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02.11.18 / Umbrische Verzauberung / Im Herzen Italiens werden Wander- gegen Reitstiefel getauscht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-18 vom 02. November 2018

Umbrische Verzauberung
Im Herzen Italiens werden Wander- gegen Reitstiefel getauscht
Helga Schnehagen

Nicht umsonst gilt Umbrien als das grüne Herz Italiens. Mit wunderschönen Landschaften verweigert sich die Region dem gängigen Italien-Klischee und setzt vermehrt auf Natur.

Den Flughafen Fiumicino in Rom und das Bergstädtchen Assisi in Umbrien trennen 200 Kilometer und rund zweieinhalb Stunden Autofahrt. Staus wie in Deutschland gibt es weder auf Autobahn noch Landstraße. Der gute Straßenzustand im „klammen“ Italien ist verblüffend.

Etwa fünf Millionen Menschen besuchen jährlich Assisi, die Franziskusstadt am Fuß des Monte Subasio, mit der mächtigen Basilica San Franceso über dem Grab des heiligen Franz (1181/82 –1226). Der monumentale Komplex für den Poverello, den kleinen Armen, den Begründer eines Bettelordens, erscheint überdimensioniert. Franziskus Botschaft aber, die sich in seinen weltberühmten Fresken spiegelt, scheint allen Platz zu rechtfertigen. Für die ausführliche Besichtigung sollte man mehrere Stunden einplanen und ein gutes Fernglas.

Die Spuren des Erdbebens von 1997 sind behoben. Auf das Beben vom 26. Oktober 2016 war man vorbereitet. In der Basilika, so Bruder Thomas, seien Federungen und Aufhängungen aus Stahl angebracht worden, um die Erdstöße aufzufangen. Assisis ganze mittelalterliche Altstadt präsentiert sich unversehrt. 

Sichtbar betroffen ist allerdings die Gegend in und um Nursia, dem Epizentrum des letzten Bebens. Prominenteste Ruine: die Basilika des heiligen Benedikt. Diese sei, so Bruder Thomas, erst kürzlich saniert worden. Hatten hier die Schutzmaßnahmen nicht gegriffen oder waren sie gar nicht ausgeführt worden? Die Ruine dieser wichtigen Pilgerstätte und Touristenattraktion ist so gut es geht gesichert. Hinter dem Wiederaufbau jedoch steht ein großes Fragezeichen.

An Assisi kommt man in Umbrien nicht vorbei. Dass aber schon wenige Kilometer entfernt der Umbrische Apennin mit dichten Wäldern aus Stein- und 

Flaumeichen, Farnen, Ilex und Ginster, tosenden Wasserfällen und wie von Malerhand hineingetupften einsamen Dörfern den Rückzug in die menschenleere Natur erlaubt, bleibt den meisten verborgen. Wie auch das Wild, das hier zu Hause ist. Den Umbrern scheint es eh zweitrangig. Im Vordergrund steht der Trüffel wie die zahllosen Schilder „Tartuffo privato“ verraten. 

Als südöstliche Verlängerung der Toskana ist Umbrien wie diese von Landwirtschaft geprägt. Im Mittelpunkt der bodenständigen Küche steht alles, was das Schwein hergibt: Schinken, Speck, Salami, Rippchen, Bratwurst, Schweinebraten. Fisch liefern die Bergflüsse, vor allem Bachforellen. 

Spezialität „assoluta“ aber sind „Lenticchie di Castelluccio“. Die Linsen aus Castelluccio gelten als die besten Italiens. Sie werden seit jeher biologisch angebaut, haben eine be­sonders feine Schale und schmecken zubereitet à la Malvarina so wenig nach Linsen, dass nur der Blick auf die Karte sie noch verrät. 

Schon auf dem Agriturismo Malvarina, fünf Kilometer hinter der Porta Nuova, Assis östlichem Stadttor, ist jeder Touristen-Trubel verstummt und die Eingangstür mit Plaketten aus Hotellerie und Gastgewerbe übersät. In jedem Winkel lädt der liebevoll renovierte alte Landsitz dazu ein, die Seele baumeln zu lassen – und die Füße im Pool. Angeschlossen ist ein kleiner Reitstall mit vierbeinigen Bergprofis vom Haflinger bis zum Araber-Warmblut-Mix. 

Warum nicht Wander- gegen Reitstiefel tauschen? An Touren vom Tagesausflug bis zum Vier-Tage-Ritt sind die Pferde gewöhnt. Drei Stunden dauert der Aufstieg von 400 auf 1200 Meter zum Gipfel des Monte Subasio, vier Tage zu den 120 Kilometer entfernten Piani di Castelluccio auf 1400 Meter Höhe bei Nursia. Was gemächlich klingt ist Sport. Die Apennin-Tour über alte Viehtriebwege und steinige Bergpfade be­deutet stetes auf und ab. Bei 78 Prozent Gefälle müssen die Reiter absteigen und ihre Pferde führen.

Umbriens Apennin ist eine einzige Offenbarung! Landschaftlich wie kulturell ein Juwel ist das Menotre-Tal bei Foligno. Sein Konzentrat das malerische Bergdorf Pale in 476 Meter Höhe mit rauschendem Wasserfall, großartiger Tropfsteinhöhle und einer Wallfahrtskirche voller Fresken. Santa Maria Giacobbe samt angeschlossener Einsiedelei entstand 1295 in einer Grotte am Monte Pale. Waren es einst rheumakranke Pilger, so sind es heute Freikletterer, die sich auf den Weg zu Pales steilen Felsen machen.

Geschichte sind auch die bis zu 16 Wassermühlen zur Herstellung und Verarbeitung von Wolle und Papier, Getreide und Olivenöl, die bis in die 1970er Jahre im Menotre-Tal 600 Jahre lang für Arbeit und Wohlstand sorgten. Papier aus Pale soll bis zu Gutenberg gelangt sein. Auf ihm wurde 1442 das erste Exemplar der Göttlichen Komödie gedruckt. Wegen der hohen Qualität drückte ihm der Papst sogar sein Siegel auf.

Fünf Familien wohnen heute noch in Pale, Rasiglia dürfte von allen verlassen sein. Das mittelalterliche Dorf in 648 Meter Höhe ist ein Borgho wie aus dem Bilderbuch! Auf Wasser gebaut, rauscht das kristallklare Nass in Kanälen durch die malerischen Gassen, um sich schließlich in den Menotre zu ergießen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sorgte der Wasserreichtum in Rasiglia für eine blühende Textilindustrie. Heute ist der Ort nicht Umbriens einziger Borgho, der „zu verkaufen“ ist. Verlassen, aber nicht vergessen säumen hier wie dort, wie von Geisterhand gepflanzt, Geranien und Rosen die alten Mauern. 

Auf den Piani di Castelluccio, dem 15 Quadratkilometer große Hochplateau der Monti Sibillini, heute Nationalpark, hat man alle Zivilisation hinter sich gelassen – und das letzte klischeehafte Italienbild. Umgeben von bizarren Bergen und malerischen Tälern weiß das verwirrte Auge gar nicht, wohin es zuerst schauen soll. Nur Schäfer mit ihren Herden ziehen über die weiten Grasflächen. Wenn im Frühjahr dazu noch Tausende Wildblumen blühen, ist die umbrische Verzauberung perfekt.


Gehobene Landhotels: Agriturismo Malvarina, 06081 Assisi; Agriturismo Borgo la Torre, Acqua Santo Stefano, 06034 Foligno; Guesia Village Hotel, Ponte Santa Lucia, 06034 Foligno. Agriturismo La Ginestra, 06030 Sellano; Agriturismo Il Collaccio, Castelvecchio, 06047 Preci. Allgemeine Infos: www.enit.de


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