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26.10.18 / Sein Imperium wuchs aus einem Dübel / Artur Fischer machte Erfindungen wie aus der Wundertüte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-18 vom 26. Oktober 2018

Sein Imperium wuchs aus einem Dübel
Artur Fischer machte Erfindungen wie aus der Wundertüte
Klaus J. Groth

Mit mehr als 1100 Patenten und Gebrauchsmustern zählt Artur Fischer zu den produktivsten Erfindern der Welt. Eine seiner bekanntesten Erfindungen ist der Fischer-Dübel. Vor 60 Jahren, am 7. November 1958, meldete der Baden-Württemberger den in der Verbindungstechnik gebrauchten Spreizdübel aus Polyamid zum Patent an.

Artur Fischer war ein Erfinder und Tüftler, der seinesgleichen sucht. Sein Leben lang meldete er Patente und Gebrauchsmuster an, insgesamt 1136. Das Deutsche Patentamt erteilte ihm 570 Patente. Seine bekannteste Entwicklung war der heute allgegenwärtige 

S-Dübel aus Polyamid. Noch ziemlich nahe an diesem Bereich war die Entwicklung eines speziellen Dübels, mit dem sich Knochenbrüche fixieren ließen. Aber auf Befestigungstechnik beschränkte sich sein Einfallsreichtum keineswegs. Die Liste seiner Erfindungen und Entwicklungen liest sich wie der Beipackzettel einer Wundertüte. 

Eine seiner frühesten Erfindungen war ein Blitzlicht mit synchroner Auslösung für Fotoapparate. Wie so oft, gab ein persönliches Erlebnis Artur Fischer den Anstoß zu seiner Erfindung. 1948 war er Vater einer Tochter geworden. Die wollte der stolze Papa fotografieren lassen. Die Eltern lebten damals in einer kleinen Mansardenwohnung. Der Fotografin erschien das Abbrennen des Magnesiumblitzes zu gefährlich, das hölzerne Dach könnte Feuer fangen. Fischer entwickelte 1949 den Synchronblitz, den er 1950 auf der Photokina vorstellte und von Agfa vermarkten ließ.

Der Tüftler, für den das Erfinden offenbar ein Kinderspiel war, beschäftigte sich viel mit Entwick­lungen für Kinder und Jugendliche. Bekannt waren sein Baukastensystem „fischertechnik“ oder das Bastelsystem „fischer TiP“. Das sind aus Kartoffelstärke gefertigte Bauteile, die mit Lebensmittelfarbe bunt gefärbt werden. Alles kompostierbar.

Der Erfinder Artur Fischer kam aus dem badischen Ort Tumlingen. Er war der Sohn des dörflichen Schneiders, der sich am 31. Dezember 1919 vermutlich über seinen Erstgeborenen freute. Der besuchte drei Jahre eine Realschule, dann brach er ab und machte eine Schlosserlehre. Bei der Luftwaffe wurde er Flugzeugmechaniker. Sein Jagdgeschwader war in Stalingrad eingesetzt. Nach eigenen Angaben entkam er mit dem letzten Flugzeug. Aus britischer Kriegsgefangenschaft geflohen, war er 1947 wieder daheim. 

Bereits 1948 machte sich Fischer mit den Fischerwerken in Hörschweiler im Waldachtal selbstständig. Das Unternehmen produzierte Schalter für Webstühle und elektrische Feuerzeuge. Als dann der Synchronblitz für Fotoapparate durchschlagenden Erfolg hatte, waren die Werkstätten bald zu klein. Ein Umzug in das Nachbardorf Tumlingen wurde notwendig. Damit war Artur Fischer wieder dort, wo er zur Welt gekommen war. 

Fischer konnte mit dem Erfolg zufrieden sein. Aber den endgültigen Durchbruch verdankte er einer weiteren Anregung. 1956 besuchte ihn sein ehemaliger Lehrherr aus der Schmiede. Der hatte sich darauf spezialisiert, Treppengeländer zu schmieden. Was er suchte, war ein Schwerlastdübel. Zwei Jahre später stellte Fischer seinen Spreizdübel vor. Er war im Markt der Befestigungstechnik angekommen, in dem er bald zum Hauptspieler wurde. Das Deutsche Patentamt erkannte unter der Nummer 1097117 sein Patent im Juli 1961 an. 

Nun ist es keineswegs so, dass vor Fischer nicht gedübelt worden wäre. Das Verfahren, Schrauben in hartem Material zu befestigen, ist alt. Vor dem Problem hatten schon die Baumeister weit zurückliegender Epochen gestanden – und es auf ihre Weise gelöst. Der frühe Dübel war ein geformtes Holzstück. Oder ein Holzstück, das in ein geschlagenes oder gebohrtes Loch gesetzt und eingemauert wurde. In dem hölzernen Kern saßen die Verbindungsschraube oder der Anker fest. 

Die Technik war also alt, und nahezu ebenso alt waren die Versuche, sie zu verbessern. 1910 meldete der Brite John Joseph Rawlings einen Dübel aus Hanfschur und Tierblut an. In Deutschland lieferte ein Unternehmen 1926 Dübel aus Hanfschnur in einer Blechhülse. 1928 patentierte das Reichspatentamt einen Hülsenspreizdübel. Und 1957 patentierten die Prüfer einen Kunststoff-Spreizdübel, bei dem Nylonfäden in ein Bohrloch gesteckt wurden. 

Es war also ein umkämpfter Markt, in den sich Fischer mit seinem Spreizdübel wagte. Die Reaktion folgte prompt. Fischer wurde des Plagiats beschuldigt, die Sache kam vor Gericht. Und das erkannte an, dass Fischers Entwicklung tatsächlich nachrangig, Fischer also nicht der Erfinder des Spreizdübels aus Kunststoff sei. Aber, so stellten die Richter mit juristischer Feinheit fest, die Patentschrift beziehe sich auf Form und Spreizung des Dübels in weichem und hartem Material. Damit war das Patent anerkannt. Das hatte bis in die Gegenwart wirkende Konsequenzen.

Heute befindet sich der Hauptsitz des Unternehmens immer noch dort, wo es gegründet wurde und wo Artur Fischer bis zu seinem Tod 2016 gelebt hat, in Waldachtal. Es ist immer noch ein Familienunternehmen. An der Spitze steht Klaus Fischer, Sohn des Gründers. Aber aus den kleinen Anfängen ist ein weltumspannendes Imperium geworden. Die Zahl der Mitarbeiter wird mit 5000 angegeben, der Umsatz mit 812 Millionen Euro. Die Schwerpunkte sind geblieben, Befestigungstechnik, Ausstattungen für Autos und Spielzeug, das sich für Konstruktionen eignet. 2000 Menschen arbeiten in Deutschland für Fischer, 1200 am Stammsitz. Produziert wird zudem in Italien, Tschechien, China, Argentinien, Brasilien und in den USA. Tochtergesellschaften bestehen in 34 Ländern. Besonders spektakulär dübelte Fischer im Burj Khalifa in Abu Dhabi, im Gotthardtunnel und beim überhängenden Dach des Porschemuseums in Stuttgart. Vor allem aber dürfte den Gründer gefreut haben, dass die Belegschaft seiner Werke mehr Patente anmeldet als die anderer Unternehmen.