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12.10.18 / Die Blauen Zwerge halfen in der Krise / »Notopfer Berlin«: eine gern gezahlte Sondersteuer, die ebenfalls erst verspätet ein Ende fand

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-18 vom 12. Oktober 2018

Die Blauen Zwerge halfen in der Krise
»Notopfer Berlin«: eine gern gezahlte Sondersteuer, die ebenfalls erst verspätet ein Ende fand
Klaus J. Groth

Die „Blauen Zwerge“ sollten die guten Geister der Berliner Bevölkerung werden. Vor 70 Jahren, am 8. November 1948, beschloss der Wirtschaftsrat der Bizone das „Notopfer Berlin“ für den Wiederaufbau der geteilten Stadt. 

Rosinenbomber donnerten über West-Berlin hinweg und landeten im Drei-Minuten-Takt auf dem Flugplatz Tempelhof, als die Mitglieder des Wirtschaftsrats in der Frankfurter Börse zusammenkamen. Es ging um eine Entscheidung, die das Überleben der West-Berliner Bevölkerung sichern sollte. Die Sowjets hatten alle Land- und Wasserwege in die zerbombte Stadt gesperrt und die Bewohner in Geiselhaft genommen. Vorgeb­licher Anlass für die Wut Josef Stalins war die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark auch in West-Berlin. Seit dem 24. Juni 1948 versorgten die Alliierten nun, vor allem die Vereinigten Staaten, Berlin aus der Luft mit dem, was eine Stadt mit rund zwei Millionen Einwohnern brauchte. 

Die westlichen Siegermächte verlangten, dass auch die Deutschen sich an den enormen Kosten der Luftbrücke beteiligten. Wie sollte das geschehen? Viele Deutsche hatten Hab und Gut im Krieg verloren, die Arbeitslosigkeit war hoch. Aber alle konnten trotzdem zur Versorgung der eingeschlossenen Stadt beitragen: mit einer sehr geringen Sondersteuer. Das Notopfer Berlin, das der Wirtschaftsrat mit seinem Direktor Ludwig Ehrhard im Westflügel des Börsensaals beschloss, war eine kleine blaue Steuermarke im Wert von zwei Pfennig, nicht einmal halb so groß wie eine reguläre Briefmarke. Sie musste künftig neben dem üblichen Porto von 20 Pfennig für einen Standardbrief und zehn Pfennig für eine Postkarte aufgeklebt werden. Briefsendungen nach und von West-Berlin waren ausgenommen, ebenso wie solche in die Sowjetzone. Die „Blauen Zwerge“ sollten den „Roten Riesen“ in Moskau besiegen wie David in der Bibel den Goliath.

Das „Gesetz zur Erhebung einer Abgabe Notopfer Berlin“ wurde in aller Eile umgesetzt. Die Druckereien August Wegener in Alfeld an der Leine und Georg Westermann in Braunschweig legten Sonderschichten ein, um die Notopfermarken schnell an die Postschalter zu bringen. Auf Genauigkeit kam es dabei nicht an. Viele Drucke waren fehlerhaft, die Farbe variierte von hell- bis dunkelblau. Die Bögen mit jeweils 200 Marken waren anfangs nicht gezähnt und mussten von den Schalterbeamten mit der Schere auseinandergeschnitten werden. Für den Verkauf erhielt die Post 2,25 Prozent der Sondersteuer. Die Bizone, der US-amerikanische und der britische Sektor, machte am 1. Dezember 1948 den Anfang. Erst später schloss sich der französische Sektor an: Württemberg-Hohenzollern am 10. Januar 1949, Rheinland-Pfalz am 1. Februar und Baden ab dem 1. Juli desselben Jahres. Das Notopfer Berlin war und ist wohl die einzige Steuer, welche die Deutschen gern entrichteten, aus Solidarität mit der eingeschlossenen Stadt. Bis zur Abschaffung der Sonderabgabe am 31. März 1956 wurden 16 Milliarden Marken gedruckt. Bei den Blauen Zwergen bewahrheitete sich die Volksweisheit, dass Kleinvieh auch Mist macht. Der zusätzlich erhobene Zuschlag zur Einkommensteuer brachte schon im ersten Jahr 20,6 Millionen D-Mark, 1949 49 Millionen und 1950 50,5 Millionen ein. Insgesamt betrug der Erlös aus dem Notopfer 430 Millionen D-Mark.

Da die Blockade West-Berlins sich als gigantischer Schlag ins Wasser erwiesen hatte, rächte sich die DDR mit postalischen Schikanen, dem sogenannten Postkrieg. Sendungen mit der kleinen Zwei-Pfennig-Marke wurden nicht an die Adressaten befördert oder mit dem Stempel „Marke unzulässig“ zurückgeschickt. Später kapitulierte die Post vor der selbstverschuldeten Mehrarbeit und strich die Nothilfemarken einfach durch.

Ursprünglich war die Erhebung der Sondersteuer nur für einen kurzen Zeitraum geplant, aber nach Ende der Blockade im Mai 1949 stellten die USA ihre Zuschüsse für den West-Berliner Haushalt ein. Der erste Kanzler der jungen Republik, Konrad Adenauer, setzte gegen einigen Widerstand im Parlament die Fortführung des Notopfers durch. Ab dem 1. Januar 1950 galt es für das gesamte Bundesgebiet. Zusätzlich beschloss die Bundesregierung zwei Monate später ein Berlinförderungsgesetz. Um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitskräfte aus dem Westen in die Stadt mit ihrer schwierigen Situation zu locken, wurden verschiedene Steuererleichterungen eingeführt, unter anderem ein Wegfall der Umsatzsteuer. Das „Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin (West)“ erhielt nach diversen Neufassungen den Titel Berlinbeihilfe.

Die unterschiedlichen und fehlerhaften Drucke der Notopfermarken sind ein reiches Betätigungsfeld für Philatelisten. Wer glaubt, eine Blaue Mauritius im Miniformat in seiner Sammlung zu haben, wird wohl enttäuscht. Die meisten Marken bringen es nur auf wenige Cent oder auch mal einen Euro. Sie werden neben gebrauchten Kameras, Nachttöpfen aus der Zeit des Jugendstils und Tellern des ehemals beliebten Musters „Maria Weiss“ von Rosenthal bei Ebay angeboten, zuzüglich Porto für die Zustellung. Interessante Preise erzielen die wenigsten. Die Arbeitsgemeinschaft Notopfermarken im Bund deutscher Philatelisten empfiehlt ein vom Verein herausgegebenes Buch als „unentbehrliches Hilfsmittel“ für Sammler und Händler zur Einordnung der auflagenstärksten Marken in den ersten Nachkriegsjahren. Die wahren Schätzchen müssen folgende Kriterien erfüllen: Das „N“ von „Notopfer“ darf nicht spitz, sondern muss stumpf sein, der Abstrich vom „R“ muss flach sein, und die Buchstaben „BERLIN“ müssen regelmäßig fett sein. Wenn dann noch das dritte „E“ von „STEUERMARKE“ bündig mit der darüber liegenden Zeile abschließt, besteht Hoffnung, vorausgesetzt allerdings, dass die Marke „ungebraucht, postfrisch erhalten“ ist. Eine Rolle spielen auch bei den ersten Ausgaben die amtlichen „Trennungsmaßnahmen“ (vom Postmeister mit Schere) und die nichtamtlichen (vom Versender, auch mit Schere). Der Katalogwert einer echten Rarität liegt zwischen 80 und 150 Euro, ein sagenhafter prozentualer Gewinn zu Zeiten des Niedrigzinses. Der lässt selbst den gewieftesten Börsenspekulanten vor Neid erblassen.