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05.10.18 / 300 Jahre Einsamkeit / In Rastatt feiert die Eremitage Jubiläum – Dem Kleinod im Park von Schloss Favorite ist eine ungewöhnliche Ausstellung gewidmet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-18 vom 05. Oktober 2018

300 Jahre Einsamkeit
In Rastatt feiert die Eremitage Jubiläum – Dem Kleinod im Park von Schloss Favorite ist eine ungewöhnliche Ausstellung gewidmet
Veit-Mario Thiede

Die Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden hat uns bei Rastatt das glanzvolle Lustschloss Favorite hinterlassen. Die Innenräume des Barockbauwerks sind so erhalten, wie sie die Bauherrin mit Bodenbelägen aus buntem Stuckmarmor, erlesenen textilen Wandverkleidungen und farbenfrohen Deckengemälden ausstatten ließ.

Das Gegenteil dieser Exklusivität bietet die versteckt im Schlosspark gelegene Eremitage mit ihrer spartanischen Einrichtung dar. Hier sitzt seit langer Zeit die Heilige Familie zu Tisch. Ge­genüber dem Jesusknaben ist ein Schemel frei. Auf ihm soll Sibylla Augusta Platz genommen haben, um bei Maria und Joseph eine karge Mahlzeit zu verzehren. Das achteckige Häuschen ließ sie vor 300 Jahren als Rückzugsort er­bauen. Hier übte sie sich im Kreis von Heiligenfiguren aus Wachs in frommen Betrachtungen.

Eine Sonderausstellung im Schloss Favorite feiert das Jubiläum der Eremitage. Zuerst erfahren wir, was es mit den im höfischen Sprachgebrauch „Eremitagen“ genannten Einsiedeleien auf sich hat. Ihr Vorbild sind entlegene Höhlen oder aus einfachsten Materialien wie Baumrinde und Stroh gebaute Behausungen, in die sich fromme Menschen zu­rückzogen, um in Askese und Einsamkeit die Zwiesprache mit Gott zu suchen. Die Eremitagen des Adels hingegen sind schlicht aussehende Kleinarchitekturen im bewaldeten Bereich des Schloss­parks. Wer sich hierhin zurück­zog, hatte nicht unbedingt fromme Absichten. Die Besonderheit der einzigartig gut erhaltenen Eremitage Sibylla Augustas aber ist ihre religiöse Nutzung. Sie beherbergt eine Kapelle, in der die streng gläubige Katholikin Messfeiern abhalten ließ.

Jung und attraktiv präsentiert sich uns Sibylla Augusta auf einem kurz nach ihrer Hochzeit gemalten Porträt. Die im böhmischen Schlackenwerth [Ostrov] aufgewachsene reiche Erbin aus dem Hause Sachsen-Lauenburg heiratete 1690 mit 15 Jahren Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden. Ihr 20 Jahre älterer Gatte, „Türkenlouis“ genannt, tat sich in Diensten Kaiser Leo-

polds I. als siegreicher Feldherr in den Großen Türkenkriegen hervor. Von den neun Kindern des Paares erreichten drei das Er­wachsenenalter. Nach dem Tod des Markgrafen 1707 führte Sibylla Augusta 20 Jahre lang für den minderjährigen Erbprinzen Georg Ludwig die Regierungsgeschäfte.

Mehrere Exponate verraten den außerordentlichen katholischen Glaubenseifer der von Mönchen des Ordens der Piaristen erzogenen Markgräfin. Überdies machen sie neugierig auf die Besichtigung der von Sibylla Augusta in Rastatt hinterlassenen Heiligen Stätten. Deren Vorbilder sind zum Beispiel die Geburtsgrotte Christi und die Kapelle von Einsiedeln. Das Jesulein aus Wachs stammt aus der Kirche des Residenzschlosses von Rastatt, die Sibylla Augusta „extra schön“ ausstatten ließ. Votivanhänger mit den Bildnissen der Markgräfin und des Erbprinzen (1711/12) sind eine Leihgabe der Benediktinerabtei von Einsiedeln in der Schweiz. Sibylla Augusta hatte sie als Weihegabe an die Abtei geschickt, um für ein „Wunder“ zu danken. Der in seinen ersten acht Lebensjahren stumme Erbprinz begann nämlich zu sprechen, nachdem die Mutter mit ihm eine Wallfahrt nach Einsiedeln absolviert hatte. 

Ein Kupferstich zeigt die von der Regentin 1720 befohlene Prozession, zu der nicht nur die katholischen Bürger zu erscheinen hatten, sondern unter Androhung markgräflicher Ungnade auch die Andersgläubigen. Ihr Anlass war die Überführung von Reliquien in die über der „Heiligen Stiege“ eingerichtete „Kapelle der Leiden Christi“. Die Vorbilder dieser im „Sibyllenbau“ des Residenzschlosses errichteten An­dachtsstätten hatte die Markgräfin 1719 auf ihrer Pilgerreise nach Rom besucht.

Die ausgestellte Geißel und das Kreuz aus dornenbewehrten Kettengliedern stachelten in der Vergangenheit Schriftsteller wie Mark Twain und Carl Spindler sowie manch anderen Besucher der Eremitage zu wüsten Spekulationen und wilden Schauergeschichten an. Die sagten Sibylla Augusta eine unmoralische Le­bensführung nach, für die sie unter Einsatz der Bußinstrumente schmerzhafte Abbitte geleistet habe, und erklärten die Eremitage zum „Tummelplatz ihrer blutgierigen Andacht“. Aber kann man ihr die Bußinstrumente überhaupt zuschreiben? Sibylla Augusta starb 1733. Doch erst 100 Jahre später werden Geißel und Dornenkreuz erstmals in einem In­ventar der Eremitage genannt.

Die mit einem Aufsatz in Form der Silhouette der Schwarzen Madonna von Einsiedeln bekrönte Eremitage ist aus konservatorischen Gründen nur an einigen Wochenenden geöffnet. Dank gelber Scheiben herrschen in ihr mystifizierende Lichtverhältnisse. Sieben Räume, in denen man etwa auf einen an die Endlichkeit des Lebens gemahnenden Totenkopf aus Wachs trifft, umschließen die zentrale Kapelle. 

Der vorn offene Hauptaltar versinnbildlicht das mit einer hölzernen Christusfigur (15. Jh.) ausgestattete Heilige Grab. Über dem Altar trauert die halblebensgroße Figur der Muttergottes am leeren Kreuz. Sie besteht wie auch die anderen im Auftrag der Markgräfin hergestellten, aber knapp unterlebensgroßen Figuren aus einem bekleideten Holzgestell, dem sichtbare Körperteile aus Wachs angesetzt sind. In drei Nischen stellen Wachsfiguren Szenen aus dem Leben Maria Magdalenas nach. Sie gipfeln in ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen.

Sonderschau bis 21. Oktober im Schloss Favorite, Rastatt-Förch, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 8 Euro. Die Eremitage kann nur an einigen Wochenenden besichtigt werden: sonnabends von 10 bis 13 Uhr und sonntags von 14 bis 18 Uhr. Termine unter Telefon (07222) 41207, Internet: www.schloss-favorite-rastatt.de. Informationen über die Andachtsstätten der Markgräfin in Rastatt: www.historische-route-rastatt.de