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09.11.18 / Gegenwind / Was die Politik mit der Angst so lohnend macht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-18 vom 09. November 2018

Gegenwind
Was die Politik mit der Angst so lohnend macht
Florian Stumfall

Das Wort „Problemlösungskompetenz“ gehört zu den semantischen Neuschöpfungen der jüngeren Zeit. Funktional gehört es zu jenen Begriffen, die den Mangel dessen beschreiben, was sie ausdrücken. „Kompetenz“ ist eine Möglichkeit, keine Ausführung, mithin haftet dem Wort immer ein substantieller Zweifel an. Wer Probleme wirklich löst, macht das durch eine Handlung, nicht durch eine Wortneuschöpfung. Deshalb hat es vor Jahrzehnten, als dem politischen Personal noch etwas Elitehaftes anhing, diesen Begriff nicht gegeben.

Doch am besten erörtert man diesen delikaten Zusammenhang an einem Beispiel. Im Verlauf der ersten rot-grünen Koalition in Berlin unter dem Bundeskanzler Gerhard Schröder gab es einen grünen Umweltminister namens Jürgen Trittin. Angetreten mit den erhabensten Ansprüchen, entpuppte er sich bald als taube Nuss. Er hat das nirgendwo so eindringlich bestätigt wie bei seinem Titanenkampf gegen leere Blechdosen.

Zugegeben, leere Blechdosen sind ein Ärgernis, ebenso wie jeder andere Müll, der in die Natur entleert wird. Hier muss man Herrn Trittin Recht gegeben, wenn auch nicht er es war, der das als erster erkannt hat. Doch was er dann mit seinen Büchsen aufführte, war grotesk. In der Bundesrepublik Deutschland, einer der führenden Industrienationen dieser Welt und auch politisch nicht ohne Bedeutung, gab es rund ein Dreivierteljahr lang kein Thema, das mit solcher Inbrunst behandelt worden wäre wie die Blechbüchsensaga. Das Volk der Dichter und Denker war mit einer intellektuellen Herausforderung konfrontiert, die es an seine Grenzen führte. Irgendwann war ein Ende damit, wie die Heroenschlacht endete, weiß heute niemand mehr. Hier wird verständlich, warum der Begriff von der Problemlösungskompetenz hat erfunden werden müssen.

Wer indes hofft, die Dinge hätten sich seither zum Besseren gewandelt, der irrt. In diesen Tagen wird der Kampf um Stick-oxyd und Dieselfahrzeuge geführt, wahrscheinlich mit noch mehr Ingrimm als einst derjenige ums Dosenblech. Die Stichwörter sind schnell genannt: Stickoxyd, Lebensgefahr, Diesel, Fahrverbote. Letztere haben einen humoristischen Nebeneffekt, weil durch sie inkriminierte Fahrzeuge längere Routen nehmen müssen als notwendig. Wie gesagt – die Sache mit der Kompetenz.

Der Kern des Problems liegt aber woanders, nämlich bei den Grenzwerten. Die Politik – nicht etwa die Wissenschaft – hat für den Straßenverkehr eine Obergrenze von 40 Mikrogramm Stickoxyd pro Kubikmeter Luft festgelegt, alles darüber sei schädlich, so die Begründung. Woher dieser Wert kommt – man weiß es nicht, jedenfalls nicht aus der Wirklichkeit. Die nämlich sieht folgendermaßen aus: Der Grenzwert für einen Arbeitsplatz beträgt in Deutschland 950 Mikrogramm pro Kubikmeter, die bedächtigen Schweizer lassen sogar 9000 Mikro zu. Und wenn ein Raucher eine Zigarette inhaliert, so kommt er auf glatte 100000 Mikrogramm. Hätte die Politik recht, so müsste jeder Raucher mit der noch brennenden Zigarette in der Hand tot aus seinem Sessel sinken.

„Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode“, heißt es in William Shakespeares „Hamlet“ in anderem Zusammenhang, aber man gewinnt den Eindruck, dass auch die willkürliche Festlegung von Grenzwerten durch die Politiker einen methodischen Zug aufweist. Nicht zum ersten Mal führt sie zu Panikattacken der Gesellschaft. In großem Umfang geschah dies, als im Jahre 1986 in der damaligen Sowjetunion das Kernkraftwerk Tschernobyl havarierte. Auch damals führte die Politik umgehend Grenzwerte ein, in Deutschland eine zulässige Strahlenbelastung von 800 Becquerel (Bq) pro Liter Flüssigkeit beziehungsweise Kilogramm (Kg) festem Material. Wieder-um aber wurde die Grenze nicht nach wissenschaftlichen Daten, sondern in dem Bemühen festgelegt, ein gutes Bild vor dem Publikum abzugeben, was die Sorgsamkeit der Politik um das Wohl der Bürger betrifft. 

Hätte man die vielfältige natürliche Strahlung ins Auge gefasst, so wäre sehr schnell klar geworden, dass die 800 Bq völlig willkürlich sind. Die lebenslange zusätzliche Strahlenbelastung für einen Erwachsenen in Deutschland beträgt weniger als ein Prozent der natürlichen Strahlung. Ein paar Langstreckenflüge oder regelmäßiger Fernsehkonsum machen ein Vielfaches aus. Wer vom Arzt eine Kur in Bad Gastein verschrieben bekommt, weil diese der Gesundheit dienlich ist, schluckt dort mit jedem Liter Wasser 2500 Bq. Der Unterschied zu jenem verbotenen Kilogramm Wildpret ist aber der, dass man das Gasteiner Wasser tatsächlich literweise trinkt, aber niemand Fleisch nach Kilo isst. Ein statistischer „Standardmensch“ hat eine innere Radioaktivität von zirka 9000 Bq. In seinem Körper zerfallen jede Sekunde 9000 Kerne das sind fast 800 Millionen pro Tag. Trotzdem wird noch heute auf radioaktive Restbestände in Deutschland aus der Tschernobylkatastrophe hingewiesen.

Warnungen vor lebensbedrohlichen Gefahren gibt es ebenso etwas weniger spektakulär, auch wenn kaum ein Sommer vergeht ohne Geflügelpest, Rinderwahn oder Würmern im Fisch, wenn man auch nie davon hört, dass irgendjemand zu Schaden gekommen wäre. Was typisch in diese Reihe passt, war vor Jahren die Sache mit den Nitrosaminen. Diese sind organische Verbindungen, die sich in vielen Lebensmitteln finden. Aktiviert werden sie in sauren Milieus, wie etwa im Magen nach dem Verzehr. Alsdann können sie krebserregend wirken, so die drohende Warnung.

Einen schönen Sommer lang waren also die Nitrosamine der Schreck der Ängstlichen und die Wonne der Medien. Als schließlich verbreitet wurde, dass sogar beim Backen von Brot Nitrosamine entstehen, war der Boom nicht mehr zu überbieten. Es kann nicht verwundern, dass auch in diesem Fall wie vielen ähnlichen der Grenzwert das entscheidende Datum darstellte. Und hier wie anderswo ging es, locker gesagt, nach der Methode: Wenn eine Ratte 50 Jahre lang täglich 30 Kilogramm von dem und dem Wirkstoff zu sich nimmt, dann kann es geschehen …

Ob Tschernobyl, Diesel oder Formaldehyd, das auch einmal eine Gruselsaison lang den Ton angeben durfte, bei allen Erscheinungen keimt der Verdacht, dass den Politikern Angst und Panik willkommen sind. Bei den meisten Journalisten sind diese Erscheinungen ohnehin eine beliebte Form der Konjunkturspritze, aber bei den Politikern? Auf den ersten Blick nicht so sichtbar, ziehen auch sie Nutzen aus dem täglichen Grauen.

Angst ist das am besten bewährte Mittel, dem Staat zu einer Macht über die Bürger zu verhelfen, die diese ihm niemals von selbst überantworten würden. Daher ist sie ein Wesensgrund der Diktaturen. Und Ordnungen, die sich dem Totalitären nähern, greifen mehr und mehr zu dem Mittel der Angstverbreitung. Es kommt dabei darauf an, dräuende Zustände zu schildern, denen gegenüber Beschwernisse, die der Staat auferlegt, als das weitaus geringere Übel erscheinen – seien es überhöhte Steuern oder Einschränkun-gen der Meinungsfreiheit. Wer würde beispielsweise widerspruchslos ein gefräßiges NATO-Monster mit Abermilliarden füttern, wenn nicht zuvor Russland als ein teuflisches System der Bedrohung dargestellt worden wäre? Die Angst lockt den Euro aus dem Portemonnaie und gebietet Stillschweigen, wo eine abweichende Meinung sich regen könnte. So gesehen muss man der Politik doch eine gewisse Problemlösungskompetenz zuschreiben. Nur handelt es sich dabei um andere Probleme als diejenigen der Bürger.