28.03.2024

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02.11.18 / Erich Kästner als Chronist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-18 vom 02. November 2018

Erich Kästner als Chronist
Konrad Löw

Erich Kästner, allen bekannt als Autor von Jugendbüchern wie „Das Fliegende Klassenzimmer“ und „Emil und die Detektive“, die seinen Weltruhm begründeten. Politisch stand er ab 1918 den Pazifisten nahe, was in seinen frühen gesellschaftskritischen Veröffentlichungen Niederschlag fand. So kam es, dass auch sein Werk von der Bücherverbrennung im Mai 1933 erfasst wurde. Gleichwohl blieb er in Deutschland, wo er sich 1941 entschloss, ein „Kriegstagebuch“ zu führen. 

Kästners jetzt publizierte Aufzeichnungen „Das Blaue Buch. Geheimes Kriegstagebuch 1941–1945“ beginnen erst mit dem 16. Januar 1941. Er beginnt mit einem Stoßgebet und zitiert Matthias Claudius: „‘s ist Krieg und ich begehre, nicht schuld daran zu sein.“ Dann: „16. Januar 41 Der Entschluss ist gefasst. Ich werde ab heute wichtige Einzelheiten des Kriegsalltags aufzeichnen. Ich will es tun, damit ich sie nicht vergesse, und bevor sie, je nachdem wie dieser Krieg ausgehen wird, mit Absicht und auch absichtslos allgemein vergessen, verändert, gedeutet oder umgedeutet werden.“

Meist werden nur die Fakten festgehalten, doch es gibt Ausnahmen. „20. Januar 41 … Neben dieser Notiz stand die Meldung, dass Mussolini dem Reichsmarschall Göring zu dessen 48. Geburtstag einen der schönsten Hochaltäre der deutschen Malerei des 15. Jahrhunderts geschenkt hat; und zwar Hans Multschers Altar von der Frauenkirche zu Sterzing in Südtirol. Es ist schwer, keine blutige Satire zu schreiben.“

„Erwähnenswert ist die missglückte Rede Baldur von Schirachs vor den Arbeitern einer Fabrik in Florisdorf. Sie übertrieben ihre Begeisterung ins Ironische so, dass sie zwei Stunden lang ohne Pause die Lieder der Bewegung sangen und in Heilrufe ausbrachen, so dass Baldur, nachdem er zwei Stunden lang auf dem Rednerpodium abgewartet hatte, endlich wieder nach Haus fuhr, ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben.“ Auch diese Schilderung lässt unschwer aufschlussreiche Folgerungen zu. Kursierende Witze zeichnete er ebenfalls auf: „Der Krieg wird wegen seines großen Erfolges verlängert.“

Was den Juden angetan wird, bleibt nicht ganz unerwähnt. Ende Oktober notiert er: „Seit die Juden den Judenstern tragen müssen, den man ‚Pour le Sémite‘ nennt, ist diesbezüglich eine neue innerpolitische Aktivität zu spüren.“ Inwiefern? Empathie ist kaum vernehmbar. Angst vor Hausdurchsuchung? „11. März 43 In den letzten Wochen ist viel passiert, was der Stimmung abträglich war … Restabholung der Berliner Juden …“

Seine Aufzeichnungen hat er mit Zeitungsartikeln garniert. Das „12-Uhr-Blatt“ brachte einen makabren Beitrag, betitelt: „Der Schweinehund“, gemeint ist der Zeitgenosse, den der totale Krieg kalt lässt. Der Schreiber rät abschließend: „Da gibt es nur eines: totschlagen, nichts als totschlagen den Schweinehund, ohne alles Erbarmen.“

Bezeichnend auch die Mitteilung, die er unter dem Datum 13. März 43 macht: „Den Bombenangriff auf München … nennt die Presse einen Angriff auf die Stadt der deutschen Kunst, obwohl ja München offiziell die ‚Stadt der Bewegung‘ ist.“ Diese Degradierung hatten sich die Münchner selbst zuzuschreiben. Kästner zitiert den Hauptmann Gerngroß, der kurz vor Kriegsende geputscht hatte, mit den Worten: „Die unverbesserlichsten Nazis lebten in Norddeutschland.“

Neben dem Kriegstagebuch bietet der Band „Roman-Notizen“ 

(14 Seiten), „Beilagen“ (14 Seiten) und zwei Roman-Konvolute, zusammen 70 Seiten. Erläuterungen zur Textgeschichte und zur Edition bilden den Abschluss des mit großer Sorgfalt betreuten Werkes. 

Wer die Zeit noch selbst erlebt hat, wird von Kästners Aufzeichnungen in diese finsteren Jahre zurückversetzt, wem die „Gnade der späten Geburt“ zuteil wurde, erfährt anschaulich, welche Bürde seine Vorfahren zu tragen hatten. „9. Juli 1945 … Aber auch die entschlossene Minderheit war außerstande etwas zu tun.“

Erich Kästner: „Das Blaue Buch. Geheimes Kriegstagebuch 1941–1945“, Atrium Verlag, Zürich 2018, gebunden, 408 Seiten, 32 Euro