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05.10.18 / Die Messe ist gelesen / Ob Internet oder Politische Korrektheit – Buchverlage kämpfen gegen Feinde von außen und von innen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-18 vom 05. Oktober 2018

Die Messe ist gelesen
Ob Internet oder Politische Korrektheit – Buchverlage kämpfen gegen Feinde von außen und von innen
Ingo von Münch

Die Frankfurter Buchmesse wird wieder Rekorde an Ausstellern und Besuchern vermelden. Die Erfolgszahlen täuschen darüber hinweg, dass der Buchbranche die Leser verloren gehen.

„Wer zählt die Völker, nennt die Namen?“ Die bekannte Frage in Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ lässt sich in Bezug auf die vom 10. bis 14. Oktober in Frankfurt am Main stattfindende Buchmesse zumindest teilweise beantworten: 7500 Aussteller aus 150 Ländern und 800 Buchagenten aus 33 Ländern werden fest erwartet, dazu eine nur zu schätzende Zahl von Autoren, Buchhändlern und interessierten Besuchern. Als Beiprogramm sollen publikumsrelevante Themen auch an Orten außerhalb des Messegeländes literarisch angeboten werden – eine nicht schlechte Idee, allerdings unter dem bescheuerten, den Sprachpanscher-Preis des „Vereins Deutsche Sprache“ verdienenden Namen „Bookfest.“

Die Veranstalter der Buchmesse werden jedoch nicht umhinkommen, sich mit dem wichtigsten Problem rund um das Buch zu beschäftigen, nämlich: Wie kann aus weniger lesen mehr lesen werden? Die Situation des Buches (und damit der Verlage, der Buchhändler und nicht zu vergessen: auch der Autoren) hat die „Neue Zürcher Zeitung“ kürzlich unter der Überschrift „Den Büchern kommen die Leser abhanden. Verlage und Buchhändler stehen vor schwierigen Zeiten. Sie müssen mit immer weniger Buchkäufern rechnen“ mit deprimierenden Zahlenangaben dargestellt. Eine tödliche Konkurrenz ist insoweit das Internet, in dem vor allem Jugendliche täglich mehrere Stunden verbringen. Die Frage ist berechtigt: „Wann soll da noch gelesen werden?“

Ein Patentrezept zur Verbesserung der Situation hat niemand. Der Zeigefinger zeigt auf Deutschlehrer an Schulen, auf Eltern (hier auch auf wenig ihren Kindern vorlesende Väter: „Väter, ran an die Bücher“, forderte die „Taz“), aber auch auf Marktkonzentration im Verlagswesen und auf unbefriedigendes Marketing nicht weniger Verlagshäuer. Die aktuelle Unruhe in Führungsetagen von Verlagen, wie die Freistellung von Barbara Laugwitz an der Spitze des Rowohlt-Verlages, wirken sich auf die Leser vermutlich kaum aus, wohl aber auf die Autoren.

Der Autor und sein Verlag – das ist ein Kapitel für sich. Wer ist in diesem Verhältnis David, wer ist Goliath? Wer ist Herr, wer ist Knecht? Tatsache ist: Es gibt un­endlich viele Autoren und Möchtegern-Autoren und im Verhältnis dazu relativ wenige Verlage.

Immerhin hat die Situation für die Amateurautoren sich insofern gebessert, als sie auf dem Wege des „Selbstverlages“ („Books on Demand“) den Bittgang zu einem der traditionellen Verlage umgehen können. Erfolgsautoren brauchen diesen Umweg dagegen nicht zu gehen. Die Krimi-Autorin Charlotte Link, die schon mit 

19 Jahren ihr erstes Buch veröffentlichte und dafür ihr Jurastudium abbrach, hat inzwischen mehr als 20 Millionen Bücher verkauft (genauer: ihre Verlage) – eine Verkaufszahl, von der die meisten Autoren nicht einmal träumen können. 

Noch zum Thema „träumen“: Von Sigmund Freuds im November 1899 unter dem Erscheinungsjahr 1900 veröffentlichten Buch „Die Traumdeutung“ wurden von der ersten Auflage nur wenig mehr als 100 Exemplare verkauft; später wurde das Buch ein Welterfolg, mit Jahresauflagen von mehr als 100000, in alle Kultursprachen übersetzt: „Ein Durchbruch in der Geistesgeschichte des Abendlandes und ein Markstein in der westlichen Kulturgeschichte“ (Michael Ermann).

Ein gegenwärtiger Albtraum ist der Herrschaftsanspruch der Political Correctness über die Sprache und damit über Verlage, Autoren und Leser. Bekannteste Beispiele dafür sind die Kontroversen um die Kinderbücher von Astrid Lindgren („Pippi Langstrumpf“) und Otfried Preußler („Die kleine Hexe“), aus denen die Worte „Neger“ und „Negerlein“ als „rassistisch“ gebrandmarkt wurden. Noch nicht gereinigt wurde bisher Heinrich Heines „Atta Troll. Ein Sommernachtstraum“ (1847); zu dem dort genannten „Mohrenfürsten“ Atta Troll und dessen Gattin Mumma findet sich die nach heutigen Maßstäben sowohl rassistische als auch sexistische Schilderung: „Einige Hiebe mit der Peitsche, / Und die schwarze Mumma heult dann, / Daß die Berge wiederhallen.“ Auch Hubert Fichtes Roman „Der Platz der Gehenkten“ bedarf unter diesem Aspekt wegen rassistischer Wortwahl wohl der Säuberung – und viele andere Werke der Weltliteratur.

Aus den USA, dem Ursprungsland der Political Correctness, kommt neuerdings eine daraus geborene neue Tätigkeit, nämlich die der „sensitivity reader“: Die so bezeichneten Personen (ins Deutsche übersetzt: „empfindliche, feinfühlige Leser“) prüfen im Auftrag von Autoren oder von Verlagen gegen Entgelt Manuskripte darauf, ob darin Äußerungen als rassistisch, sexistisch oder homophob verstanden werden könnten. Befürworter dieses an die Stelle des üblichen Lektorats tretenden Jobs begrüßen die Berücksichtigung der Befindlichkeiten von Minderheiten; Kritiker sehen im „sensitive reading“ eine Verkörperung der Hypersensibilität unserer Gegenwart. 

Zu letzter Sicht passt die Schilderung eines Vorfalls in der Kanzlei eines Rechtsanwaltes in einem Roman der US-Schriftstellerin Paula Fox (Titel in deutscher Übersetzung: „Was am Ende bleibt“): „Einer seiner Mandanten warf der Rezeptionistin Rassismus vor, nur weil sie ihn gebeten hatte, einen Aschenbecher zu benutzen, statt seine Zigarette auf dem Teppich auszutreten.“

Kein Roman, sondern ein reales Trauerspiel ist es, wenn ein großer Publikumsverlag, der sich nach seinem Selbstverständnis vermutlich für „weltoffen“ hält, einen Autor wegen dessen privater politischer Meinung diszipliniert. Zur Erinnerung: Uwe Tellkamp war spätestens nach dem Erscheinen seines viel beachteten Romans „Turm“ ein geschätzter und anerkannter Autor, bis er sich in einer Weise äußerte, die dem politischen Mainstream widersprach, woraufhin der Suhrkamp Verlag sich öffentlich von Tellkamps politischer Meinung in einer – man kann es nicht anders sagen – peinlichen Weise distanzierte. So sollte ein Verlag mit einem seiner Autoren nicht umgehen. Anerkennung verdient dagegen Monika Maron, die sich mit dem ins Abseits gestellten Uwe Tellkamp solidarisiert hat. 

Der Autor ist mit Georg Siebeck Verfasser des Buches „Der Autor und sein Verlag“ (Mohr Siebeck, Tübingen 2013).