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02.11.18 / Vertraute Fremde / Reise auf den Spuren von Vergangenheit und Gegenwart

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-18 vom 02. November 2018

Vertraute Fremde
Reise auf den Spuren von Vergangenheit und Gegenwart
Hartmut Kobrow

Als die Teilnehmer der 40-köpfigen Reisegruppe am 20. August um 3 Uhr morgens in Versmold/Nordrhein-Westfalen aus dem Bus purzeln, lagen rund 3200 Kilometer hinter ihnen. Die neuntägige Reise unter der Leitung des ehemaligen Dissener Bürgermeisters Louis-Ferdinand Schwarz führte ins frühere Ostpreußen, dem heute west-

lichsten Teil des russischen Staates und über die Kurische Nehrung bis Nidden in Litauen. Louis-Ferdinand Schwarz organisiert seit 1991 Reisen in die Heimat seiner Kindheit und verfügt über einen unschätzbaren Fundus an Wissen, der weit über die historische Vergangenheit hinausragt. Der hochtourige Reiseleiter ist wahrlich kein Mann der leisen Töne und mit seinen 81 Jahren auch ein Mann mit Steher-Qualitäten und derbem ostpreußischen Humor für den kein Haltegebot zählt. Immer wieder sorgt er für Hochstimmung, Kulissenwechsel und interessanten menschlichen Begegnungen für seine Stammbelegschaft, die sich fernab übertriebener nostalgischer Gefühle und Wehmutserinnerungen auf die Reise gen Osten eingelassen hat. „Man muss waghalsig sein, wenn man eine Ostpreußen-Reise macht. Und das auch noch mit mir“, sagt Schwarz im ungefilterten Redefluss zur Begrüßung und sollte damit Recht behalten. Und wenn er mit Stimmgewalt und Pathos die Ostpreußenhymne oder das volkstümliche Lied des Dichters Simon Dach, „Ännchen von Tharau“, anstimmt, folgen ihm sogar bekennende Sangesmuffel. So wurde es am Ende eine Reise, die kein Dahinplätschern und Einerlei von der Stange war und bei der alles wie am Schnürchen lief. Selbst überzeugten Individualreisenden zeigte der Organisator, wie eine gut durchgeplante Informationsreise funktioniert. Wir folgten nicht nur der Spur der Steine einer längst vergangenen Welt, sondern entdeckten ebenso, wie diese hier und da aus den Ruinen aufersteht.

Zum „Basislager“, von dem aus die Tagestouren unternommen wurden, wurde ein Hotel in Rauschen, der ehemaligen Sommerresidenz der Königsberger, auserkoren. Nach einer Übernachtung in der alten Hansestadt Thorn, der Vaterstadt Nicolaus Copernicus, führte die Fahrt zur Marienburg und über Elbing weiter zur Grenze. Kurz hinter der Grenze erwartet uns Eugen, ein gebürtiger Moskauer, der seit vielen Jahren eine neue Heimat in Ostpreußen gefunden hat und in Palmnicken gestrandet ist. Er wird uns zum täglichen Begleiter. Der Mitfünfziger ist ein eloquenter, humorvoller, wortgewaltiger und gebildeter Mann, der zudem akzentfrei Deutsch spricht. Die Provinz Ostpreußen soll zu einem „Schauprojekt des Kremls“ werden. Eine Region, die expandiert und an der schon jetzt eine gewisse Gigantomanie mit gewaltigen Investitionen abzulesen ist, doziert er. So spricht er vom „Hongkong an der Ostsee“ und einer „Sonderhandelszone mit prosperierender Wirtschaft“ und meint Königsberg. Augenzwinkernd charakterisiert er den Westen, der zwar verfault, aber dabei sehr gut riecht und bezeichnet sich zugleich als lupenreinen Demokraten. Ob er es ernsthaft meint oder nur provozieren will? Immerhin räumt er mit so manchen Vorstellungen nach dem Motto „Was ist Legende, was Wahrheit“ auf. Nunja, statt blühender Landwirtschaft mit bestellten Feldern (Ostpreußen galt einst als die Kornkammer Deutschlands) wachsen genormte Industriegebiete und „Häus-chens“ (gewaltige Hochhäuser) auf Brachland in die Höhe. Viele davon reine Spekulationsobjekte. Schönheit ist eben relativ und Verirren leicht gemacht. Geblieben und beeindruckend zugleich sind jedoch die in Gedichten, Liedern und Erzählungen viel beschriebene Weite und Naturschönheit des Landes, die immer noch einen besonderen Reiz auf den Betrachter ausüben.

Aber zurück zum Programm. Eine Schiffsreise führte die Gruppe von Königsberg nach Pillau; die große Ostpreußenfahrt stellte  Orte wie Insterburg, Georgenburg, Gumbinnen, Tapiau, die Geburtsstätte des Malers Lovis Corinth, Trakehnen, das einstige „Heiligtum der Pferde“ und Palmniken, den Ort der Bernsteinverarbeitung vor; die Stadtrundfahrt durch Königsberg zeigte die immer noch sichtbaren Wunden, aber auch den Neuaufbau der ehemaligen Hauptstadt Ostpreußens; Gedenkminuten und Kranzniederlegungen an würdigen Ruhestätten gefallener deutscher und russischer Soldaten mahnten an grausame Vergangenheit. Zu den unvergesslichen Höhepunkten der Reise zählten die Fahrt über die Kurische Nehrung entlang der etwa 100 Kilometer langen Straße, die auf der Hälfte die Grenze zwischen Russland und Litauen markiert. Ein Bad in der tosenden Ostsee am weitläufigen, menschenleeren Strand der Bernsteinküste; der Besuch der Vogelwarte in Rossitten; ein Pick-nick im Wald, bei dem Geschirr und Gericht eine Symbiose eingehen, ohne sich die Show zu stehlen und „Wodka ohne Bremse“ eingeschenkt wird sowie der Besuch des durch Thomas Mann berühmt gewordenen Nehrungsdorfes Nidden in der „Ostpreußischen Sahara“. 

Unvergessen auch der Vortrag des Philosophie-Professors Gil-manow über den größten Sohn der Stadt, Immanuel Kant (1724–1804). Direkt vor dem Denkmal des großen Philosophen sprach der Wissenschaftler über die Kant’sche Philosophie und die von uns selbst verschuldete Unmündigkeit und rief zum Nachdenken über eine nachdenkenswerte Zukunft auf. Das Erkennen der historischen Wahrheit muss Grundlage der Aussöhnung und Verständigung zwischen Menschen sein, so sein Resümee.

Beeindruckend auch die Fahrt ins Samland, dem Land der Haine und Hügel. Im Pollwitten-Kinderdorf Salem Raduga, auf dem Gelände des ehemaligen Gutes unseres Reiseleiters, engagieren sich Mitarbeiter für sozial schwache Familien und nehmen Kinder und Jugendliche auf. Hier startete vor ein paar Jahren auch ein ökologisches Pilotprojekt zweier ambitionierter deutscher Winzer, die auf 89 Hektar pilzwiderstandsfähige Trauben anbauen. Weinstöcke der Sorten Solaris, Muskaris, Regent und Riesling stehen in Reih und Glied und lassen eine Ertragserwartung von 200 bis 300 Kilogramm zu. Und nicht zu vergessen, der kostenlose Sprachunterricht, den uns Eugen vermittelte: Das ging über Lorbas (Junge) und Marjellchen (Mädchen), über klabastrig (wackelig, brüchig) und dreibastig (vorlaut), zu Dittchen (Zehnpfennigstück) und Pomuchelskopp (Dummerjan, Tölpel) bis hin zu zahlreichen Anekdoten über Land und Leute. Und zum Abschiedsabendessen standen natürlich Königsberger Klopse nach Ostpreußischer Art auf dem Speiseplan. Und daran ging nuscht nichs (gar nichts) vorbei.


Die nächste Ostpreußenreise findet vom 10. bis 18. August 2019 statt. Anmeldungen bis 30. Dezember an Louis-Ferdinand Schwarz, Südstraße 6a, 49201 Dissen, Telefon (05421) 1325 oder (0172) 3433192