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02.11.18 / Vorbildlich erhalten und schützenswert / Vor 15 Jahren war Graz, die Landeshauptstadt der Steiermark, Kulturhauptstadt Europas – Was davon geblieben ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-18 vom 02. November 2018

Vorbildlich erhalten und schützenswert
Vor 15 Jahren war Graz, die Landeshauptstadt der Steiermark, Kulturhauptstadt Europas – Was davon geblieben ist
Dagmar Jestrzemski

Graz, die Landeshauptstadt der Steiermark, war 2003 Österreichs erste Kulturhauptstadt Europas. Nach einem Besuch der mit 289000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Österreichs bietet sich 15 Jahre später die Gelegenheit zu hinterfragen: Hat der damalige Ausnahmezustand mit einem Gesamtbudget von 59 Millionen Euro wie erhofft Früchte getragen? 

Natürlich hat er das. Zieht man heute Bilanz, denkt man wohl zuerst an die materiellen Hinterlassenschaften, allen voran das postmoderne Kunsthaus „The friendly alien“ und die stählerne Mur-Insel in Form einer Muschel. Doch es wurde 2003 viel mehr erreicht als dieser spannungsreiche Kontrast zur herrlichen historischen Altstadt. Nie zuvor gab es in Österreich ein größeres Kulturprojekt als das Grazer Kulturhauptstadtjahr 2003. Durch den damals angeschafften Mehrwert wurde die im Ausland kaum bekannte Universitätsstadt eine ausgewiesene Kulturstadt und blieb es, dank der Entschlossenheit von Politik und Gesellschaft. 

Graz liegt an den grünen Ufern der Mur, die hier aus einem engen Durchbruchstal in das fruchtbare Grazer Becken tritt. Das milde Klima trug schon immer dazu bei, dass es sich hier gut leben lässt. Der Beschluss, Kulturhauptstadt Europas zu werden, fiel Ende der 1980er Jahre. Da war Graz bereits eine lebendige, zeitgenössisch orientierte Kunstmetropole, der Boom des heutigen Städtetourismus aber noch nicht absehbar.

Im früheren „Pensionopolis“ der Habsburgermonarchie wähnte man sich noch im Schatten Wiens. Drei Bewerbungen waren vonnöten, bis Graz für das Jahr 2003 als damals noch einzige Kulturhauptstadt Europas ausgewiesen wurde. Der Intendant von Graz 03, Wolfgang Lorenz, brachte es anschließend auf den Punkt: „Wir wissen nun genauer, wer wir sind, was wir zu leisten imstande sind und was wir künftig besser lassen sollten. Und Europa hat es erfahren, hat uns zugeschaut und zugehört.“ 

Nicht zuletzt verdankt die einstige Provinzstadt ihre hohe Attraktivität für Touristen und beachtliche Lebensqualität der Einwohner einer wirtschaftlichen Dynamik, die auch der günstigen Lage am Ostalpenrand mit schnellen Wegen nach Italien, Slowenien, Kroatien und Ungarn geschuldet ist. Graz ist wirtschaftlicher Motor der Steiermark und ein zentraler Standort für Wissenschaft, Forschung und Ausbildung. Das spiegelt sich in der Bevölkerungsentwicklung wider. Graz zählt zu den am stärksten wachsenden Regionen Österreichs mit einer jungen Bevölkerung. Jeder sechste Einwohner ist Student.

Bereits seit 1999 ist die Grazer Altstadt Weltkulturerbe. Für die historische Altstadt Wiens wurde dieser Status erst 2001 erreicht. 2010 erfolgte die Erweiterung das Grazer Welterbes um das nahe gelegene Barockschloss Eggenberg mit seinem Landschaftsgarten aus der Romantik. Damit nicht genug, erhielt Graz 2011 auch den Titel UNESCO City of Design und ist außerdem Menschenrechtsstadt sowie Trägerin des Europapreises für Nachhaltigkeit. Man mag kaum glauben, dass die Grazer Innenstadt mit dem 123 Meter hohen Schlossberg und ihrer vielfältigen Baukultur von der Gotik bis zum 21. Jahrhundert in touristischer Hinsicht so lange unterschätzt war. Der Stadtkern gilt als einer der schönsten und besterhaltenen in Mitteleuropa. Über Jahrhunderte entwickelte sich das heutige schützenswerte Stadtbild. Mit ihren farbenfrohen Fassaden und rund 50 reizvollen Innenhöfen kann sich die Altstadt der größten geschlossenen Renais­sancebebauung im deutschsprachigen Raum rühmen. Abwechslung bieten eine vitale Kunstszene und nicht zuletzt zahlreiche Festivals das ganze Jahr hindurch. Das alles hat den ewig nörgelnden Schriftsteller Thomas Bernhard wohl nicht beeindruckt, der meinte: „Graz muss man nicht gesehen haben“, dafür aber Jahr für Jahr mehr Touristen. Mehr als eine Million Übernachtungen wurden 2017 gezählt, das ist ein hoher Wert im Verhältnis zur Einwohnerzahl.

Romanische, slawische, magyarische und deutsche Einflüsse prägten Graz seit dem frühen Mittelalter. 1130 entstand auf dem Schlossberg am heutigen Hauptplatz eine Herrschaftsburg, die Keimzelle des Ortes. Aus dem slawischen Gradec für „kleine Burg“ wurde später Graz, aus der kleinen Burg eine mächtige Festung. Sie wurde oft belagert, nie erobert, schließlich 1809 von Napoleon gesprengt. Geblieben sind der Glockenturm und der Uhrturm, die beiden Wahrzeichen der Stadt. Den steilen Abhang hinauf fährt man mit der Schlossbergbahn oder dem neuen gläsernen Lift. Im Inneren des Dolomitkegels boten einst Stollen der Bevölkerung in Kriegszeiten Schutz. Heute ist es möglich, von der Stadtseite durch den Schlossberg hindurchzugehen oder ihn mit der Märchengrottenbahn zu befahren. Von der Kuppe genießt man einen grandiosen Rundblick über die Dächer der Stadt. Den sanften Abhang hinunter führt ein Spazierweg durch baumbestandenes Gelände.

Um 1160 legte Markgraf Otakar III. den Hauptplatz als zentralen Marktplatz an. Er wird dominiert vom weißen Rathaus aus dem späten 19. Jahrhundert. Die Häuser am Platz mit repräsentativen Fassaden verschiedener Ar-chitekturstile haben einen mittelalterlichen bis spätgotischen Baukern. Von hier aus sind alle Se-henswürdigkeiten fußläufig zu erreichen. Im Osten der Altstadt liegt die Burg, die über einen verdeckten Gang mit der Festung auf dem Schlossberg verbunden war. Einst Residenz von Kaiser Friedrich III. (1452–1493) ist die Burg heute Amtssitz des Landeshauptmanns der Steiermark. Das Ge-bäudeensemble wurde seit dem 15. Jahrhundert durch An- und Umbauten verändert. Be­rühmt sind die Doppelwendeltreppe und die Inschriften A.E.I.O.U., Wahlspruch Friedrichs III. Die Burg gehört zur „Grazer Stadtkrone“, einem ursprünglich eigenen Bereich mit vier Prachtbauten: außer der Burg der gotische Dom, der manieristische Mausoleumsbau mit integrierter Katharinenkirche und das Jesuiten-Kolleg. 

Sehenswert sind die Neue Galerie Graz und das Naturkundemuseum in dem für das Kulturhauptstadtjahr modernisierten Johanneumsviertel. Im Landeszeughaus, dem ehemaligen Waffendepot der Steiermark, ist die weltweit besterhaltene Rüstkammer zu besichtigen. Da für den Tourismus auch das leibliche Wohl einen hohen Stellenwert hat, schmückt sich Graz jetzt auch mit dem Titel „GenussHauptstadt“, gehört zu den „Genussregionen Österreichs“ und demnächst vielleicht, sofern eine Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2026 Erfolg hat, auch als Olym-piaort.