27.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.10.18 / Kämpfer für einen jüdischen Staat: David Ben Gurion, Israels erster Ministerpräsident

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-18 vom 19. Oktober 2018

Kämpfer für einen jüdischen Staat: David Ben Gurion, Israels erster Ministerpräsident
Karlheinz Lau

Zentraler Schauplatz des Lebens von Ben Gurion ist Palästina. Dieser Landstrich am östlichen Mittelmeer gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum Osmanischen Reich, es folgte bis zur Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 die Zeit der britischen Mandatsverwaltung. Die Etablierung eines jüdischen Staates stieß auf heftigsten Widerstand in der arabischen Welt, der bekanntlich bis heute anhält. Tausende arabischer Bewohner wurden vertrieben, jüdische Siedler traten an ihre Stelle. Für Juden war dieses Land seit Jahrtausenden ihr historisches Heimatgebiet.

David Ben Gurion – sein ursprünglicher Name lautete David Josef Grün – wurde am 16. Okto-ber 1886 in Plonsk, einer Kleinstadt nordwestlich von Warschau, geboren. Polen, das zu jener Zeit aufgrund der Teilungen als selbstständiger Staat nicht existierte, war ein Zentrum jüdischen Lebens und jüdischer Kultur. In diesem Umfeld wuchs der junge David auf.

Tom Segev beschreibt in seinem umfangreichen Werk „David Ben Gurion,. Ein Staat um jeden Preis“ die einzelnen Etappen im Werdegang Gurions. Schon früh bekannte er sich zum Zionismus und zum Hebräischen als Umgangssprache für alle Juden. Entscheidend war ferner sein Entschluss, nach Palästina, der Urheimat des jüdischen Volkes auszuwandern. Das geschah im Jahre 1906. Am 7. September betrat er in Jaffa palästinensischen Boden. Palästina war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der rück-ständigsten Gegenden im Osmanischen Reich. Das betraf die arabischen und die damals bereits dort lebenden jüdischen Einwohner, deren Zahl auf mehrere zehntausend Menschen geschätzt wird. 

Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches. Die Auseinandersetzungen zwischen Juden und Arabern bestimmten die folgenden Jahrzehnte. Ein Schlüsseldokument für die jüdische Seite wurde die sogenannte Balfour-Deklaration vom 2. November 1917: „Großbritannien ist einverstanden mit dem Ziel des Zionismus, in Palästina eine nationale Heimstätte des jüdischen Volkes zu errichten bei gleichzeitiger Wahrung der Rechte nichtjüdischer Gemeinschaften.“ Gemeint waren die Araber.

In den Jahren zwischen den Weltkriegen und während des Zweiten Weltkrieges war Gurion die Schlüsselfigur innerhalb Palästinas und auf dem internationalen Parkett. Er wich und wankte nicht von seinem Credo eines selbstständigen jüdischen Staates in Palästina ab. Er wurde im Mai 1948 erster israelischer Ministerpräsident und Verteidigungsminister, ihm schwebte eine möglichst umfassende Räumung des Landes von seinen palästinensischen Bewohnern vor – trotz des Widerstandes zahlreicher politischer Freunde. Die Zahl der arabischen Bewohner in Israel wurde zwischen 500000 und 600000 geschätzt. 

Gurion glaubte an seine moralischen Tugenden als Zionist, als Jude, als Mensch. Gerade deshalb hatte er große Mühe, die Vertreibung der Araber mit seinen humanistischen Wertvorstellungen in Einklang zu bringen. Dieser Gewissenskonflikt zeigt eindrucksvoll, dass er alles andere als eine gradlinige Persönlichkeit eingeschätzt werden muss.

Gurion war von 1948 bis 1953 sowie von 1955 bis 1963 Ministerpräsident und Verteidigungsminister; 1970 zog er sich aus allen politischen Ämtern zurück. Er starb am 1. Dezember 1973 und wurde in einem Kibbuz beerdigt. 

Segev schildert minutiös alle Stationen seines Lebens, seiner Kindheit und Jugend in Polen, sein Ringen und seine Entscheidung, nach Palästina auszuwandern, seine politischen Visionen eines eigenen jüdischen Staates. Diesem Ziel ordnet er seine gesamte politische Aktivität unter. 

Mit großer Spannung verfolgt der Leser die komplizierten und häufig verwirrenden Umstände um die Unabhängigkeitserklärung 1948 und den unmittelbar darauf folgenden Krieg mit den arabischen Nachbarn. Gurions Jahre als Regierungschef und Verteidigungsminister sind nicht weniger ereignisreich – innenpolitisch wie außenpolitisch. Man begegnet prominenten Persönlichkeiten wie Weizmann, Golda Meir, Menachem Begin, Schimon Peres sowie wichtigen ausländischen Spitzenpolitikern aus den USA, Großbritannien oder Frankreich und Ägypten. 

Für das deutsch-israelische Verhältnis wurde das bekannte Treffen zwischen Gurion und Bundeskanzler Konrad Adenauer am 14. März 1960 in New York ein hoffnungsvoller Beginn – und das so kurz nach Bekanntwerden des ganzen Ausmaßes des Holocausts. Er sah keine Kollektivschuld der Deutschen: Dem unfassbaren Geschehen eines Völkermordes an den Juden stand Gurion hilflos gegenüber, er unterstützte die Versuche zur Rettung. Hier sah er die USA und Großbritannien in der Verantwortung, es blieb bei Plänen. 

Seine ganz persönliche Einstellung beschrieb Segev mit dem Satz: „Ben Gurion konnte kein väterliches Mitgefühl für ihr persönliches Leid aufbringen; er betrachtete den Holocaust als nationale Katastrophe.“ Die Gründung des Staates Israel war für ihn eine Kompensation für den millionenfachen Mord im Holocaust.

Segev gibt ein umfassendes Bild der Persönlichkeit Gurions. Das kann er nur durch die Auswertung aller erreichbaren Quellen. Selbstzeugnisse wie Briefe, Tagebücher, Aufsätze, Reden, Protokolle, parteipolitische und diplomatische Akten, Erinnerungen von Mitarbeitern und Mitstreitern, aber auch Gegnern und Opponenten, zeichnen einen oft widersprüchlichen, unglaublich fleißigen, in der Verfolgung seines politischen Zieles „Ein Staat um jeden Preis“ aber knallharten Politiker. 

Das Buch beschreibt mit der Person Ben Gurions die Geschichte des Staates Israel bis zum Jom-Kippur-Krieg 1973, dem Todesjahr seines Gründers. 2018 verabschiedet das israelische Parlament das Nationalstaatsgesetz, das allein dem jüdischen Volk das Selbstbestimmungsrecht in Israel zugesteht, gleichzeitig wird Hebräisch die einzige Amtssprache. Obwohl damit die Konflikte mit den Arabern nicht beendet sind, darf behauptet werden, dass diese Entwicklung voll im Sinne Gurions liegt.

Das Buch, das sich zuerst an israelische Leser richtet, ist aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt worden. Angesichts der zahllosen Namen und Orte wäre für eine deutschsprachige Leserschaft zum besseren Verständnis eine Zeitleiste und Orientierungsskizzen des nahöstlichen Raumes zu empfehlen geween. Dies hätte auch die zahlreichen Fotos, die Gurion in verschiedenen Situationen zeigen, gut ergänzt. 

Tom Segev: „David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis“, Siedler Verlag, München 2018, gebunden, 800 Seiten, 35 Euro