24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.10.18 / Sprachpolizist der Aufklärung / Ein züchtiger Robinson Crusoe für Jugendliche unter 18 Jahren – Zum 200. Todestag von Johann Heinrich Campe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-18 vom 19. Oktober 2018

Sprachpolizist der Aufklärung
Ein züchtiger Robinson Crusoe für Jugendliche unter 18 Jahren – Zum 200. Todestag von Johann Heinrich Campe
Martin Stolzenau

Politische Korrektheit gab es bereits im 18. Jahrhundert. 1779 veröffentlichte der vor 200 Jahren verstorbene Joachim Heinrich Campe seine aufklärerisch-pädagogisch gesäuberte Jugendbuchfassung von „Robinson Crusoe“. 

Campe galt als überaus fortschrittlicher und als ein seiner Zeit vorauseilender Reformpädagoge, Sprachforscher, Autor vieler Fachschriften, Verleger und Prosaschriftsteller. Mehr noch: Er kämpfte für eine Reform des deutschen Schulwesens, begrüßte die Französische Revolution, besuchte mit seinem vormaligen Schüler Wilhelm von Humboldt das Paris der Revolutionszeit, um dem „Leichenbegräbnis des französischen Despotismus beizuwohnen“, veröffentlichte acht „Briefe aus Paris“ sowie seine richtungsweisenden „Grundsätze der Gesetzgebung, die öffentliche Religion und die Nationalerziehung betreffend“, was ihm als einzigem deutschen Pädagogen die Ehrenbürgerrechte der jungen Französischen Republik eintrug. Damit ge­hörte er zu den Hauptrepräsentanten der deutschen Spätaufklärung. 

Den größten Ruhm erlangte Campe aber mit der Übersetzung, pädagogischen Überarbeitung und Neufassung von Daniel Defoes Welterfolg „Robinson Crusoe“, dessen Handlung sich auf eine wahre, allerdings weniger bekannte Begebenheit gründet.

Der bedeutende Spätaufklärer wurde am 29. Juni 1746 in Deensen bei Holzminden als Sohn eines Kaufmanns und Gutsbesitzers geboren, hatte nach einem Theologiestudium seine ersten Wirkungsstätten als Erzieher der Humboldt-Brüder Wilhelm und Alexander in Berlin und als Prediger in Potsdam, ehe er als aufgeklärter Anhänger der Lehren Johann Bernhard Basedows 1774 vom Dessauer Fürsten Leopold Friedrich Franz an das gerade gegründete Philanthropin der anhaltischen Residenzstadt berufen wurde. Das war eine neuartige Erziehungsanstalt, deren Lehrkanon von den alten Sprachen sowie dem Unterricht der deutschen Sprache und Literatur über den Geografie-, Geschichts- und eine frühe Art von Werkunterricht bis zu kaufmännischen Fächern und Formen der Körper­ertüchtigung reichte. 

Neben Basedow und Campe unterrichteten hier andere be­kannte Pädagogikreformer wie Christian Gotthilf Salzmann, Christian Heinrich Wolke und Ernst Christian Trapp. Sie gaben die erste deutsche Pädagogik- Zeitschrift heraus und verfassten unter der Regie Campes die 

16-bändige „Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens“. Das war eine Zusam­menfassung der pädagogischen Überlegungen der Philanthropisten, die sich auf die Forderung von Aristoteles nach „Menschenfreundlichkeit“ bezogen. 

Doch der autoritäre Führungsstil von Basedow bewog Campe zum Verlassen von Dessau. Er ging nach Hamburg, fungierte als Schuldirektor, Verfasser von pä­dagogischen Aufklärungsschriften, Übersetzer und Prosaschriftsteller. Im Herbst 1779 brachte er „Robinson der Jüngere“ heraus. Das Buch gedieh zum Bestseller und wurde in fast alle europäischen Sprachen übersetzt. Der Geschichte des Schiffbrüchigen Robinson liegt folgende wahre Begebenheit zugrunde, die jedoch hinter der belletristischen Verarbeitung kaum Verbreitung fand:

1704 arbeitete der 28 Jahre alte Schotte Alexander Selkirk nach langjähriger Matrosentätigkeit auf der Galeere „Cinque Ports“ als Segelmeister. Dieses Schiff war im Stillen Ozean als „Kaperschiff“ unterwegs. Es war ein Privatschiff, das mit einem Kaperbrief Englands Handelsschiffe feindlicher Länder beschlagnahmen konnte. Das war legalisierte Seeräuberei, die bis 1856 üblich war. 

Während der Fahrt kam es zu Konflikten zwischen der Mannschaft und dem Kapitän, in deren Verlauf der Plan zur Meuterei gefasst wurde. Der Kapitän Stradling erfuhr davon und ermittelte seinen Segelmeister Selkirk als Anstifter. Hinsichtlich der Bestrafung entschied er sich zwischen Todesstrafe und Aussetzung. Das war für damalige Verhältnisse human. 

So brachte man Selkirk mit einer kleinen Ausrüstung, die neben etwas Nahrung, Kleider, Werkzeuge, eine Flinte, Pulver und eine Bibel enthielt, auf die nächstgelegene Insel. Sie hieß „Juan Fernandez“, war von einem Spanier 1563 etwa 1000 Kilometer vor der chilenischen Küste entdeckt worden und blieb unbewohnt. Die Möglichkeiten des Verbannten reichten auf dem fruchtbaren Eiland mit Bergen, Wäldern, Bächen und Wiesen von einem kurzen Aufenthalt bis zu lebenslänglicher Verbannung. 

Franz Kafka charakterisierte nach dem Lesen des Robinson-Romans die Situation recht trefflich mit den Sätzen: „Hätte Robinson den höchsten oder richtiger den sichtbarsten Punkt der Insel niemals verlassen, aus Trotz oder Demut oder Furcht oder Un­kenntnis oder Sehnsucht, so wäre er bald zugrundegegangen; da er aber ohne Rücksicht auf die Schiffe und ihre schwachen Fernrohre seine ganze Insel zu erforschen und ihrer sich zu freuen begann, erhielt er sich am Leben.“ 

Selkirk baute sich eine Hütte, sorgte für seine Versorgung und hielt von einer Anhöhe aus nach  Schiffen Ausschau. Lange Zeit entdeckte er nur spanische Flaggen. Doch denen gab er sich nicht zu erkennen. Die Spanier waren die Todfeinde der englischen Kaperer. Erst im Februar 1709 kam vom englischen Kaperschiff „Duke“, das von der Insel Trinkwasser holte, für Selkirk Rettung. 

Der Kapitän des Schiffes empfand Mitleid, nahm den ausgesetzten Seemann auf und verfasste am Ende der Heimfahrt über dessen Schicksal eine Schrift, die dann Daniel Defoe las. Der englische Schriftsteller verarbeitete den Stoff zu einem Roman, der ein Welterfolg wurde.

1786 berief Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel den inzwischen bekannten Spätaufklärer Campe nach Braunschweig, wo er als „Hochfürstlicher Schulrat“ das Landschulwesen anteilig gegen den Widerstand konservativer Kräfte reformierte, die Braunschweigische Schulbuchhandlung gründete und sich nach 1807 vorrangig sprachwissenschaftlichen Studien widmete.

Als Krönung seiner Arbeit brachte er das „Wörterbuch der deutschen Sprache“ heraus, das mit seinen Verdeutschungen der verbreiteten Fremdwörter lange als Standardwerk galt, bis Konrad Duden für ein neues Werk sorgte. Dass wir für „Parterre“ auch „Erdgeschoss“, für „Debatte“ auch „Streitgespräch“ und für „faktisch“ auch „tatsächlich“ sagen, ist dem Sprachpolizisten Campe zu verdanken. Seinen Lebensabend verbrachte Campe auf seinem Landsitz bei Braunschweig, wo er 33000 Bäume anpflanzte und am 24. Ok­tober 1818 verstarb. Im Hammer Park in Hamburg, wo sein „Robinson der Jüngere“ entstanden war, erinnert ein Ge­denkstein an ihn. Sein Grabmal in Braunschweig blieb erhalten. 

Die Insel Juan Fernandez ist inzwischen schwach bewohnt und besitzt auf der von Selkirk als Ausguck gewählten Anhöhe eine Gedenktafel, die an das literarisch verarbeitete Schicksal des Seemanns aus Schottland erinnert.