25.04.2024

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26.10.18 / Staatsgründungen mit Nebenwirkungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-18 vom 26. Oktober 2018

Staatsgründungen mit Nebenwirkungen

Als im Jahr 1949 die Bundesrepublik Deutschland und die DDR gegründet wurden, war die Bevölkerung hauptsächlich mit dem entbehrungsreichen Alltag im Nachkriegsdeutschland beschäftigt. Der tägliche Kampf ums Überleben hatte oberste Priorität. „Es gab kaum etwas, was die Deutschen im Mai und Oktober dieses Jahres weniger interessierte als die weitgehend geräuschlose Gründung der beiden deutschen Staaten“, sagt der Journalist und Filmemacher Wolfgang Brenner in seinem Buch „Die ersten hundert Tage“. Mit den im Titel genannten 100 Tagen meint der Autor die ersten drei Monate, nachdem aus den Besatzungszonen  zwei Staaten geformt worden waren. 

Doch Vorgänge im Bundestag und in der Volkskammer gerieten angesichts der Revolutionen, Revolten und Absurditäten in dieser zerrissenen Gesellschaft völlig in den Hintergrund. Nach einer Einführung des Autors, in der er beschreibt, was sich in dem Jahr der Staatsgründungen im Osten und Westen politisch abspielte, gibt es eine Auflistung der im Buch folgenden Geschichten. Als da sind 14 Beschreibungen von Lebensläufen, Schicksalen und Morden, von Kriminalität, Bomben und Rauschgift. 

Eines ist gewiss: Jede dieser Geschichten, die den Inhalt des Buches ausmachen und mitreißend erzählt werden, hätte das Zeug dazu, verfilmt zu werden. Alle diese eindrucksvollen Begebenheiten eigneten sich zum Straßenfeger: Die brutalen Aktionen der jugendlichen Gladow-Bande in Berlin etwa oder der Frankfurter „Zookrieg“ um Bernhard Grzimek, die ersten Aufführungen von Damenringkämpfen im Land, der illegale Verkauf von Uran in Süddeutschland oder die Aufdeckung eines chinesischen Rauschgift-rings in Hamburg sowie die Affäre um den Berliner Polizeipräsidenten, der sein Hausmädchen in ein sowjetisches Lager geschickt hatte, um nur einige zu nennen. 

Wer hätte gedacht, dass Deutschland vier Jahre nach dem Krieg ein Land der Drogenkonsumenten war? Die sogenannte Wehrmachtsdroge Pervitin wurde fast überall konsumiert und war auch leicht zu haben. Das Wachhaltemittel, das Soldaten bis an die Grenzen ihrer Leis-tungskraft gebracht hatte, musste jetzt herhalten gegen Müdigkeit, Fahrigkeit und Antriebslosigkeit. Die vom Volksmund als „Wachhaltemittel“ verharmloste Droge gab es auf dem Schwarzmarkt oder rezeptpflichtig in den Apotheken. Über die extremen Nebenwirkungen wurde hinweggesehen.

Mit welcher Geschichte man beginnt und in diese Zeit des Neubeginns eintaucht, ist eigentlich egal. Aufregend, wirr und grotesk sind sie alle. S. F.

Wolfgang Brenner: „Die ersten hundert Tage. Reportagen vom deutsch-deutschen Neuanfang 1949“, Verlag Herder, Freiburg 2018, gebunden, 288 Seiten, 24 Euro