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12.10.18 / Gegenwind / Wie die Übermacht der Parteien zu brechen wäre

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-18 vom 12. Oktober 2018

Gegenwind
Wie die Übermacht der Parteien zu brechen wäre
Florian Stumfall

Manchmal geschieht es, dass eine anonyme Wortschöpfung einen Vorgang, eine Befindlichkeit oder einen Zustand aufs Genaueste beschreibt. Beim im doppelten Sinn unschönen Wort „Parteienverdrossenheit“ trifft das zu. Dabei ist die Rede von einem allgemeinen, nicht näher zu beschreibenden Unwohlsein gegenüber jenen Einrichtungen, denen das Grundgesetz eine Mitwirkung bei der demokratischen Willensbildung zuschreibt. 

Diese Parteienverdrossenheit unterscheidet sich von dem aus einer ähnlichen psychologischen Gemengelage entstandenen Wort Politikverdrossenheit, das unspezifischer und weniger griffig ist, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil man „Politik“ nicht abschaffen kann, genauso wenig wie das Wetter. Man kann zufrieden sein damit oder unzufrieden, etwas anderes ist nicht möglich, und je nachdem gestaltet sich die Teilnahme des Bürgers an den allgemeinen Belangen.

Bei den Parteien ist das anders. Ihre Beschaffenheit, also die Art ihrer Einbindung in das staatliche Gefüge und die Zuteilung der Aufgaben, durch die diese Einbindung gerechtfertigt wird, ist zwar Bestandteil des Grundgesetzes, aber nicht in Stein gemeißelt. Das zeigt sich immer wieder durch Novellen zum Parteiengesetz, welches „das Nähere regelt“.

Nun verhält es sich damit aber derart, dass diese Ordnung, genau wie jedes andere menschengemachte System, im Laufe der Jahrzehnte degeneriert. Schon im lateinischen Sprichwort wird festgestellt, dass sich die Zeiten ändern, und wir uns mit ihnen, und, um das hinzuzufügen, demgemäß auch die Regeln und Gepflogenheiten, die das Zusammenleben gestalten.

Bei näherer Betrachtung allerdings wird offenbar, dass die juristischen Paragrafen nicht alles abdecken können, was zum Gelingen notwendig ist. Dem der Politik benachbarten Ordnungssystem der Wirtschaft, in unserm Falle die Soziale Marktwirtschaft, deren Überreste immer noch Erfolge hervorbringen, reicht ein entsprechender rechtlicher Rahmen, die Freiheit von Eigentum, des Schließens von Verträgen, des Handels und dergleichen nicht aus, um das Gelingen zu gewährleisten. Dazu ist auch der „redliche Kaufmann“ notwendig, zeitgemäß ausgedrückt, die Bereitschaft der an der Wirtschaft beteiligten Menschen, die Regeln zu achten und Verantwortung für das große Ganze zu tragen. Ungezügelter Eigennutz beschädigt letztlich die eigene Position.

Es fällt nicht schwer, dazu die Analogie in der Politik festzustellen. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich hier eine Kaste gebildet, ein unentwirrbares Ineinander hauptberuflicher Akteure, die verbunden mit dem Großteil der Medien in einer parasitären Symbiose leben. Die Angehörigen der Kaste genießen zahlreiche Privilegien. Da sich im Allgemeinen jene für ein Mandat interessieren, für welche die Bezüge eines Abgeordneten eine finanzielle Verbesserung darstellen, ist das erste und wichtigste Trachten des Parlamentariers seine Wiederwahl. Die Chancen stehen im Allgemeinen auch recht gut, denn die Kaste sorgt für die Ihrigen. Scheitert beispielsweise der Generalsekretär einer Partei mit Pauken und Trompeten, so kann er immer noch Bundesminister für Arbeit werden.

Für einen Verbleib in der Kaste unterwirft sich der Politiker allen Kräften, die Einfluss auf seinen Werdegang haben: den Parteioberen, Verbandsfunktionären, Sponsoren und auch Journalisten. Er unterwirft sich vor allem und in erster Linie der Parteidisziplin. Dadurch verlagert sich das Stückchen Macht, das die Wähler eines Wahlkreises ihrem Abgeordneten überantwortet haben, auf die Partei beziehungsweise deren Fraktion. Hier sammelt sich eine Fülle von Macht an, die ein Eigenleben führt, weil sie im Grundgesetz nicht vorgesehen und daher verfassungsrechtlich auch nicht zu kontrollieren ist. Ungeachtet des Artikels 38 des Grundgesetzes, der das verbietet, herrscht fast ausschließlich Fraktionszwang bei den Abstimmungen. Wie gesagt – Rechtssysteme degenerieren.

Diese Konstellation zieht noch eine weitere Folge nach sich: Je mehr sich der parlamentarische Wettbewerb von den einzelnen Abgeordneten auf die Fraktionen verlagert, umso mehr tritt die Konkurrenz unter ihnen dergestalt in den Vordergrund, dass sie zum Selbstzweck wird. Die sachlichen Anliegen verkommen zum Instrument, indem sie abgeklopft und eingesetzt werden nach Tauglichkeit vor den Wählern. Das heißt, dass die Wähler durch ihre Stimmabgabe das Wohl der Partei zu fördern haben, nicht umgekehrt, die Partei das Wohl der Wähler. Der Streit der Ideen ist zum Gezänk der Parteien geworden.

Zugegeben, diese Darstellung mag da und dort als überzogen und ein wenig ungerecht empfunden werden, sicher zu Recht. Doch es empfiehlt sich dennoch, ein wenig an dem Oligopol der Parteien bei der Aufstellung von Abgeordneten zu rütteln. Denkbar nämlich wäre folgende zweite Möglichkeit: Ebenso wie den Parteien sollte es anderen Gruppen,  auch solchen ohne Rechtsform, oder auch einzelnen Bürgern erlaubt sein, im Rathaus Vorschläge für Kandidaten zur Wahl zu unterbreiten. Dazu werden Listen ausgelegt, auf denen die Namen eingetragen werden. Die drei Bewerber mit den meisten Nennungen gelten als Kandidaten, seien sie nun von einer Partei, dem Bauernverband oder einer Gewerkschaft oder auch von ihrem Nachbarn benannt worden.

Damit wäre die Übermacht der Parteien gebrochen. Eine solche Neuerung ließe sich ohne Weiteres im Rahmen des geltenden Rechts einführen. Im Grundgesetz nämlich ist in Hinblick auf die Parteien von einer „Mitwirkung“ bei der politischen Willensbildung die Rede, keineswegs – wie es heute gehandhabt wird – von einer Geschäftsführung mit Ausschließlichkeitscharakter.

Folgerichtig wäre mit den Fraktionen und ihren Privilegien zu verfahren. Wäre beispielsweise in der Öffentlichkeit bekannt, welche öffentlichen Gelder in diesem Zusammenhang zur Verteilung gelangen, wäre es ein leichtes, Zustimmung für die finanzielle Austrocknung eines Regelwerks zu gewinnen, das nichts anderes ist als eine geheime Parteienfinanzierung. Schwer ist es auch, eine Erklärung dafür zu finden, warum eine Parlamentarierdelegation etwa nach Mexiko oder Japan fahren muss, um festzustellen, wie man es dort mit dem Abwasser oder den Klimaanlagen und Schulgebäuden hält.

Für die Parlamentarier ist derlei Alltag, jedenfalls für solche, die sich nicht durch Insubordination die Gunst ihres Fähnleinführers verscherzt haben und deshalb von der Liste derer gestrichen wurden, die einer Reise würdig sind. Für diejenigen Bürger aber, die durch Neugier und Sorge dahinterkommen, wo ihre Steuern bleiben, ist es Grund zum Ärgernis. Das schließliche Ergebnis: ein weiterer Grund für die Parteienverdrossenheit.

Die Parteien bilden keine Verbindung mehr vom Bürger zur Politik, sondern ein Hemmnis. Und nach den letzten Wahlen müssen sie vor den nächsten zittern und tragen selbst Schuld daran.