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19.10.18 / In die Vergangenheit eintauchen / Die Synagoge zum Weißen Storch rekonstruiert jüdisches Leben immer mehr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-18 vom 19. Oktober 2018

In die Vergangenheit eintauchen
Die Synagoge zum Weißen Storch rekonstruiert jüdisches Leben immer mehr
Chris W. Wagner

Am 13. Oktober wurde – 50 Jahre nach dem letzten rituellen Eintauchen – die Mikwe (das rituelle Tauchbad) und das Kellergewölbe der Syna-goge zum Weißen Storch in der Breslauer Wallstraße (ul. Wlodkowica) nach einer Grundsanierung wiedereröffnet. 

Die Synagoge zum Weißen Storch wurde 1827–29 durch Carl Ferdinand Langhans erbaut und nach umfassender Renovierung 2010 als Veranstaltungszentrum neu eröffnet. Maßgeblich an der Sanierung beteiligt war die norwegische Schauspielerin und Musikerin jüdischer Abstammung, Bente Kahan, die mit einem polnischen Breslauer verheiratet ist und mit ihm zusammen seit 2001 in der schlesischen Metropole lebt. Mittlerweile ist sie sogar Ehrenbürgerin der Odermetropole. Kahan gründete zusammen mit dem Unternehmer Maciej Sygit und dem Verband der Jüdischen Glaubensgemeinden in der Republik Polen in der Synagoge das Zentrum für jüdische Kultur und Bildung sowie die Bente-Kahan-Stiftung. Die Stiftung konnte finanzielle Mittel vom Europäischen Wirtschaftsraum und dem norwegischen Finanzierungsmechanismus (EEA Grants, Island, Liechtenstein und Norwegen) für die Restaurierung des historischen Gebäudes und des Hofes der Sy-nagoge akquirieren. Nun dient die Synagoge der jüdischen Gemeinde unter der Leitung des Rabbiners Samuel Rosenberg sowohl als zusätzliches Gebetshaus als auch als Kulturzentrum. Seit der Einweihung wird im Weißen Storch die Dauerausstellung „Zurückgewonnene Geschichte – das jüdische Leben in Breslau und Niederschlesien“ präsentiert.

Seit Mitte Oktober ist nun ein weiterer Teil der Synagoge der Öffentlichkeit zugänglich. Das 1901 errichtete Tauchbad der Synagoge zum Weißen Storch sollte einst den Bedürfnissen von über 20000 Juden – und der damit drittgrößten jüdischen Gemeinde im damaligen Deutschland – gerecht werden. Diese Mikwe diente mit ihren sieben Stufen bis 1968, mit Ausnahme der Kriegsjahre, den Juden in Breslau zur rituellen Reinigung. 

Die Breslauer Mikwe wird nun weltweit der einzige Ort sein, an dem der rituelle Charakter des Gotteshauses mit einer Ausstellungsfunktion verbunden ist. Zwei Präsentationen finden im Kellergewölbe Platz: Der „Jüdische Lebenszyklus“ – eine multimediale Bildungsausstellung, die von jüdischen Traditionen und Festen erzählt sowie das „Unabgeschlossene Leben“ – eine künstlerische Impression über die Kunst in der Zeit der Vernichtung und danach. Eine Bildungswerkstatt und ein Filmsaal finden hier ebenfalls Raum. Auf die Frage, ob sich Bente Kahan in Breslau heimisch fühle, sagte sie: „Wie könnte es anders sein, schließlich habe ich 16 Jahre meines Lebens dieser Stadt geschenkt. Tragen denn Menschen, die hier arbeiten und Steuern zahlen nur deswegen nicht zum Gemeinwohl bei, weil ihre Muttersprache nicht die Polnische ist?“, so die Gegenfrage der Leiterin des Jüdischen Kultur- und Bildungszentrums. 

Im November werden in der Synagoge der 80. Jahrestag der Reichskristallnacht und der 100. Jahrestag zum Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs begangen. Am 20. November tritt der isländische Musiker Högni Egilsson auf, fünf Tage später wird die Sy-nagoge Begegnungsort des Ambiente-Musik-Festivals sein. Die Dauerausstellung „Zurückgewonnene Geschichte – das jüdische Leben in Breslau und Niederschlesien“ dokumentiert das jüdische Leben Breslaus ab dem Mittelalter bis heute. „Wir sind stolz, dass diese Ausstellung auch in meiner Heimatstadt Oslo gezeigt wurde“, freute sich Bente Kahan.

Etwa 400000 Gäste besuchen jährlich die Synagoge. Sie ist Montag bis Donnerstag von 10 bis 17 Uhr, Freitag und Sonntag von 10 bis 16 Uhr geöffnet.