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05.10.18 / Eine Philippika wider die »Faschismuskeule« / Was Martin Walsers Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vor 20 Jahren bewirkte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-18 vom 05. Oktober 2018

Eine Philippika wider die »Faschismuskeule«
Was Martin Walsers Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vor 20 Jahren bewirkte
Wolfgang Kaufmann

Vor 20 Jahren hielt der Schriftsteller Martin Walser eine Rede in der Frankfurter Paulskirche, die ihm im Nachhinein als „geistige Brandstiftung“ ausgelegt wurde. Damals entwickelten Presse und „Zivilgesellschaft“ erstmals in größerem Umfang jene absurden Empörungsreflexe, die heute zum Tagesgeschäft gehören, wenn Prominente als nicht „politisch korrekt“ geltende Meinungen äußern.

Der mit heute 25000 Euro dotierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1951 alljährlich anlässlich der Frankfurter Buchmesse vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels an eine Persönlichkeit verliehen, „die in hervorragendem Maße … durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat“. Preisträger waren unter anderem Albert Schweitzer, Hermann Hesse und Václav Havel. 1998 vergab die Jury die Auszeichnung an Martin Walser, um damit explizit den deutschen Schriftsteller zu ehren, „dessen literarisches Werk die deutschen Wirklichkeiten der zweiten Jahrhunderthälfte beschreibend, kommentierend und eingreifend begleitet hat“. Das stieß zunächst auf allgemeine Zustimmung. So kommentierte der Deutschlandfunk: „Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Martin Walser ist nicht nur rechtens, es war für die Entscheidung höchste Zeit.“

Die Verleihungszeremonie fand am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche vor 1200 geladenen Gästen statt. Diese bekamen zunächst die Laudatio des „FAZ“-Mitherausgebers Frank Schirrmacher zu hören, der unter anderem sagte, Walser habe „die Nation rehabilitieren, die Inflationierung des Faschismus-Vorwurfs außer Verkehr setzen“ und „das Geschichtsgefühl wecken“ wollen. Und genau das versuchte der Preisträger dann auch in seiner eigenen Rede.

Darin verwendete sich Walser zunächst ganz ausdrücklich für eine Begnadigung des früheren Stasi-Spitzenspions Rainer Rupp alias „Topas“, der 1994 wegen schweren Landesverrates zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war. Danach kam der Laureat auf den Umgang mit den Themen Auschwitz und Holocaust zu sprechen: „Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz …; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt.“ Und „wenn ich merke, dass sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf die Motive hin abzuhören, und bin fast froh, wenn ich glaube entdecken zu können, dass öfter nicht das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“. Dem folgte die ausdrückliche Mahnung: „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moral­keule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets.“ Anschließend wandte sich Walser dann noch gegen die „Meinungssoldaten“, die ihn „mit vorgehaltener Moralpistole … in den Meinungsdienst nötigen“ wollen.

Letzteres war eine deutliche Spitze in Richtung des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki. Der nämlich hatte sich kurz zuvor im ZDF darüber ereifert, dass der Autor in seinem gerade erschienenen Buch „Ein springender Brunnen“, das von der NS-Zeit handelt, Auschwitz unerwähnt ließ.

Die Ausführungen Walsers wurden vom Publikum mit stehenden Ovationen quittiert – nur drei Personen behielten Platz und spendeten keinen Applaus: der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, dessen Ehefrau Ida sowie der Theologe und ehemalige DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer, selbst Preisträger des Jahres 1993. Über die Gründe für den Affront sprach Bubis dann am 9. November 1998 anlässlich des 60. Jahrestages der sogenannten Reichskristallnacht: Walser habe versucht, „Geschichte zu verdrängen, beziehungsweise die Geschichte auszulöschen“. Später reichte der Zentralratsvorsitzende zudem noch den Vorwurf nach, die Rede sei „geistige Brandstiftung“ gewesen.

Und plötzlich reagierten große Teile von Presse und Öffentlichkeit hierauf mit derselben reflexhaften Empörung wie heute auf Äußerungen von Kritikern der „politisch korrekten“ bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung: Infolge der Bubis-Angriffe wurde aus dem bislang hofierten Schriftsteller Walser unversehens ein „Revisionist“ und „Antisemit“. Der wiederum konterte einige Zeit darauf mit heftiger Kritik an der „unglaublich unzureichenden Bericht­erstattung in den Medien“. Dabei lautete sein Hauptvorwurf, dass man ihn mit aller Gewalt habe missverstehen wollen. Seine Aussagen in puncto Moralkeule seien doch ganz augenscheinlich weder gegen die Juden im Allgemeinen noch gegen Bubis im Speziellen gerichtet gewesen. 

Dem fügte Walser im Februar 2017 in einem formellen Nachtrag zu seiner Rede selbstkritisch hinzu: „Wenn ich in der Paulskirche von der Instrumentalisierung des Holocaust sprach, hätte ich die Namen, die ich meinte, nennen müssen. Günter Grass und Walter Jens unter anderen, die gesagt und geschrieben haben, die Teilung Deutschlands sei eine Strafe für unsere Verbrechen in Auschwitz.“ Ähnlich äußerte sich der Friedenspreisträger auch bei anderer Gelegenheit – so zum Beispiel 2015 in einem Interview mit dem „Spiegel“, wobei er hinzufügte, er würde die Rede heute „so nicht mehr halten“. Außerdem brachte Walser in „Christ & Welt“ noch den früheren Bundesaußenminister Joschka Fischer ins Spiel, der die völkerrechtswidrigen NATO-Luftangriffe gegen Jugoslawien seinerzeit mit dem Argument rechtfertigte, nur so könne man ein zweites Auschwitz verhindern: „Das nenne ich eine Instrumentalisierung.“ Und im Mai 2018 schrieb Walser schließlich in der „Welt am Sonntag“: „Inzwischen kann ich nur noch bedauern, was ich da angerichtet habe, durch das Nicht-Nennen der Instrumentalisierer.“

Damit ist hinlänglich klar, welche Intentionen der Schriftsteller mit seiner Rede tatsächlich verfolgt hatte. Das hinderte den Publizisten Alan Posener aber nicht daran, erneut die vielzitierte „Moralkeule“ zu schwingen und eine Verbindung zum aktuellen Reizthema „Flüchtlinge“ zu konstruieren: „Man kann sich darum streiten, worum es Walser bei dieser stark assoziativen Rede wirklich ging: Um das Recht, vom Holocaust verschont zu werden, oder um das Recht, sich nicht zu brennenden Asylantenheimen zu äußern. Vermutlich um beides …“ Die Unterstellungen gehen also weiter.