28.03.2024

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12.10.18 / Ein dunkles Kapitel der Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-18 vom 12. Oktober 2018

Ein dunkles Kapitel der Geschichte
Silvia Friedrich

Die Dunkelziffer ist hoch, genaue Zahlen sind unbekannt. Historiker gehen von 50000 bis 200000 Fällen aus, in denen „arisch“ aussehende Kinder von den Nationalsozialisten im besetzten Osteuropa entführt und zur „Germanisierung“ in Kinderheime gesteckt wurden. Dorothee Schmitz-Köster will mit ihrem Buch „Raubkind“ Licht ins Dunkel bringen, indem sie einem solchen Kind eine Stimme gab. Doch wie ist es, wenn man im höheren Alter erfährt, dass das bisherige Leben nicht das richtige eigene Leben war? Wie verkraftet man solche Erfahrungen? Und will man sich überhaupt damit befassen nach all den Jahren? 

Klaus B., um den es im Buch geht, ist über 70, als er durch eine Journalistin aus seinem bisherigen Leben herausgerissen wird. Seine Erinnerungen sind so gut wie weg. Doch ganz langsam kommen vereinzelt Dinge wieder in sein Bewusstsein, als er sich zögernd mit der Journalistin auf die Suche nach seiner Vergangenheit begibt. Dass er auf einem Tisch stand und schwarze Männer um ihn herum, fällt ihm plötzlich wieder ein. Doch was das bedeutete, ist ihm entfallen. Die unmenschliche Aktion, die so vielen Kindern, Eltern und Familien widerfahren ist, war Teil des sogenannten „Lebensborn-Projektes“ von Heinrich Himmler. Ziel des Programms war es, „gutes Blut“ ins Deutsche Reich zu führen, um das Land zu stärken. Man konzentrierte sich zunächst auf Kinder von Fremdarbeitern, die nach Deutschland zum Arbeiten gebracht worden waren, uneheliche Kinder und Waisenkinder. Sie kamen zuerst in Heime zur Umerziehung und des Lebensborns, danach im Idealfall in gesinnungstreue Familien. 

Klaus B. ist 1943 aus dem Haus seiner Familie in Polen herausgeholt worden. Sein Großvater hatte ihn im Dachboden versteckt, was jedoch nichts nützte. Er wurde gefunden und der Großvater verprügelt. Klaus, der eigentlich Cseslaus hieß, kam in ein Übergangsheim. Sein Name wurde eingedeutscht. Der Junge vergaß seinen wahren Namen, seine Sprache und alles, was vorher gewesen war. Nach dem Heimaufenthalt wurde er in einer SS-Familie untergebracht.

Klaus B. hat im Laufe der Erforschung seiner Geschichte des öfteren Herzprobleme. Zu sehr macht ihm dieses Lebenstrauma zu schaffen. Er kommt nicht umhin, sein Leben neu zu definieren.

Einfühlsam schreibt die Autorin über ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man von einem spannenden Krimi sprechen. Doch es geht um das Leben so vieler Menschen, denen man die Familie und ihr echtes Leben raubte. Ein fesselndes Buch, das man so schnell nicht mehr aus der Hand legt.

Dorothee Schmitz-Köster: „Raubkind. Von der SS nach Deutschland verschleppt“, Herder Verlag, Freiburg 2018, gebunden, 272 Seiten, 22 Euro