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09.11.18 / »Ist das gerecht?« / ARD-Themenwoche beschäftigt sich mit Gerechtigkeit und Chancengleichheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-18 vom 09. November 2018

»Ist das gerecht?«
ARD-Themenwoche beschäftigt sich mit Gerechtigkeit und Chancengleichheit
Anne Martin

Gerechtigkeit und Chancengleichheit in unserer Gesellschaft: Das ist das Thema der ARD-Themenwoche 2018. Unter der Leitfrage „Ist das gerecht?“ werden sich vom 11. bis zum 17. November alle Fernseh- und Radioprogramme der ARD sowie die Online-Angebote in allen Genres mit dem Thema beschäftigen.

Fragte man einen der Zuwanderer, die zu Hunderttausenden den Weg nach Deutschland suchen, so erwarten sie wohl ein Land, in dem Milch und Honig fließen: Jeder hier hat angeblich ein Haus und ein Auto, wer keine Arbeit hat, kriegt trotzdem Geld, wer beim Arzt eine Karte seiner Krankenkasse rüberschiebt, wird versorgt, fast kostenlos. Und im Alter kann man die Hände in den Schoß legen, bezieht Rente und hat es gut. Deutschland – gelobtes Land?

Die ARD leuchtet mit ihrer Themenwoche „Gerechtigkeit“ vom 11. bis 18. November hinter die Kulissen dieser Märchenwelt, trägt im Ersten und allen dritten Programmen, im Rundfunk und online Filme, Reportagen und Porträts zusammen – und findet Ungerechtigkeiten zuhauf. Eigens in Auftrag gegebene Statistiken beleuchten ein reiches Land, in dem die einen den Dritturlaub in die Karibik planen und die anderen froh sind über eine bezahlbare Wohnung mit ein wenig Morgensonne. 

51 Prozent erleben ihre Gesamtsituation als eher gerecht, 46 Prozent als ungerecht.

Ungerecht sind vor allem die Zwei-Klassen-Medizin, die un-gleich verteilten Bildungschancen und die ungleiche Entlohnung zu Lasten der Frauen. 16,26 Euro pro Stunde war 2016 der durchschnittliche Bruttoverdienst für eine Frau. Ein Mann erhält 20,71 Euro, also ein Fünftel mehr. Durchschnittlich verdienen Frauen bei gleicher Leistung 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Fernsehfilme zeigen, wie  im Gelsenkirchen des Jahres 1979 weibliche Angestellte um den gleichen Lohn wie Männer kämpfen („Keiner schiebt uns weg“, Mittwoch, 14.11., 20.15 Uhr). Die Ungleichheit ist trotz feministischer Revolten bis heute geblieben und reicht hoch bis zur gläsernen Decke, an die ehrgeizige Frauen oft stoßen. Selbst eine gefeierte Diva wie Iris Berben bekennt: „Männer werden anders bezahlt.“ Besser nämlich. („Superfrauen – die weibliche Seite des Films“, Sonntag, 11.11., 23.35 Uhr). Stimmt, im wohlhabenden Deutschland muss keiner unter Brücken schlafen oder seine minderjährigen Töchter an alte Männer verheiraten, damit ein Esser weniger an der Couscous-Schale hängt.

Aber ist es gerecht, dass Menschen nach 45 Jahren am Fließband, in der Bäckerei oder im Büro mit 878 Euro Rente pro Person auskommen müssen? Seit 2003 hat sich die Zahl der Rentner verdoppelt, die von ihrer Rente nicht leben können. Mehr als 500000 müssen aufstocken. Die Dunkelziffer ist hoch. Viele alte Menschen trauen sich nicht zum Sozialamt, weil sie sich schämen.

Und es ist richtig: Wer hierzulande eine medizinische Behandlung benötigt, wird sie bekommen. Fragt sich nur, wann, fragt sich, in welcher Klinik er behandelt wird und wieviele Reha-Maßnahmen ihm von seiner Krankenkasse zugestanden werden. Deutschlands Zwei-Klassen-Medizin ist ein Aufreger quer durch alle Bevölkerungsschichten. Ist es etwa gerecht, dass ein Kassenpatient monatelang auf einen Termin beim Facharzt warten muss, während Privatpatienten zum Arzt durchgewinkt werden? Ist es hinnehmbar, dass viele sich gleich in die Notaufnahmen der Krankenhäuser flüchten und die wirklich akut Erkrankten auf den Fluren warten müssen?

„Einigkeit und Recht und Freiheit“ heißt es in der Nationalhymne der Deutschen, aber Recht bekommt oft nur der, der den richtigen Anwalt bezahlen kann. Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni wird genau dieses Thema mit fachkundigen Gästen diskutieren („Das soll Recht sein? Umstrittene Urteile“, Sonntag, 11.11., 22 Uhr, NDR). Der „Polizeiruf“ mit Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau (Sonntag, 11.11., 20.15 Uhr) wirft das Thema auf, ob es sich mit dem Gerechtigkeitsempfinden vereinbaren lässt, wenn ein einmal Freigesprochener wegen desselben Verbrechens kein zweites Mal angeklagt werden darf. Auch dann nicht, wenn die neuen Verdachtsmomente erdrückend sind? 

Schließlich: Die Chancen, sein Leben frei zu gestalten, hängt wie zu feudalen Zeiten von dem Vermögen und dem Bildungsstand der Eltern ab. Denn der Zugang zur Bildung und damit zu einem qualifizierten und gut bezahlten Beruf gleicht weiterhin einem Nadelöhr: In gehobenen Kreisen gehört das Auslandsjahr in Kalifornien oder Brighton zum Standard, in weniger privilegierten können Kinder auch in der vierten Klasse nicht richtig lesen. Gerade Jungen fallen zurück, sie kompensieren ihr angekratzes Selbstbewusstsein mit umso lauterem Auftreten. In sozialen Brennpunkten schließen sich viele zweifelhaften Peer-Groups (Gruppen mit gleichen Interessen) an und geraten auf die schiefe Bahn. Der Fall der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich einer zu laxen Verurteilung junger Straffälliger entgegensetzte und kurz vor Veröffentlichung ihres Buches tot aufgefunden wurde, wird in dem hervorragenden Film mit Martina Gedeck („Das Ende der Geduld“, Montag, 12.11., 22.45 Uhr, MDR) nochmals aufgegriffen. Außerdem sendet das Erste eine Dokumentation. („Tod einer Richterin“, MDR, 11.11., 21.30 Uhr).

13,4 Millionen Menschen waren im Jahre 2016 armutsgefährdet. Als arm wird laut Statistik bezeichnet, wer als Alleinstehender 1064 Euro in der Haushaltskasse hat, als Ehepaar mit zwei Kindern unter 14 Jahren 2243 Euro. Der Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro steht dabei oft nur auf dem Papier: Eine aufrüttelnde Reportage zeigt das Leben der Paketfahrer, die den zunehmenden Online-Handel schultern. Moderne Sklaven, oft ohne feste Arbeitsverträge, die jährlich 3,3 Milliarden Pakete treppauf, treppab schleppen und nicht die leiseste Chance haben, jemals eine Rente zu erhalten. („Paketfahrer – ausgebeutet für den Online-Boom“, Mittwoch, 14.11., 20.15 Uhr, SWR)

Ob die Schwerpunkt-Woche der viel gescholtenen Medien an diesen Zuständen etwas ändern kann? Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten mit ihren zwangsweise einkassierten Gebühren in Milliardenhöhe, mit ihren aufgeblähten Verwaltungen und ihren wohlversorgten Mitarbeitern stehen schließlich auf dem Prüfstand, wenn es um Gerechtigkeit geht. Das wäre glatt mal eine Extra-Sendung wert.