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02.11.18 / Ort konspirativer Treffen: Der Bremer Fichtenhof und seine Bewohner

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-18 vom 02. November 2018

Ort konspirativer Treffen: Der Bremer Fichtenhof und seine Bewohner
Dagmar Jestrzemski

In seinem Buch „Der Bremer Fichtenhof und seine Bewohner“ schlägt der Verdener Heinrich Lohmann gemäß dem Untertitel „ein wenig bekanntes Kapitel aus dem deutschen Widerstand“ auf. Ab 1935 war der Fichtenhof in Bremen-Schönebeck ein Treffpunkt NS-kritischer Persönlichkeiten des konservativen Milieus. Mieter und seit 1938 Besitzer des Anwesens war Wilhelm Roloff (geb. 28. März 1900 in Altona, gest. 22. September 1979 in Kanada), der Generaldirektor des Unternehmens „Nordsee“ Deutsche Hochseefischerei Bremen-Cuxhaven AG. Den Fichtenhof übereignete er 1940 seiner zweiten Ehefrau Alexandra „Lexi“ geborene von Alvensleben (geb. 27. September 1910 in Berlin, gest. 1967 in Torrejon bei Madrid). 

Von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand wird Roloff seit 2014 als Mitverschwörer des 20. Juli 1944 eingestuft. Der Verfasser hat diese durchaus widersprüchliche Persönlichkeit anhand einer Fülle von schriftlichen und mündlichen Quellen sowie Bildmaterial nachgezeichnet und zugleich den Fichtenhof als einen Ort des konspirativen Austausches für das öffentliche Gedächtnis erschlossen. Damit verbunden wird ein Schlaglicht auf die NS-Wirtschaft geworfen, speziell auf den unter Roloffs Leitung expandierenden Großbetrieb „Nordsee“, welcher Fischfang, Fischverarbeitung und Fischlieferung über eigene Verkaufsstellen an den Verbraucher unter einem Dach vereinte. 

Mehr als drei Jahrzehnte war Heinrich Lohmann Landesvorsitzender der Ost- und Westpreußen in Bremen. Auf den Fichtenhof wurde er aufmerksam, als er Zeitzeugenberichte über Margaretha Baroness von der Ropp suchte, die dort nach ihrer Flucht aus Ostpreußen im März 1945 bis zum Verkauf des Fichtenhofs an die Stadt Bremen im Jahr 1949 gelebt hat. Auch für Gottliebe Gräfin von Lehndorff-Steinort, eine entfernte Verwandte von Lexi Roloff, und ihre Kinder, darunter das spätere Mannequin Veruschka, sowie andere ostpreußische Vertriebene wurde der Fichtenhof 1945 zum Zufluchtsort. 

Eine von zahlreichen Persönlichkeiten, deren Lebensweg und Wirkungskreis der Autor nachverfolgt hat, war Lexis Vater Werner von Alvensleben. Bei dem NS-Re-

gime fiel er nach dem sogenannten Röhm-Putsch Ende Juni/Anfang Juli 1934 in Ungnade. Vor allem durch ihn entstanden Wilhelm Roloffs Kontakte zu NS-kritischen Persönlichkeiten, darunter der vormalige Chef der Heeresleitung Kurt von Hammerstein-Equord und Erwin Planck, Staatssekretär bis 1933. Erweitert wurde der Gesprächskreis auf dem Fichtenhof unter anderem um Bernd Gisevius, Hans von Dohnanyi, Eduard Waetjen und General Oster. 

Aktive Unterstützung für den Widerstand leistete Roloff, indem er den aus dem Auswärtigen Amt entlassenen Diplomaten Eduard Brücklmeier durch eine Anstellung im Heeresverwaltungsamt in Berlin versorgte, wohin er 1940 versetzt worden war. Dort befand sich die zentrale Organisation für den Nachschub des Feldheeres. Dabei war die Tiefkühlwirtschaft zunehmend von großer Bedeutung. Der Verfasser bezeichnet Roloff als „Vermittler und Leitfigur“ des 1938/39 eingeführten US-amerikanischen Tiefkühlverfahrens. Weiterhin war er verantwortlich für die „Nordsee“ und erhielt für den Aufbau der Betriebe in Norwegen und Frankreich Rückendeckung durch die Politik.

Breiten Raum nehmen in der Darstellung die Ereignisse nach dem missglückten Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 ein. Von den Verschwörern gegen Hitler war Roloff als späterer Staatsminister im Ernährungsministerium vorgesehen. Aufgrund eines entsprechenden Dokuments wurde er von der Gestapo festgenommen und zunächst im Zellengefängnis Lehrter Straße inhaftiert. Insgesamt wurde er 

21 Mal verhört, „doch diese Verhöre entwickelten sich dank Lexis Unterstützung zu seinem Vorteil“. Dabei half auch eine Ärztin im Polizeigefängnis, Charlotte Pommer. Als Wilhelm Roloff schließlich am 22. April 1945 aus der Haft entlassen wurde, war er gesundheitlich und psychisch schwer angeschlagen. Seinen späteren mühsamen Lebensweg und den weiteren Lebenslauf von Lexi, die schon bald nach Kriegsende von ihm geschieden wurde, erzählt Lohmann in seinem informativen wie berührenden Buch zu Ende. Desgleichen die Schicksale vieler anderer Menschen, deren Wege sich auf dem Fichtenhof gekreuzt haben.

Heinrich Lohmann: „Der Bremer Fichtenhof und seine Bewohner. Ein wenig bekanntes Kapitel aus dem Widerstand“, Edition Falkenberg, Bremen 2018, broschiert, 311 Seiten, 24,90 Euro