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02.11.18 / Kritik an »Naivität und Schlappheit« deutscher Eliten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-18 vom 02. November 2018

Kritik an »Naivität und Schlappheit« deutscher Eliten
Dirk Klose

Der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz (1934–2017) war einer der angesehensten Vertreter seiner Zunft. Seine vielzitierten und -gelesenen, kaum noch überschaubaren Bücher und Aufsätze kreisen um ein zentrales Thema: Deutschland im Nachkriegseuropa und in der sich neu formierenden Weltordnung. Nicht zu Unrecht gilt er als „Chronist der Bundesrepublik“, zumal der „alten“ Bundesrepublik, und als glänzender Erzähler ist er mit Biografien über die Bundeskanzler Adenauer und Kohl unerreicht. 

Seine Nähe zur CDU, der er 1980 beigetreten war, hat Schwarz nie verleugnet; gleichwohl war er nie ein folgsamer Parteisoldat, im Gegenteil, als er im Jahr 2012 – da war er 78! – seine kritische Kohl-Biografie dem Altbundeskanzler schickte, reagierte dieser unerwartet heftig. In seinen jüngst veröffentlichten Lebenserinnerungen schreibt er, er sei ein liberal-konservativer Professor, mal mehr das eine, mal mehr das andere. Letzte Hand an die umfangreiche Edition haben Freunde und Schüler gelegt, denn Schwarz war ganz unerwartet am 14. Juni 2017 gestorben.

Liest man dieses geistreiche, stilistisch ausgezeichnete, manchmal etwas ausufernde Buch, so erlebt man ein erfülltes Leben eines anerkannten Wissenschaftlers, dem Glück und Erfolg zur Seite standen. Aber blickt man auf das im Anhang wiedergegebene Publikationsverzeichnis mit Hunderten von Titeln und liest man von den vielen Verpflichtungen in Gremien, Ausschüssen und Beiräten, dann ahnt man, welch unglaublicher Fleiß dahinter steckte. Dezent beschreibt sich Schwarz einmal als „Workaholic“, was wohl nicht übertrieben ist.

Schwarz ist im südlichen Schwarzwald groß geworden. Er studierte in Basel und Freiburg und hatte dann Professuren in Osnabrück, Hamburg, Köln und Bonn inne. Gastprofessuren führten ihn in die USA und nach England. Jahrzehntelang betreute er im Institut für Zeitgeschichte dessen renommierte „Vierteljahreshefte“ und die inzwischen auf zig Bände angewachsene Aktenedition zur Außenpolitik der Bundesrepublik. Für die Konrad-Adenauer-Stiftung edierte er unter anderem die Korrespondenz Adenauers, was ihm den Titel „Adenauer-Chronist“ einbrachte. 

Und immer wieder publizierte er zur Geschichte der Bundesrepublik, einerseits erfreut, dass sich eine demokratische Grundordnung im Westen Deutschlands durchsetzte, andererseits immer wieder voller Skepsis gegenüber einer „naiv selbstgefälligen“, ihren Aufgaben kaum gewachsenen politischen Elite in Bonn und Brüssel, später dann Berlin. Zum Ende des Buches – da ist er schon über 80 – verdüstert sich angesichts der „neuen Völkerwanderung nach Europa“, so der Titel seines letzten Buches, das auch in dieser Zeitung vorgestellt wurde (siehe PAZ vom 12. Mai 2017), sein Blick. Der eigenen Partei hält er vor, sich „wie eine verängstigte Herde hinter der fehlprogrammierten Bundeskanzlerin“ zu scharen. 

Überhaupt die vom Autor gern gepflegten Spitzen: Wenn Kohl pfiff, „spurte“ alles um ihn in sichtlichem „Untertanengeist“ herum. Über das „peinliche Händchenhalten“ zwischen Mitterand und Kohl in Verdun geht er rasch hinweg. Der „Totalverriss“ seines ersten Adenauer-Buches durch „Spiegel“-Herausgeber Augstein zeige einmal mehr, dass sich solche Akteure „die Deutungshoheit über ihre liebevoll gepflegten Irrtümer“ nicht nehmen lassen wollen. Die „buntscheckigen Grünen“ habe er schon um 1990 als „Landplage“ betrachtet. Die Antifa-Ideologie der DDR und der nach der „Wende“ „von allen Parteien übernommene quasireligiöse Kollektivschuldkult mit Auschwitz im Zentrum gehören zum Kern der neudeutschen Zivilreligion“; und der kämpferische katholische Theologe Hans Küng habe ihm einmal mehr bestätigt, „dass die gottesgelehrten Professoren die größten Streithammel sind“. Seine geistreichen, oft anerkennenden, dann auch wieder ironisch-spöttischen Charakterisierungen von Kollegen lesen sich wie ein Who is Who der bundesdeutschen Wissenschaftsgeschichte.

Wer für diese Biografie einen langen Atem aufbringt, wird an einem überreichen wissenschaftlichen Leben teilhaben können. Der Autor bleibt zwar eng am und im akademischen Milieu, sieht aber immer zugleich politische und gesellschaftliche Entwicklungen. 

Das Buch endet wie ein Stachel: „Niemand kann mit den deutschen Verhältnissen zufrieden sein ... die EU muss sich nicht vor einem halbhegemonialen Deutschland fürchten, sondern vor Naivität und Schlappheit der deutschen Eliten, wo in der CDU weder ein Churchill bereitsteht noch bei den Sozialdemokraten entschlossene Arbeiterführer wie Attlee oder Bevin.“ Ein Professor jedenfalls nicht im Elfenbeinturm.

Hans-Peter Schwarz: „Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018, gebunden, 734 Seiten, 50 Euro