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26.10.18 / Athen fordert Reparationen / Warum die Forderungen an Deutschland gerade jetzt aufkommen und wie berechtigt sie sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-18 vom 26. Oktober 2018

Athen fordert Reparationen
Warum die Forderungen an Deutschland gerade jetzt aufkommen und wie berechtigt sie sind
Gerd Seidel

Schon bald, nachdem im August dieses Jahres die letzte Tranche des hoch umstrittenen Rettungspakets für Griechenland in Athen eingetroffen war, meldete die griechische Regierung neue finanzielle Forderungen an. Diesmal sind es Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg gegenüber Deutschland, und zwar in dreistelliger Milliardenhöhe. 

Ministerpräsident Alexis Tsipras kündigte im September an, eine bereits 2016 erstellte Studie, die diese Forderung begründen soll, nun dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen, um sie danach Deutschland zu unterbreiten. Anlässlich des kürzlich erfolgten Staatsbesuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Athen legte der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos mit der dezenten Drohung nach, dass man mit dieser Angelegenheit auch „internationale Foren“ beschäftigen könne.

Die griechische Regierung behauptet, Deutschland schulde diese Summe als Reparation aus der Besatzungszeit von 1941 bis 1945. Im Zentrum der griechischen Forderungen stehen ein von Deutschland auferlegter „Zwangskredit“ und die Wiedergutmachung für die Tötungen, Folterungen und Inhaftierungen von Zivilpersonen in der Besatzungszeit. Damit stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage für diese Forderung von insgesamt 376 Milliarden Euro, die vor wenigen Jahren noch bei 284 Milliarden Euro lag.

Was den „Zwangskredit“ anbelangt, so ist bereits die Wortwahl irreführend. Nach dem Kriegsrecht hatte das besetzte Griechenland für die Kosten der Besatzung, einschließlich der Besatzungstruppen, aufzukommen. Dafür hatte das Deutsche Reich zur Begleichung der Kosten gewissermaßen vorsorglich einen Kredit bei einer Bank von Griechenland aufgenommen. Ob hieraus für Griechenland nach 1945 ein einforderbarer Restbestand blieb, kann hier angesichts der nachfolgenden Entwicklung dahingestellt bleiben.

Dass die deutsche Wehrmacht grausame Verbrechen gegen die griechische Zivilbevölkerung und damit Völkerrechtsverletzungen begangen hat, ist unbestritten. Traurige Bekanntheit erlangten beispielsweise die in den Orten 

Distomo, Kalavtyta und Lyngiades verübten Massacker. Es ist mehr als unbefriedigend, dass solche Untaten in Deutschland ungesühnt geblieben sind. Auch wenn es für manch einen unverständlich erscheint, so muss diese moralische Bewertung jedoch von der rechtlichen Einschätzung getrennt werden. Denn es gibt gewichtige völkerrechtliche Gründe, aus denen das Vorhaben Griechenlands, von Deutschland Schadensersatz aus der Besatzungszeit zu fordern, als Ganzes scheitern muss: Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind nunmehr 73 Jahre vergangen. Über Jahrzehnte hinweg hat Griechenland – jedenfalls auf der diplomatischen Ebene – keine Forderungen aus dieser Zeit erhoben. Deutschland musste darauf vertrauen können, dass alle Angelegenheiten aus dem Weltkrieg als erledigt gelten. Der griechische Staat hat erstmalig in den vergangenen Jahren, genau gesagt, nachdem dort ein astronomisch hoher Schuldenberg angehäuft worden war, Reparationsansprüche gegen Deutschland geltend gemacht. Durch die Jahrzehnte lange stillschweigende Zustimmung, das heißt die Nichtgeltendmachung derartiger Forderungen, hat Griechenland das Recht auf Geltendmachung der von ihm behaupteten Ansprüche verwirkt. Die Verpflichtung, nach Treu und Glauben zu handeln, gilt im Völkerrecht ebenso wie im innerstaatlichen Recht.

Eine absolute rechtliche Sperre für die Geltendmachung von Forderungen aus dem Weltkrieg ist allerdings durch den „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ vom 12. September 1990, auch unter dem Namen „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ bekannt, entstanden. In diesem Abkommen, dem der Status eines Ersatzfriedensvertrages zukommt, haben die beiden deutschen Staaten und die zugleich für die anderen Staaten der sogenannten Anti-Hitler-Koalition treuhänderisch handelnden vier ehemaligen Alliierten Mächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich vereinbart, dass alle aus dem Weltkrieg herrührenden Fragen als abgeschlossen gelten. Von dieser Endgültigkeit erfasst sind auch – ohne ausdrückliche Erwähnung – etwaige Reparationsforderungen wie andererseits auch der Verlust Deutschlands von einem Viertel seines ehemaligen Territoriums und die damit verbundene Vertreibung von Millionen Deutschen aus den Ostgebieten als eine äußerst harte und durchaus nicht unumstrittene Sanktion gegen Deutschland.

In der „Charta von Paris für ein neues Europa“ vom 21. November 1990 haben alle europäischen Staaten die Festlegungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages „mit großer Genugtuung“ zur Kenntnis genommen. Griechenland hat dazu weder einen Vorbehalt noch eine abweichende Erklärung abgegeben. Damit ist für Griechenland – ebenso wie übrigens auch für Polen – endgültig das Recht erloschen, Reparationsansprüche gegenüber Deutschland geltend zu machen.

Im Übrigen darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass Griechenland in den vergangenen Jahrzehnten auf verschiedenen Wegen Geld- und Sachmittel in erheblichem Umfang von Deutschland erhalten hat. So bekam Griechenland nach dem Pariser Reparationsabkommen von 1946 Industrieanlagen aus Deutschland im Wert von 30 Millionen US-Dollar zugesprochen, über deren Verwertung in Griechenland bis heute jedoch Unklarheit besteht. Gemäß einem Vertrag von 1960 überwies Deutschland an Griechenland 115 Millionen D-Mark als Schadensersatz für Leben und Gesundheit rassisch verfolgter Griechen. Davon soll allerdings nur ein geringer Teil bei den betroffenen Menschen angekommen sein.

Bis zum Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft erhielt Griechenland von Deutschland großzügige Entwicklungshilfen und einen zinsgünstigen Kredit über 150 Millionen D-Mark. Allein zwischen 1956 und 1963 beliefen sich die deutschen Zahlungen auf eine Milliarde Mark. Im gesamten Zeit-raum der EG- beziehungsweise EU-Mitgliedschaft bekam Griechenland als Nettoempfänger von der Gemeinschaft zur Stützung der nationalen Wirtschaft hohe Summen überwiesen, die vor allem aus deutschen Geldern gespeist wurden. Um das hoch verschuldete Land vor der Insolvenz zu bewahren flossen im Rahmen von drei Rettungspaketen der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) seit 2010 mehr als 270 Milliarden Euro nach Athen, wobei auch hier Deutschland der wichtigste Geberstaat ist. Der Erfolg dieser Maßnahmen, das heißt die wirtschaftliche Konsolidierung des Landes, ist aber ebenso ungewiss wie die Aussicht auf Rückzahlung dieser Gelder an die Gläubigerstaaten. Diese Erkenntnis wird die griechische Regierung wohl veranlasst haben, sich rechtzeitig nach neuen Finanzquellen umzuschauen und dabei den Fokus auf Deutschland zu richten.