinlich hat sie die Aufzeichnung wieder angehalten. Aber das ist unwichtig geworden.


Tourismusverband Pfaffenwinkel, Bauerngasse 5, 86952 Schongau, Telefon (08861) 2113 200, E-Mail: info@pfaffen-winkel.de, Internet: www.pfaffen-winkel.de