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09.11.18 / Der Republik folgten Vertreibung und Assimilierung / Vor 100 Jahren wurde das bisherige Reichsland Elsass-Lothringen erst unabhängig und dann französisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-18 vom 09. November 2018

Der Republik folgten Vertreibung und Assimilierung
Vor 100 Jahren wurde das bisherige Reichsland Elsass-Lothringen erst unabhängig und dann französisch
Bodo Bost

Wie in anderen Teilen des Deutschen Reiches bildeten sich auch im Reichsland Elsass-Lothringen nach dem Ausbruch der Novemberrevolution Arbeiter- und Soldatenräte.  Zusammen mit den lokalen Führern der sozialistischen Parteien und Gewerkschaftlern übernahmen diese Räte die Macht in Straßburg, wo es auf dem Kleberplatz und in Kolmar auf dem Rappplatz zu Massenaufläufen kam. In der oberelsässischen Metropole Mühlhausen allerdings bildete sich nur ein Soldaltenrat, weil sich dort bereits unter den Sozialisten Elsässer und andere Deutsche nicht mehr einigen konnten. Hatten in den Räten zunächst noch sozialdemokratische sogenannte Altdeutsche, also Deutsche, die erst nach der Reichsgründung in das Reichsland gezogen waren, das Sagen, wurden mit jedem Tag die Frankophilen stärker, allen voran Jaques Peirotes in Straßburg. Die Räte hatten jedoch zunächst nur auf kommunaler Ebene die Oberhand, im Landtag überwogen noch die altdeutschen Kräfte

Die Novemberrevolution und die deutsche Kriegsniederlage erzeugten in Elsass-Lothringen ein kurzfristiges politisches wie militärisches Machtvakuum. Mit der Verkündung der Abdankung Kaiser Wilhelms II. und dessen anschließender Gang ins niederländische Exil verlor das Reichsland seinen Landesherren, da es direkt dem Kaiser unterstellt war. Und im Waffenstillstand von Compiègne verpflichtete sich das Reich, Elsass-Lothringen schnellstmöglich zu räumen.

In großer Eile proklamierte der Landtag, die Legislative des Reichslandes, deren zweite Kammer, das sogenannte Volksparlament, aus demokratischen Wahlen hervorgegangen war, Elsass-Lothringen zu einer souveränen Republik sowie sich selber zum Nationalrat und zur alleinigen Autorität. Der Landtag/Nationalrat schlug den Franzosen Verhandlungen über die Zukunft Elsass-Lothringens vor, aber Frankreich erkannte ihn als Verhandlungspartner nicht an. Die alliierten Planungen sahen kein unabhängiges, sondern ein französisches Elsass-Lothringen vor. Die französischen Truppen standen bereits nach einer Woche in Mülhausen, einige Tage später in Kolmar, und am 21. November erreichten sie Straßburg, das politische Zentrum der jungen Republik, die über keine Armee verfügte. 

Am 22. November 1918 war infolge der Macht der französischen Truppen der Traum von der Selbstständigkeit beendet. Am 5. Dezember 1918 verabschiedete die französische Nationalversammlung endgültig das „unverletzliche Recht der Elsass-Lothringer, Mitglieder der französischen Familie zu bleiben“. Nachdem die meisten deutschfreundlichen Politiker ins Restreich abgeschoben worden waren, bestätigte am 6. Dezember 1918 auch der Landtag/Nationalrat den Anschluss an Frankreich. Deutschland musste im Versailler Vertrag Elsass-Lothringen an Frankreich abtreten.

„Unzuverlässige“ und „pangermanische“ Bürger, allen voran die sogenannten Altdeutschen, mussten Elsass-Lothringen innerhalb weniger Tage verlassen. Das traf etwa 100000 Menschen aus Lothringen und zirka 150000 Personen aus dem Elsass. Jeder Erwachsene durfte 30 Kilogramm Gepäck und 2000 Mark, pro Kind nur 500 Mark mitnehmen. Die übrigen Besitztümer wurden vom französischen Staat eingezogen. 

Unter den Vertriebenen befanden sich auch viele Hochschullehrer und protestantische Pfarrer, darunter der Schwiegervater von Albert Schweitzer, Harry Bresslau, Ordinarius für Geschichte an der Straßburger Universität. Er wurde wie viele seiner zumeist jüdischen Kollegen als „militanter Pangermanist“ eingestuft. Helene Bresslau-Schweitzer, die Frau des späteren Friedensnobelpreisträgers, musste miterleben, wie ihr Vater unter den Hohnrufen des Pöbels und von Vagabunden über die Rheinbrücke bei Kehl getrieben wurde. Die Vertreibung ihrer Eltern aus der Wahlheimat löste bei der Ehefrau Albert Schweitzers eine tiefe Depression aus, die sie ihr ganzes Leben lang, sogar noch in Afrika, begleitete. Albert Schweizer durfte zwar bleiben, wurde aber jahrelang wie viele seiner Pfarrerkollegen, die nicht vertrieben wurden, von den neuen Machthabern bespitzelt. Die Internierung in französischen Gefängnissen, die Überwachung durch die französische Staatspolizei und die Vertreibung vieler Deutsch-Elsässer trugen dazu bei, dass sich Albert Schweitzer von Frankreich immer mehr zu distanzieren begann, selbst in Afrika sprach der größte aller Elsässer lieber Deutsch als Französisch. Erst nachdem US-Präsident Woodrow Wilson auf die Regierung in Paris Druck ausgeübt hatte, konnte etwa die Hälfte der vertriebenen Deutschen in den folgenden Monaten wieder in das Gebiet des ehemaligen Reichslandes Elsass-Lothringen zurückkehren. 

Diese Vertreibungs- und die Assimilierungspolitik der Französischen Republik waren in den Folgejahren eine der Ursachen für die autonomistischen Positionen der elsässer Politiker. Bei den Wahlen zur französischen Abgeordnetenkammer erzielten die elsässischen Autonomisten, die mit der kommunistischen Partei sowie den bretonischen und korsischen Nationalisten kooperierten, in allen elsässischen Wahlkreisen die absolute Mehrheit der Stimmen. Die Abgeordneten und Politiker, die sich für Autonomie aussprachen, wurden vom französischen Staat mit Tricks und Kniffen von ihren Mandaten ferngehalten und oft zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Nachdem Deutschland auch noch den Zweiten Weltkrieg verloren hatte, gab es im Elsass kaum noch eine Regionalbewegung. 

Erst Mitte der 1980er Jahre begann sich gegen die weitgehende Verbannung der deutschen und der elsässischen Sprache in Schule und Verwaltung Widerstand zu bilden, der sich zunächst in den privaten zweisprachigen sogenannten ABCM-Schulen äußerte. Erst aus dieser Bewegung zur Rettung der elsässischen Identität entstand wieder eine nennenswerte regionalistische Partei. „Unser Land“, so ihr Name, erhält bei Wahlen regelmäßig zwischen zehn und 15 Prozent der Stimmen. Zulauf bekommt diese Partei seit drei Jahren, als durch Anordnung aus Paris das Elsass als eigenständige Region aufgelöst wurde und zusammen mit Lothringen und Champagne-Ardennes zur Region „Grand Est“ (Großer Osten) zusammengelegt wurde.