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19.10.18 / »Nicht alles anders, aber vieles besser«? / Vor 20 Jahren wurde erstmals als Folge einer Bundestagswahl eine Bundesregierung vollständig ersetzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-18 vom 19. Oktober 2018

»Nicht alles anders, aber vieles besser«?
Vor 20 Jahren wurde erstmals als Folge einer Bundestagswahl eine Bundesregierung vollständig ersetzt
Erik Lommatzsch

„Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen“, lautete der Wahlkampfslogan der SPD, mit der sie 1998 die Wahl zum 14. Bundestag gewann. Alles wurde auch nicht anders, aber doch vieles. Am 27. Oktober 1998 wählte der Bundestag den SPD-Politiker Gerhard Schröder zum siebenten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. 

Gerhard Schröder sollte bis November 2005 – über knapp zwei Legislaturperioden – die erste und bislang einzige rot-grüne Bundesregierung führen. Ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik war auch, dass mit der Bundestagswahl vom September 1998 eine Regierung komplett abgewählt worden war. CDU/CSU und FDP, die seit 1982 eine insgesamt vier Mal bestätigte Koalition gebildet hatten, wurden auf die Oppositionsbänke verwiesen. Die FDP war bis dahin seit 1949 – mit Ausnahme der Jahre der absoluten CDU-Mehrheit von 1957 bis 1961 unter Konrad Adenauer und der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger von 1966 bis 1969 – an allen Bundesregierungen beteiligt gewesen. Den seit 1983 im Bundestag befindlichen Grünen wurde nun, unter Schröder, erstmals Regierungsverantwortung übertragen.

Symbolträchtig repräsentierten der scheidende sowie der neue Kanzler auch äußerlich den Wechsel. Helmut Kohl, Jahrgang 1930, war lange Zeit mächtiges Schwergewicht der CDU, nicht nur in politischer Hinsicht. Einerseits war er umgeben vom Nimbus des „Kanzlers der Deutschen Einheit“ von 1990, andererseits wurde er für wirtschafts- und sozialpolitische Probleme verantwortlich gemacht, die auch eng mit den Folgen des Beitritts der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes verknüpft waren. SPD und Grüne wussten bereits im Vorfeld des 1998er Wahlkampfes, Kapital aus dem „Reformstau“ zu schlagen, an dem sie allerdings über ihre „Verhinderungspolitik“ via Bundesrat erheblichen Anteil hatten. Zudem machte sich eine „Kohl-Müdigkeit“ bemerkbar. Zwei Millionen Wähler sollen von der CDU zur SPD gewechselt sein. Dem altgedienten Unionspolitiker Kohl stand der neue Kanzler gegenüber – der dynamisch wirkende Schröder, Jahrgang 1944, dessen Vater im Krieg gefallen war und der, beharrlich und ehrgeizig, aus materiell sehr bescheidenen Verhältnissen aufgestiegen war. Schließlich hatte er nach zweimaligem Gewinn der absoluten Mehrheit für die SPD als niedersächsischer Ministerpräsident – zuletzt im Frühjahr 1998 – Anspruch auf das Kanzleramt angemeldet.

Selbst privat unterschieden sich Kohl und Schröder beträchtlich. Verkörperte der CDU-Politiker – zumindest nach außen – das klassische Familienbild mit langjähriger Gattin und zwei Söhnen, so war der Sozialdemokrat bereits zum vierten Mal verheiratet. Im Unterschied zu Kohl pflegte sein Nachfolger gegenüber Medienvertretern einen entgegenkommenden, nahezu jovialen Stil. Der mitunter als „Medienkanzler“ titulierte Schröder profitierte seinerseits von der daraus resultierenden Geneigtheit vieler Journalisten.

Machte sich in den Reihen letzterer das Erbe der mit dem Stichwort „1968“ verbundenen Vorgänge allgemein in der den linken Parteien zugeneigten Berichterstattung bemerkbar, so zeigte sich dieses in der 1998 gebildeten Bundesregierung personell, insbesondere bei Schröders grünem Koalitionspartner. Mit Joseph 

Fischer – der selbst gern „Joschka“ genannt werden will – trat ein Mann ohne jeglichen berufsqualifizierenden Abschluss an die Spitze des Auswärtigen Amtes, der sich seinerzeit in der „außerparlamentarischen Opposition“ betätigt und bei Demonstrationen auch schon mal auf Polizisten eingeschlagen hatte. Jürgen Trittin, über die gesamte Kanzlerschaft Schröders Bundesumweltminister, bewegte sich als Student im linksradikalen Spektrum und hatte den „Buback-Nachruf“ verteidigt – die „klammheimliche Freude“ über die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback durch die sogenannte Rote Armee Fraktion im April 1977.

In den eigenen Reihen problematisch für Schröder sollte Oskar Lafontaine werden. Der SPD-Politiker, der inzwischen zur Linkspartei gewechselt ist, hatte innerhalb der Sozialdemokratie eine starke Stellung. Der langjährige saarländische Ministerpräsident war 1990 Helmut Kohl als Kanzlerkandidat unterlegen, hatte 1995 handstreichartig den SPD-Vorsitz übernommen und Schröder bei der Spitzenkandidatur 1998 nur unfreiwillig den Vortritt überlassen. Dieser musste dem innerparteilichen Konkurrenten dann ein um zahlreiche Kompetenzen aufgewertetes Finanzenministerium überlassen. Den weiterhin schwelenden Machtkampf konnte Schröder für sich entscheiden, Lafontaine trat bereits im März 1999 überraschend von allen Ämtern zurück, was die Regierung kurzzeitig in schweres Fahrwasser brachte und auch enge Anhänger enttäuschte. Neben persönlichen Animositäten lagen dem Rücktritt unterschiedliche Auffassungen über wirtschafts- und sozialpolitische Fragen zugrunde: Lafontaine setzte – als Anhänger des britischen Ökonomen John Maynard Keynes – auf Staatsausgaben. Schröder gedachte eben diese zu kürzen und setze auf Reformen, „eine Kombination von staatlicher Steuerung und gesellschaftlicher Regulierung“, wie es der Zeithistoriker Edgar Wolfrum formuliert, „modernisierungsorientierte Bevölkerungsteile“ gedachte Schröder zusätzlich zu den „traditionellen Wählerschichten“ zu gewinnen.

„Atomausstieg“ und „doppelte Staatsangehörigkeit“ sind weitere Stichworte, die mit den ersten Jahren von Schröders Regierung verbunden sind und ihn von der Linie seines Vorgängers unterscheiden dürften. Schröders Zurück­haltung im Irakkrieg und sein – auch medial geschicktes – Agieren während der „Flutkata­strophe“ in den Wochen vor der Bundestagswahl vom September 2002 beeinflussten die Bestätigung der rot-grünen Koalition positiv. Das in seinen Auswirkungen am nachhaltigsten spürbare Projekt der „Ära Schröder“, die „Agenda 2010“, die vor allem mit den Arbeitsmarktreformen und dem Namen des damaligen VW-Personalvorstandes Peter Hartz verbunden wird, konnte erst in der zweiten Legislatur Gestalt annehmen. Diese – von Fachleuten parteiübergreifend als notwendig beurteilten – Regelungen trugen allerdings dazu bei, dass Schröder aufgrund der materiellen Einschnitte für die Betroffenen in der eigenen Partei erheblich an Rück­halt verlor und die Kanzlerschaft schließlich wieder der CDU zufiel.

Der Übergang im Jahr 1998 war charakterisiert durch einen Generationenwechsel, einen neuen Stil und grün-sozialdemokratische Politik, die sich die CDU der Gegenwart allerdings inzwischen weitestgehend zu eigen gemacht hat. Spekulieren könnte man im Nachhinein darüber, was die sogenannte Spendenaffäre der CDU, die 1999 ihren Anfang nahm, für das Land bedeutet hätte, wäre Kohl zu dieser Zeit noch amtierender Bundeskanzler gewesen. 

Eine Neuerung, die auf Kohl zurückgeht, wurde erst unter seinem Nachfolger spürbar: Berlin war zwar seit 1991 nach heftiger Kontroverse als Regierungssitz vorgesehen, aber planungsbedingt war Gerhard Schröder der erste Nachkriegskanzler, der – seit 1999 – auch in Berlin amtierte.