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26.10.18 / »Kindergarten« auch in der Neuen Welt / Eine Mecklenburgerin verbreitete Friedrich Fröbels Lehren in den USA

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-18 vom 26. Oktober 2018

»Kindergarten« auch in der Neuen Welt
Eine Mecklenburgerin verbreitete Friedrich Fröbels Lehren in den USA
Martin Stolzenau

Ein Pädagoge und Schüler Pestalozzis schuf 1840 den ersten Kindergarten. Mit seiner pädagogischen Konzeption unterschied er sich von den damals üblichen Kinderverwahranstalten. Die von Friedrich Wilhelm August Fröbel begründete Dreiklang von Bildung, Erziehung und Betreuung fand auch in den USA Anklang.

Friedrich Wilhelm August Fröbel stammte aus Oberweisbach in Thüringen, fand nach schweren Kindheitsjahren über die Aneignung der Lehren von Johann Heinrich Pestalozzi zur eigenen Berufung als Pädagoge. Er gründete in Griesheim bei Arnstadt eine Schule, veröffentlichte zahlreiche Schriften und vollbrachte bei der Neukonzipierung der frühkindlichen Erziehung mit entsprechenden Kindergärten wohl seine bedeutendsten Leistungen. Er stieß bei seinen pionierhaften Bemühungen auf konservativen Widerstand, wurde in Preußen zeitweilig verboten und sammelte über die Jahre aber immer mehr Gesinnungsfreunde um sich. Die Fröbelbewegung eroberte zwangsläufig ganz Deutschland, griff auf andere Länder über und setzte sich auch in den USA durch. 

Für Fröbels Erfolg in der Neuen Welt sorgte Maria Kraus-Boelté, die ursprünglich aus Mecklenburg stammte, sich nach der Lektüre der Schriften des Pädagogik-Pioniers für ihn begeisterte und dann nach entsprechender Ausbildung in Hamburg die Fröbel-Lehren mit eigenen Veröffentlichungen in den USA verbreitete. Deshalb gilt sie auch über ihren Tod vor 100 Jahren hinaus bis heute in den Vereinigten Staaten als Mutter der amerikanischen Kindergarten-Bewegung. Zahlreiche Schriften befassen sich fast ausschließlich mit ihrem Wirken und ihrer Bedeutung. Ein Großteil ihres umfangreichen Nachlasses wird im Archiv der „Cincinnati Kindergarten Association“ aufbewahrt. Dazu pflegt die „Association of Childhood Education International“ die Erinnerung an die interessante Frauenpersönlichkeit. In Deutschland ist sie dagegen weitgehend unbekannt. Erst in den letzten Jahren begab man sich in Westmecklenburg, ihrer Heimat, auf Spurensuche. 

Die ungewöhnliche deutsch-amerikanische Fröbel-Jüngerin wurde am 8. November 1836 als Maria Bölte in der mecklenburgischen Stadt Hagenow geboren. Unter ihren Vorfahren gab es über mehrere Generationen zahlreiche Juristen, die in Mecklenburg-Schwerin wichtige Ämter bekleideten. Ihre Mutter war eine Tochter des Hofrates August Ehlers, der in Neubukow als Bürgermeister fungierte. Ihr Vater wirkte in Hagenow als Rechtsanwalt sowie Notar und hatte längere Zeit das Bürgermeis-teramt inne. Von daher wuchs Tochter Maria in gesicherten materiellen Verhältnissen auf. Sie wurde von Privatlehrern unterrichtet, erhielt eine für Mädchen damals ungewöhnlich umfangreiche Bildung und profitierte zusätzlich vom engen Kontakt zu ihrer Tante Amely Bölte, die als gesellschaftskritische Schriftstellerin Bekanntheit erlangt hatte. Die Tante aus Rehna in Nordwestmecklenburg, die zu ihren Freunden prominente Gesellschaftskritiker wie Ferdinand Freiligrath, Fanny Lewald, Gottfried Kinkel sowie Karl Gutzkow zählte, gehörte zu den Bewunderern Friedrich Fröbels, dessen fortschrittliche Erziehungsmethoden sie lebhaft unterstützte. Die Tante war es auch, die die Hagenower Nichte mit Fröbels Schriften versorgte und schließlich einen Kontakt zu dessen Witwe in Hamburg vermittelte. 

Maria Bölte wollte nun Kindergärtnerin im Fröbelschen Sinne werden. Die Eltern erlaubten – nach maßgeblicher Einflussnahme der Tante Amely aus Rehna – diese Laufbahn. So kam es für zwei Jahre zur Ausbildung bei Luise Fröbel in Hamburg. Anschließend wandte sie sich mit Unterstützung ihrer Tante nach England. Dort erwarb sie in dem von Bertha und Johannes Ronge, zwei anderen Fröbel-Anhängern, gegründeten Londoner Kindergarten über vier Jahre umfangreiche praktische Erfahrungen. Mit großem Erfolg. Einige Arbeiten der von ihr betreuten Kinder erregten auf der Weltausstellung 1862 in London großes Aufsehen. Als Maria Bölte nach Hamburg zurückkehrte, eilte ihr der Ruf einer erfolgreichen Kindergärtnerin voraus. Sie eröffnete 1867 in Lübeck ihren eigenen Fröbel-Kindergarten, begann mit dem Deutsch-Amerikaner John Kraus, einem anderen Fröbel-Verehrer in den USA, einen brieflichen Gedankenaustausch, und ging 1872 auf amerikanische Einladung nach New York.

Maria Bölte betrieb in der Neuen Welt mit Kraus einen Kindergarten im Sinne Fröbels, heiratete den beruflichen Partner und entwickelte auch ein Fröbel-Seminar zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen. Parallel verfasste sie zahlreiche Aufklärungs- und Lehrschriften. Ihr Buch „The Kindergarten Guide“ gedieh schnell zum Standardwerk und erlebte etliche Nachauflagen. Mit ihrer persönlichen Beziehung zur Fröbel-Witwe, ihrem Modell-Kindergarten in New York, den Veröffentlichungen und den Ausbildungs-Kursen für Erzieherinnen entwickelte sich die Meck­lenburgerin zum amerikanischen Motor und Vorbild der Kindergarten-Bewegung im Sinne Fröbels. Nach mehreren Jahren hatte Frau Kraus-Boelté, wie sie sich jetzt nannte, in jeweils einjährigen Kursen mehrere Hundert Kindergärtnerinnen ausgebildet, die danach ihrerseits in verschiedenen Bundesstaaten die Fröbel-Lehren verbreiteten. Die Mecklenburgerin setzte ihre Arbeit auch nach dem Tod ihres Mannes fort, fungierte nebenbei als Präsidentin der Kindergarten-Abteilung der „National Education Association“ und lehrte an der „New York University“ in Sommerkursen Pädagogik. Das war bahnbrechend, zumal sie sich hier auch als Frau durchsetzte. In Deutschland war zu diesem Zeitpunkt eine Frau als Universitätsdozentin noch undenkbar. In den USA ging das schon. Auch damit sorgte die Mecklenburgerin für ein Beispiel.

1913 trat Maria Kraus-Boelté in den überfälligen Ruhestand. 1918 starb sie bei einem Aufenthalt in Atlantic City.