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26.10.18 / Die Novemberrevolutionäre stürzten eine Demokratie / Demokratisch gewählt war der Reichstag von Anfang an – Zu Toresschluss folgte vor 100 Jahren die noch fehlende Parlamentarisierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-18 vom 26. Oktober 2018

Die Novemberrevolutionäre stürzten eine Demokratie
Demokratisch gewählt war der Reichstag von Anfang an – Zu Toresschluss folgte vor 100 Jahren die noch fehlende Parlamentarisierung
Wolfgang Reith

Die Geschichte der die Weimarer Republik prägenden und stützenden Weimarer Koalition aus Sozialdemokraten, linksliberaler Deutscher Demokratischer Partei und katholischem Zentrum reicht bis in den Ersten Weltkrieg zurück. Am 6. Juli 1917 bildete sich im Reichstag ein sogenannter Interfraktioneller Ausschuss (IFA), der für einen Verständigungsfrieden mit den Alliierten eintrat und Reformen voranzutreiben beabsichtigte, mit denen das Kaiserreich in eine parlamentarische Monarchie umgewandelt werden sollte. Deswegen sprach man diesbezüglich auch von einem Verfassungsausschuss. Getragen wurde er von den Fraktionen der SPD, der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei und der Zentrumspartei, die zusammen über rund 60 Prozent der Mandate und damit über eine absolute Mehrheit im Reichstag verfügten. 

Am 19. Oktober 1917 verabschiedeten sie gegen den massiven Widerstand der eher rechten, alt­konservativen Deutsch­kon­ser­va­tiven Partei und der vergleichsweise linken, freikonservativen Deutschen Reichspartei zunächst eine Friedensresolution. Das zweite Ziel, die Parlamentarisierung der Verfassung, scheiterte vorerst daran, dass die konservativen Parteien im Bündnis mit der Obersten Heeresleitung diese Pläne erfolgreich durchkreuzen konnten. 

Erst als Letztere im Herbst 1918 den Krieg selbst als verloren betrachtete, drängte sie ihrerseits auf einen Parlamentarisierungsprozess, um den Verhandlungen mit dem US-Präsidenten Woodrow Wilson eine „demokratische Fassade“ zu verleihen und im Falle eines ungünstigen Friedensschlusses die Verantwortung den Parteien zuschieben zu können. Generalquartiermeister Erich Ludendorff von der Obersten Heeresleitung äußerte am 1. Oktober 1918 im Großen Hauptquartier in Bad Spa vor seinen Stabsoffizieren sehr deutlich sein Bestreben, „… jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind … Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“

Bereits zwei Tage vorher hatte Ludendorff eingeräumt, der Krieg sei militärisch nicht mehr zu gewinnen, und so forderte er sowohl ein baldiges Waffenstillstandsangebot auf der Grundlage der 14 Punkte des US-Präsidenten Wilson als auch die Diskussion über eine Verfassungsreform. Der Staatssekretär des Auswärtigen, Paul von Hintze, kommentierte dazu, nur eine schnelle „Revolution von oben“ könne ein „Chaos“ und eine „Revolution von unten“ (wie in Russland) verhindern. Die politischen Parteien des Kaiserreiches waren in ihrer großen Mehrheit allerdings nicht unbedingt von der Notwendigkeit einer Demokratisierung überzeugt, sondern gaben eher dem Druck von außen nach.

Bei den Beratungen im Großen Hauptquartier am 28. und 29. September 1918, an denen der Kaiser, die Oberste Heeresleitung, vertreten durch Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Ludendorff, Reichskanzler Georg Graf von Hertling und die Staatssekretäre Hintze und Siegfried Graf von Roedern vom Reichsschatzamt teilnahmen, einigte man sich weitgehend auf die geplanten Reformen, was dann in einem kaiserlichen Parlamentarisierungserlass vom 30. September zum Ausdruck kam. 

Auf seiner letzten Sitzung vom 26. Oktober 1918 nahm der 1912 gewählte 13. Reichstag einen die Parlamentarisierung des Reiches vorsehenden und auf einer Regierungsvorlage basierenden Initia­tiv­antrag der Mehrheitsfraktionen gegen die Stimmen der Konservativen und der Unabhängigen Sozialdemokraten an. Zwei Tage später stimmte auch der Bundesrat zu und das „Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung“ trat nach kaiserlicher Ausfertigung und Verkündung in Kraft. Das deutsche Kaiserreich war nun nicht mehr nur eine konstitutionelle, sondern auch eine parlamentarische Monarchie, die zentrale Änderung beruhte dabei auf dem Satz „Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages“. Weitere Bestimmungen waren: Abgeordnete konnten künftig der Regierung angehören, was bisher nicht möglich war, Kriegserklärungen und Friedensschlüsse bedurften der Zustimmung des Reichstages und des Bundesrates, und die militärische Kommandogewalt des Kaisers lag jetzt in der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und unterstand damit der parlamentarischen Kontrolle. 

Obwohl die drei genannten Fraktionen des Reichstages mit ihrer Mehrheit letztlich den Wandel hin zu einer parlamentarischen Regierung geebnet und herbeigeführt hatten, ließ es sich der Kaiser nicht nehmen, in einer Ansprache vor den Staatssekretären zu erklären, er habe „den entscheidenden Schritt getan, der das deutsche Volk in neue Verfassungszustände hinüberführt“. Künftig sollten die Deutschen an „politischer Freiheit keinem Volk der Erde“ nachstehen. Unabhängig von der Frage, wem das Verdienst zukommt, hat Wilhelm II. doch insofern recht, als das deutsche Kaiserreich in seiner Endphase mit seinem Reichstag, der aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimem (Män­-

ner-)Wah­len hervorging, und seinem Reichskanzler, der zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages bedurfte, ein Staat war, der in Sachen Demokratie den Vergleich mit anderen Staaten nicht zu scheuen brauchte.

Thomas Nipperdey urteilte später, diese sogenannten Oktoberreformen des Oktober 1918 seien zu spät gekommen und hätten trotz Machtwechsel nicht genügt. Sie „hatten“, so der Historiker, „keine eigenständige Wirkung mehr, sondern gingen auf in der Radikalisierung der Novemberrevolution“.