29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
28.09.18 / Blick über den Tellerrand hinaus auf Zentralasien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-18 vom 28. September 2018

Blick über den Tellerrand hinaus auf Zentralasien
Dirk Klose

Das dramatische Geschehen im Nahen Osten und die Zuwanderungsbewegung über das Mittelmeer halten Europa seit Langem in Atem und geben kaum noch Raum für den Blick auf andere Weltregionen und Ereignisse. Damit laufe Europa Gefahr, wichtige Entwick­lungen zu übersehen oder zumindest nicht rechtzeitig darauf zu reagieren, so Thomas Kunze in seinem Buch „Zentralasien. Porträt einer Region“. Kunze vertritt die Konrad-Adenauer-Stiftung in der usbekischen Hauptstadt Taschkent und kennt die Region seit vielen Jahren. Nach der Lektüre fühlt man sich in der Tat veranlasst, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. 

Zentralasien – Schlagworte wie Seidenstraße, Samarkand, Buchara und Chiwa mit ihren prächtigen Moscheen und Medressen (islamische Hochschulen) verströmen noch immer den Zauber des Orients. Die Wirklichkeit, das zeigt Kunze, sieht ganz anders aus: Nach dem Zerfall der Sowjetunion haben sich Ende 1991 in Zentralasien mit Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgisien fünf unabhängige Staaten gebildet. Die fast überall begrüßte nationale Unabhängigkeit war ein Fortschritt. Politisch und wirtschaftlich jedoch stagnieren fast alle fünf Länder und sind von den anfangs beschworenen Idealen einer Demokratie meilenweit entfernt. 

Die Probleme sind fast überall gleich. Der Lebensstandard liegt für die meisten Menschen oft hart an der Grenze zur Armut. Die rund 63 Millionen Menschen (weniger als ganz Deutschland!) zerfallen in 100 ethnische Zugehörigkeiten mit der Folge, dass ständige Spannungen und Unruhen bis zu Bürgerkriegen (extrem in Tadschikistan und zeitweise in Usbekistan) an der Tagesordnung sind. Religiöse Spannungen gehen einher mit einem wachsenden Erstarken radikal muslimischer Kräfte, und schließlich werden allen fünf Staaten autoritär, ja oft diktatorisch regiert. Die bestehenden Parlamente dienen den oft aus der früheren KP-Nomenklatura stammenden Präsidenten nur als Akklamationsbühne. 

Solch düstere Ausblicke werden, auch das zeigt der Autor, etwas gemildert, wenn man sieht, dass der Rohstoffreichtum – vor allem Öl und Erdgas, dazu Baumwolle und kostbare Textilien – eine gute Entwicklung begünstigen könnte. Es scheint, dass man das zumindest in Kasachstan, Usbekistan und Kirgisien eingesehen hat. Gerade Usbekistan, das mit Abstand bevölkerungsreichste Land, hat in jüngster Zeit unter seinem neuen Präsidenten Schawkat Mirsijojew mutige Reformen eingeleitet. 

Und noch immer strahlen auch die alten Kulturzentren weit in die Region aus, wovon auch wachsende Touristenzahlen aus westlichen Ländern zeugen.

Der schmale Band ist eine denkbar gute Einführung in die Region mit ihrer Geschichte und Kultur, mit ihren Problemen insgesamt und mit der Entwicklung in den einzelnen Staaten. Der historische Rückblick zeigt, dass Zentralasien von ständigen Völkerbewegungen – Parther, Perser, Araber, Mongolen, Türken – und von ganz unterschiedlichen Religionen – Zoroastrismus, Buddhismus, Christentum und Islam – bestimmt und später der Rivalität zwischen Russland und Großbritannien ausgesetzt war. Heute frisieren alle Machthaber der Länder die Geschichte zurecht, um eine eigene nationale Identität zu stiften. Das gab es aber auch in Europa. 

Deutschland genieße, so resümiert der Au­tor am Ende, in allen fünf Staaten großes Ansehen, teils aus historischen Gründen wegen der gemeinsamen Gegnerschaft zur Sowjetunion, teils aber auch wegen seiner wirtschaftlichen Attraktivität. Man kann dem Autor nur zustimmen, dass neben den unstreitig brennenden Problemen im Nahbereich diese geografisch so ferne Region uns viel näher ist, als wir im ersten Moment glauben.

Thomas Kunze: „Zentralasien. Porträt einer Region“, Ch. Links Verlag, Berlin 2018, Taschenbuch, 248 Seiten, 18 Euro