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12.10.18 / Der satirische Wochenrückblick mit Hans Heckel / Wir oder die Spaltung / Wie man die Welt ganz einfach entschlüsselt, warum Beweise überflüssig sind, und wieso sie jetzt Nägel mit Köpfen machen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-18 vom 12. Oktober 2018

Der satirische Wochenrückblick mit Hans Heckel
Wir oder die Spaltung / Wie man die Welt ganz einfach entschlüsselt, warum Beweise überflüssig sind, und wieso sie jetzt Nägel mit Köpfen machen

Ständig erzählt man uns, dass die Welt immer komplizierter werde. Daher sei es so wahnsinnig schwierig geworden, sich einen Reim darauf zu machen, was täglich geschieht, um die Ereignisse der Zeit richtig einzuordnen. Aber ist das wirklich so schwer? Ach was! Alles Quatsch: In Wahrheit liegen die Dinge so einfach wie schon lange nicht mehr.

Nehmen wir nur mal an, da wird irgendwer irgendwo auf der Welt in irgendein Amt gewählt und Sie wollen wissen, ob es sich beim Gewinner eher um einen „Rechten“ oder aber einen „Linken“ handelt. Früher mussten wir für diese Erkenntnis tief in die Weltanschauung des Siegers eintauchen. Das war ziemlich anstrengend und heraus kamen nicht selten nur lauter Wenns und Abers statt eines klaren Resultats. 

Heute dagegen müssen Sie nur auf ein paar ganz einfache Formulierungen achten, um die Information zu erhaschen, welchem Lager der Gewinner angehört: Klagen die Medien, dass dessen Wahl „die Gesellschaft noch tiefer spaltet“, können Sie sicher sein, dass ein „Rechter“ den Sieg davongetragen hat. Lesen wir dagegen, dass die Wahlentscheidung ein „Signal für mehr gesellschaftliches Miteinander“, für „Dialog und Toleranz“ gewesen sei, dann hat mit absoluter Sicherheit ein „Linker“ gewonnen. Das ist ebenso unkompliziert wie Walter Ul­brichts berühmtes Bonmot: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ – und wer diesen Anspruch (der Linken) auf „alles“ in Frage stellt, der betreibt halt Spaltung. 

So wie dieser fürchterliche Brett Kavanaugh in den USA. Seit den 1970er Jahren hatten die „Linken“ die Mehrheit im Richterkollegium des „Supreme Court“, des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten, sagen US-Medien. Mit der Wahl von Kavanaugh hätten nun erstmals seit Jahrzehnten wieder die „Rechten“ eine Fünf-zu-Vier-Mehrheit. 

Entsprechend hoch ging es her in den vergangenen Wochen bis zur Entscheidung. In Erinnerung bleibt die arme Mrs. Ford, die vor mehr als 36 Jahren vom damals 17-jährigen Kavanaugh auf einer Party sexuell bedrängt worden sein will, worunter sie seitdem schwer und dauerhaft gelitten habe, was ihr aber erst kürzlich wieder eingefallen ist, als bekannt wurde, dass Kavanaugh für das höchste Richteramt kandidiert.

Doch alle Vorwürfe fruchteten nicht. In typisch „rechter“ Kaltschnäuzigkeit forderten Kavanaugh und seine Komplizen „Beweise“ für die Behauptungen. Es gab keine. Aber was soll das auch: Seit wann sieht die in Jahrhunderten erprobte Jagdordnung der Hexenverfolgung „Beweise“ vor? Seit dem 15. Jahrhundert reichte die bloße Anklage, um die Hinrichtung zu rechtfertigen. Die sogenannten „Beweise“ hat die Inquisition mithilfe phantasiebegabter Zeugen und des aufgewühlten Publikums während des Prozesses aus der hohlen Hand gezaubert.

Weiter südlich in Amerika kündigt sich ein weiteres Desaster an. In Brasilien hat es der „rechte“ Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro fast geschafft, schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit zu gewinnen. In der „Zeit“ liefert der Brasilien-Referent der Hilfsorganisation „Adveniat“, Norbert Bolte, die einzig denkbare Analyse: „Das Ergebnis spiegelt die tiefe Spaltung der brasilianischen Gesellschaft.“ Den zweitstärksten Kandidaten, den Sozialisten Fernando Haddad („gesellschaftliches Miteinander“), ließ Bolsonaro mit 46 zu knapp         30 Prozent weit hinter sich. Am 28. Oktober treten die beiden in der Stichwahl gegeneinander an. 

Die „Welt“ kann sich das Resultat überhaupt nicht erklären: „Wer hat nicht alles vor der Wahl von Jair Bolsonaro gewarnt: Die ,New York Times‘, CNN, die inzwischen in Brasilien recht einflussreichen Auslandssender Deutsche Welle und BBC.“ Und trotzdem haben die Brasilianer den Falschen befürwortet. Das Vertrauen in die großen internationalen Qualitätsmedien scheint sich am Äquator nicht gut zu entwickeln. Die Leute wählen einfach, was sie selbst für richtig halten. Man fragt sich, wo das noch enden soll. Vielleicht muss man sich das mit der Demokratie noch mal überlegen, wenn das mit der Dressur nicht mehr klappt.

Zum Glück ist da auch schon einiges am Laufen. Schließlich haben wir kommenden Mai EU-Parlamentswahlen. Wenn die europäischen Wähler ebenso wenig auf die „New York Times“, CNN, BBC, Deutsche Welle und wen auch immer hören wie die Brasilianer, steht uns eine gehörige Spaltung ins Haus.

Der Historiker Heinrich August Winkler macht sich Sorgen, dass die „Populisten“ im EU-Parlament demnächst das Sagen haben könnten und regt daher an, das Parlament zugunsten des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs weitgehend zu entmachten. Der Rat müsse die „gemeinsamen Interessen des Staatenverbundes“ gegen ein aufgrund von Volksversagen falsch zusammengesetztes Parlament vertreten. Erfreulicherweise habe der Europäische Rat das europäische Recht des Lissabon-Vertrages auf seiner Seite. Mit anderen Worten: In Form der EU haben sie sich rechtzeitig ein Machtkonstrukt geschaffen, mit dem sie notfalls auch gegen den Willen der Völker und Wähler regieren können. 

Es ist dann fast wieder so schön wie vor 300 Jahren, als sich die Fürstenfamilien Europas ein Ei drauf pellen durften, was ihre blöden Völker von ihrer Politik hielten. Die hatten eh nichts zu sagen, weil die feudale Ordnung des Kontinents erfreulicherweise keine Mitsprache von unten vorgesehen hat.

Aber sind die Herrschenden wirklich so sicher vor dem Pöbel wie ihre Vorgänger im Barock? EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, ein französischer Sozialist, ist sich da nicht so sicher und möchte lieber vorsorgen.

Moscovici sieht überall in Europa oppositionelle Kräfte aufsteigen, die ihm vorkämen wie „viele kleine Mussolinis“. Bevor die an den Schranken des Palastes rütteln, will der frühere Kommunist Nägel mit Köpfen gemacht haben. Das heißt für ihn vor allem: Nehmen wir dem Pack das Geld weg!

Ein gemeinsames EU-Budget müsse so schnell wie möglich her. Moscovici will erreichen, dass die EU „mehr liefern“ kann, also sozusagen einen eigenen Sozialetat bekommt, mit dem sie die Leute bestechen und auf ihre Seite ziehen kann (mit Geld, das man den europäischen Bürgern zuvor weggenommen hat), bevor bei nationalen Wahlen immer mehr Spalter der Gesellschaft triumphieren.

Für die Euro-Zone strebt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Vernehmen nach sogar noch für dieses Jahr eine „tiefgreifende Transformation“ an, bei der ein gemeinsamer Finanzminister mit eigenem Etat herauskommen soll. Macron weiß, wie die Zeit drängt. Seine eigene Beliebtheit ist im Keller, die Franzosen haben ihn satt und könnten das nächste Mal für die Falschen stimmen. Bis dahin muss alles in trockene Tücher gewickelt werden.

Das ist schon spannend, was? Ein regelrechter Wettlauf entwickelt sich vor unseren Augen. Die Völker beginnen zu ahnen, dass man sie in Ketten zu legen gedenkt, die mit wunderhübschen Bändchen behängt sind, auf denen herrlichen Wörter stehen wie „Solidarität“, „Gerechtigkeit“, „Wohlstand“, „Toleranz“, „Weltoffenheit und Vielfalt“ und so weiter. Aber die Sprüche auf den Bändchen interessieren immer weniger Leute, weil sie das bedrohliche Funkeln der eisernen Kettenglieder darunter entdeckt haben. Daher fangen sie an, an den Ketten zu rütteln, die bislang nur unzureichend verankert sind.

Dagegen beginnen die Herrschenden eilig damit, Pflöcke in den Boden zu rammen, damit die Bürger sich nicht mehr bewegen können, wenn sie erkennen sollten, was mit ihnen geschieht.

Der türkische Machthaber Erdogan hat einmal gesagt, die Demokratie sei nur der Zug, auf dem er zur (absoluten) Macht fahre. Wenn unsere Politiker predigen, dass auch wir etwas von unseren orientalischen Nachbarn lernen könnten, meinten sie offenbar sich selbst. Und haben wenigstens dieses Mal nicht gelogen.